Die Musik spielt bei der Pflanzenzucht anderswo

Die Musik spielt bei der Pflanzenzucht anderswo

Die Schweiz ist ein Innovationsstandort, doch leider wird dieses Versprechen bei den moderneren Methoden der Pflanzenzucht bis heute nicht eingelöst. Offenheit würde der innovativen Schweiz auch da gut anstehen.

Donnerstag, 4. Juli 2024

Der Fortschritt hat es schwer auf dem alten Kontinent. Jüngstes Beispiel ist die anhaltende Blockade bei den neuen Züchtungsmethoden. Während in anderen Weltregionen innovative Ansätze der Pflanzenzucht auf den Feldern und Tellern eine immer grössere Rolle spielen, machen sich in Europa und der Schweiz nach wie vor die Bedenkenträger lautstark bemerkbar. So will in der Schweiz eine Volksinitiative die neuen Züchtungsmethoden streng regulieren.

Die Initianten wittern offenbar die ganz grosse Verschwörung der Industrie und schreiben auf ihren Kanälen: «Die Gentech-Konzerne setzen Parlament und Bundesrat massiv unter Druck: Sie lobbyieren dafür, dass die strengen Regeln für den Einsatz von Gentechnik geschwächt werden.» Die Realität lässt sich eher wie folgt umschreiben: Eine überwältigende Mehrzahl der Forschenden an öffentlichen Forschungsinstituten in unserem Land, welche sich mit Pflanzenzüchtungen beschäftigen, sprechen sich seit langem und hörbar für eine liberale Regulierung der neuen Züchtungsmethoden aus. Und sie hatten damit Erfolg: Das Parlament hat den Bundesrat aufgefordert, darzulegen, wie eine solche Zulassung in Zukunft aussehen soll. Der Bericht des Bundesrates sollte noch dieses Jahr erscheinen.

Die aktuelle Initiative ist vor diesem Hintergrund zu sehen. Man versucht jetzt politischen Druck zu erzeugen, nachdem man im Parlament nicht mehr durchgedrungen ist. Eine Mehrzahl der Parlamentarierinnen und Parlamentarier hat der wissenschaftlichen Evidenz den Vorzug gegeben. Und auch in den Medien mehren sich die Stimmen für die neuen Züchtungsmethoden. Das ist erfreulich.

Bei den Gegnern spielt «Follow the science» ganz offensichtlich keine Rolle. Lieber bespielt man weiterhin diffuse Ängste. Es ist zu hoffen, dass der Bundesrat eine mutige Lösung vorschlägt, welche sich an der wissenschaftlichen Evidenz orientiert und damit auch in der Schweiz ein regulatorisches Umfeld schafft, das für die Weiterentwicklung der innovativen Züchtung hierzulande zuträglich ist.

Gleiches gilt auch für Europa. Auch dort harzt es mit der Liberalisierung. Zwar hat die EU-Kommission eine solche eingebracht. Doch der politische Prozess kam auch dort ins Stocken, einzelne Mitgliedsstaaten stellen sich bis heute quer.

Bedenkenträger vertreiben Innovation

Klar ist jedoch: Die Innovation wartet nicht auf die Bedenkenträger in Europa und der Schweiz. Die innovativen Züchtungen geschehen vermehrt andernorts. Führend sind dabei die grossen Landwirtschaftsmärkte wie die USA, Brasilien oder auch China. In China wurde im Mai 2024 ein genomeditierter Weizen zum Anbau zugelassen. Der Weizen ist krankheitsresistenter und verspricht höhere Erträge. Insgesamt ist China führend in der Entwicklung genomeditierter Nutzpflanzen: 509 der Ende Mai 2024 weltweit bekannten 900 Züchtungsprojekten dazu stammten aus dem Reich der Mitte, berichtet der Point-Newsletter von scienceindustries. «Unter den wichtigen Züchtungszielen befinden sich gesteigerte Erträge, Krankheitsresistenz, Stresstoleranz und eine verbesserte Nahrungs- und Futtermittelqualität.»

In den USA und Brasilien gilt genomeditiertes Saatgut nicht als genverändert und fällt daher auch nicht unter eine strenge Regulierung. Kein Wunder, konzentrieren die Unternehmen ihre Forschung zunehmend in diesen Ländern. Denn angewandte Forschung benötigt auch Feldversuche – und die sind in der Schweiz mit ihrer einzigen, hochbewachten «protected site» viel zu teuer. Wie die Handelszeitung in einem grossen Übersichtsartikel zum Thema Genomeditierung schreibt, eröffnet beispielsweise Syngenta in den USA einen neue Forschungseinrichtung. Und erweitert gerade ihr seit 2008 bestehendes Forschungszentrum für Pflanzenzüchtung in Beijing. Andere Firmen ziehen nach. Die Schweiz und Europa fallen immer weiter ins Hintertreffen. Das ist schade, denn gerade in Sachen Pflanzenzucht hat der alte Kontinent traditionell einiges zu bieten. So hat sich etwa die Forschungsgruppe von Beat Keller an der Universität Zürich eine führende Position in der Entwicklung krankheitsresistenten Weizens mittels klassischer Gentechnik erarbeitet.

Die Politik in Bern und Brüssel täte gut daran, auf die Wissenschaft zu hören und endlich die neuen Züchtungsmethoden zu ermöglichen. Die hiesige Forschung würde davon profitieren, denn Marktnähe tut auch dem Wissenschaftsumfeld gut. Die Industrie hätte zudem einen Anreiz, Forschung und Entwicklung wieder vermehrt hierzulande zu betreiben. Dies würde der Innovations-Nation Schweiz gut anstehen.

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