Schöne und köstliche Mutanten auf Ihrem Teller: Die missverstandene Welt der Pflanzenzüchtung

Schöne und köstliche Mutanten auf Ihrem Teller: Die missverstandene Welt der Pflanzenzüchtung

Mutationen gelten als Gefahr. Doch auf unseren Tellern sind sie allgegenwärtig. Ohne Mutationen gäbe es weder kernlose Trauben noch süsse Mandeln, weder ertragreichen Mais noch knackige Äpfel. In der Landwirtschaft sind genetische Veränderungen keine Bedrohung, sondern seit Jahrtausenden der Motor von Vielfalt, Ertrag und Ernährungssicherheit.

Montag, 15. Dezember 2025

In der Landwirtschaft jedoch sind Mutationen weder selten noch grundsätzlich bedrohlich. Sie sind die unsichtbaren Architekten unserer Ernährung – genetische Veränderungen, die Bananen und Zitrusfrüchte kernlos machten, Dutzende Apfel- und Tomatensorten hervorbrachten und die Erträge zahlloser Nutzpflanzen steigerten.


Von Zufall zu Auswahl

Während des grössten Teils der Menschheitsgeschichte war Pflanzenzüchtung ein Akt der Zufälligkeit. Ein Bauer entdeckte vielleicht eine Zierpflanze mit einer ungewöhnlichen Farbe oder eine Tomate, die weniger leicht aufplatzte, und behielt deren Samen für die nächste Saison. Ohne es zu wissen, nutzten frühe Landwirte Mutationen – zufällige Veränderungen der DNA, die nützliche Eigenschaften hervorbrachten.

Über Jahrtausende hinweg verwandelte dieser Prozess wilde, kaum geniessbare Pflanzen in unsere heutigen Grundnahrungsmittel. Bittere Mandeln wurden süss. Teosinte, ein wildes, grasähnliches Gewächs mit harten schwarzen Körnern, entwickelte sich zu ertragreichem Mais. Wilde Äpfel wurden zu den knackigen, süssen Sorten, die wir heute in Pausenboxen packen. Fast unser gesamter moderner Speiseplan ist das Ergebnis von Mutationen.

Quelle: Genetic Literacy Project
Quelle: Genetic Literacy Project

Doch Zufall – selbst wenn er im Labor beeinflusst wird – ist langsam, und «natürliche» nützliche Mutationen sind sehr selten. Mitte des 20. Jahrhunderts lernten Wissenschaftler, Mutationen gezielt auszulösen, indem sie Samen Strahlung oder Chemikalien aussetzten. Diese sogenannte Mutationszüchtung beschleunigte den Prozess erheblich und brachte Tausende neuer Pflanzensorten hervor – von Braugerste und Reis über ertragreiche Grapefruitsorten bis hin zu Zierchrysanthemen. Viele dieser Mutanten – mehr als 3.000, die in den letzten rund 90 Jahren entstanden sind – spielen bis heute eine zentrale Rolle in Ernährung und Gartenbau.

Mutationen, die durch Strahlung oder Chemikalien entstehen, unterscheiden sich in ihrer Gefährlichkeit (die minimal bis nicht vorhanden ist) nicht von natürlichen Mutationen. Auch ihre Fähigkeit, die Landwirtschaft positiv zu verändern, ist dieselbe. Die mutierte DNA «weiss» nicht, ob eine Veränderung zufällig oder gezielt herbeigeführt wurde. Der Unterschied liegt allein in der Absicht – ob die Natur zufällig darauf stiess oder der Mensch sie auslöste.

Paradoxerweise lehnen Gegner der Agrarbiotechnologie seit Langem die gentechnische Veränderung und neuerdings auch die Genomeditierung ab – Methoden, bei denen ein oder wenige Gene präzise verändert werden –, während sie kein Problem damit haben, zufällige Mutationen zu akzeptieren, bei denen Zehntausende Gene gleichzeitig verändert werden. Ein klassischer Fall von wissenschaftlicher Ignoranz und Doppelmoral.


Evolution mit dem genetischen Skalpell: Von Mutagenese über GVO bis CRISPR

Ein aktueller Artikel in Plant Physiology von Forschern von Bayer Crop Science mit dem Titel «Beautiful and Delicious Mutants: The Origins, Fates, and Benefits of Molecular Sequence Variation in Plant Evolution and Breeding» räumt mit vielen Missverständnissen rund um Mutationen in der Pflanzenzüchtung auf. Mutationen, so erklären die Autoren, sind keineswegs gefährliche Unfälle, sondern das Fundament der Landwirtschaft. Natürliche, induzierte und geneditierte Veränderungen der DNA haben unser heutiges Ernährungssystem aufgebaut – und könnten helfen, Pflanzen an den Klimawandel anzupassen und eine wachsende Weltbevölkerung zu ernähren.

Der Artikel bereitet den Boden für das nächste Kapitel der Pflanzenzüchtung. Mehr als ein Jahrzehnt nach Beginn der Genomeditierungs-Revolution ermöglichen Werkzeuge wie CRISPR Mutationen mit chirurgischer Präzision. Statt auf Zufälle zu warten oder Samen mit Strahlung zu bombardieren, können Züchter gezielt Gene abschwächen, hinzufügen oder ausschalten, um gewünschte Eigenschaften zu erzielen – etwa Reis, der salzhaltige Böden toleriert, ohne Ertragseinbussen, gegen das Citrus-Greening resistente Orangen und Grapefruits in Florida oder eine Vielzahl schmackhafterer und vitaminreicherer Obst- und Gemüsesorten. Das ist Gegenwart, nicht Zukunft.

Genomeditierung ist am besten als Fortsetzung dessen zu verstehen, was Pflanzenzüchter schon immer getan haben: genetische Vielfalt schaffen und nützliche Eigenschaften auswählen – nur sehr viel präziser. Die Erfolgschancen sind höher, der Zeitaufwand geringer und unerwünschte Nebeneffekte seltener. Künstliche Intelligenz erhöht diese Erfolgswahrscheinlichkeit zusätzlich, indem sie vorhersagt, welche genetischen Veränderungen sinnvoll und vorteilhaft sind.

Unsere Ernährung basiert auf Jahrhunderten von Mutationen – natürlichen, zufälligen und gezielt herbeigeführten –, die Landwirte, Wissenschaftler und Züchter ausgewählt und genutzt haben. Wenn Mutationen die verborgenen Motoren der Landwirtschaft sind, warum werden sie in der Öffentlichkeit, insbesondere von Aktivisten, so negativ wahrgenommen? Ein Teil der Antwort liegt in der Sprache – und ihren Assoziationen mit Krankheiten und Monstrositäten.


Mutanten – der Stoff des Fortschritts

Diese Wissens- und Wahrnehmungslücke hat reale Konsequenzen, besonders – und oft irrational – in der Regulierung. Natürlich könnte eine Mutation problematisch sein, wenn sie ein Gift oder Allergen einführt oder dessen Konzentration erhöht. Doch solche Ereignisse sind bei den neueren, präziseren Methoden weit weniger wahrscheinlich.

Eine Tomate, die gezielt mit zusätzlichen Nährstoffen angereichert wurde, unterliegt häufig strengeren regulatorischen Prüfungen als eine Sorte, die vor Jahrzehnten durch unvorhersehbare Strahlung oder aggressive Chemikalien entstanden ist. Dabei beruhen beide auf denselben Arten von DNA-Veränderungen. Der Unterschied: Die kontroversere Methode ist präzise, die ideologisch akzeptierte hingegen zufällig und deutlich langsamer.

Pflanzenwissenschaftler sprechen heute oft von «präziser Züchtung», wenn sie Genomeditierung beschreiben. Sie erzeugt keine grundlegend neuen Mutationen, sondern macht den Prozess effizienter und reduziert das für die konventionelle Züchtung typische Versuch-und-Irrtum-Prinzip.

Die entscheidende Frage ist nicht, wie eine Mutation entsteht, sondern ob sie Lebensmittel sicherer, nährstoffreicher oder widerstandsfähiger gegen Klimastress macht. Wenn ja, ist der Entstehungsmechanismus weniger wichtig als der Nutzen. Jede Scheibe Brot, jedes Stück Obst oder Gemüse ist eine Feier der Mutanten. Kernlose Trauben, Golden Rice – entwickelt für vitamin-A-Mangelregionen – und die Erdbeeren auf Ihrem Müsli verdanken ihre Existenz genetischen Veränderungen.

Mutationen sind keine Quelle der Sorge, sondern Ursprung von Vielfalt, Schönheit und Widerstandskraft. Sie haben unsere Nahrung geprägt und werden entscheidend für die Pflanzen der Zukunft sein.

Mutanten in der Landwirtschaft sind keine Monster. Sie sind die stillen Helden unserer Ernährung – und werden es auch in Zukunft bleiben.

Dieser Artikel wurde von Henry I. Miller verfasst. Miller ist Arzt und Molekularbiologe sowie Glenn Swogger Distinguished Fellow beim Science Literacy Project. Der Artikel wurde erstmals am 8. Dezember 2025 auf Englisch beim Genetic Literacy Project veröffentlicht.

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