Auch die Nudeln aus dem Bio-Fachgeschäft können nicht ohne Gentechnik
Die EU debattiert derzeit über die Regulierung neuer Pflanzenzüchtungsmethoden. Auch in Deutschland ist die Diskussion im Gange. Heute gilt ein striktes Verbot für genomeditierte Pflanzen. Eine Studie im Auftrag der EU-Kommission zeigte kürzlich jedoch die Chancen der neuen Züchtungsmethoden auf. Sie wurden deutlich höher gewichtet als allfällige, aber nicht nachgewiesene Risiken. Dies könnte zu einer Liberalisierung der Gesetzgebung führen.
Mittwoch, 27. Oktober 2021
Das Wissensmagazin Terra X hat diese Diskussion zu Anlass genommen, um sich dem Thema ausführlicher zu widmen. Der Beitrag zeigt, wie weitreichend die Chancen der Genom Editierung gerade auch angesichts sich rasch wandelnder Umweltbedingungen ist. Vor allem wird aber klar, wie widersprüchlich das heutige Regime ist: So werden bereits heute unter dem Biolabel Nahrungsmittel verkauft, die mittels Eingriff ins Genom der Pflanzen (ungerichtete Mutagenese) gezüchtet wurden. Die Sendung dürfte auch für so manchen überzeugten Bio-Konsumenten ein Augenöffner gewesen sein.
Mutation und Gentechnik: Wenn Juristen über wissenschaftliche Fragen entscheiden
Lange war es selbstverständlich. Für Pflanzen aus Mutationszüchtung gelten die gleichen Vorschriften wie für solche aus herkömmlicher Züchtung: Bis auf das Sortenrecht keine.
Im Juli 2018 entschied jedoch der Europäische Gerichtshof (EuGH), dass auch Mutagenese mit Strahlung oder Chemikalien zu einem „genetisch veränderten Organismus“ (GVO) führt, da „eine auf natürliche Weise nicht mögliche Veränderung am genetischen Material eines Organismus vorgenommen wird“. Gleichzeitig werden so erzeugte Pflanzen (und Tiere) von den nach Gentechnik-Recht geltenden Bestimmungen wie etwa Zulassungs- und Kennzeichnungspflichten befreit. Die EuGH-Richter begründen das mit der langen Erfahrung, die man mit der Mutationszüchtung habe. Es sei daher gerechtfertigt, daraus hervorgegangene Pflanzen ohne weitere Prüfung als „sicher“ anzusehen.
Bei den neuen Genome Editing-Verfahren fehle diese Erfahrung. Deswegen sind sie nach dem EuGH-Urteil genau so zu regulieren wie ein GVO. Eine genom-editierte Pflanze unterliegt den gleichen Zulassungs- und Kennzeichnungsvorschriften wie eine gentechnisch veränderte. Mutationszüchtung mit zufälligen, im einzelnen unbekannten Erbgut-Veränderungen gelten pauschal als sicher, weil das Verfahren schon lange nutzt wird.
Genome Editing, das auf einer präzisen Mutation an einem genau bekannten Ort im Genom beruht, stuft der EuGH als „neuartig“ und die damit gezüchteten Pflanzen - solange nicht das Gegenteil bewiesen ist - als unsicher ein. Allerdings ist das EuGH-Urteil keine wissenschaftliche Expertise, sondern eine juristische Interpretation geltender Gesetze, die vor 25 Jahre entstanden sind und den damaligen, inzwischen längst überholten Stand der Wissenschaft wiedergeben. Die heutige Wissenschaft beruft sich zu Recht darauf, dass es für die klassische Gentechnik eine über 30-jährige Erfahrung der sicheren Anwendung gebe und diese für die noch präzisere Genom-Editierung herangezogen werden kann.
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