Chlorothalonil – Kommunikation mit Kostenfolgen

Chlorothalonil – Kommunikation mit Kostenfolgen

Das BLV nimmt ein Nebenurteil des Bundesverwaltungsgerichts zum Anlass, eine Weisung mit «Sanierungsmassnahmen» wegen der «Kontamination» des Trinkwassers mit Abbauprodukten von Chlorothalonil zu erlassen. Rechtssicherheit, wie es das BLV in seiner Mitteilung suggeriert, wird mit der neuen Weisung nicht geschaffen. Rechtssicherheit und sorgfältiger Umgang mit staatlichen Mitteln wären gewährleistet, wenn das BLV mit seiner Weisung bis zum Urteil in der Hauptsache gewartet hätte. Denn dieses steht nach wie vor aus. Und gemäss Aussagen mehrerer Experten besteht kein dringender Handlungsbedarf.

Samstag, 25. Mai 2024

Es geschah in Seldwyla. Um den Zugangsverkehr zur Stadt besser zu dosieren, entschloss man sich, an den Einfallsachsen sogenannte «Pförtneranlagen» zu installieren, also Lichtsignale, die den Individualverkehr und damit die Zufahrt zur Stadt mittels Rotlicht stoppen, wenn der Verkehr in der Stadt selber stockt. Auch in den Aussengemeinden wurden solche Pförtneranlagen installiert. Dies wurde im Vorfeld in den Amtsblättern publiziert und die Betroffenen konnten Einsprachen machen. Das war auch in einer der Vorortsgemeinden der Fall. Dummerweise hatten die Planer in der fernen Kantonshauptstadt die Pförtneranlage zwischen zwei Quartieren dieser Vorortsgemeinde geplant, statt richtigerweise ausserhalb der Gemeinde. Die Beschwerdefrist wurde über die Sommerferien angesetzt, wohl in der Hoffnung, dass das niemand sehen würde. Entsprechend wurde auch noch während der laufenden Beschwerdefrist mit dem Bau der Pförtneranlage begonnen. Doch die Bewohner des betroffenen Quartiers wehrten sich erfolgreich. Die bereits erstellte Pförtneranlage musste abgerissen und an der Aussengrenze der Gemeinde neu errichtet werden. Man hört, diese Übung hätte den Steuerzahler mehrere hunderttausend Franken gekostet. Fazit: Man hätte besser gewartet.

Eine ähnliche Situation mit ungleich grösserer Kostenfolge droht nun im Fall Chlorothalonil.

«Syngenta unterliegt im Rechtsstreit – Schweizer Wasser gilt als kontaminiert. Die Behörden dürfen den Wirkstoff Chlorothalonil bzw. dessen Abbauprodukte wieder als toxikologisch relevant bezeichnen. Handeln müssen die Wasserversorger.» So titelt die Bauernzeitung in ihrer Ausgabe vom 24. Mai 2024.

Auslöser ist eine neue Kommunikation und eine Weisung des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) vom 23. Mai 2024 mit dem Titel: «Chlorothalonil: Rechtssicherheit beim Höchstwert für Trinkwasser».

Fakt ist

  • Syngenta hatte 2020 gegen das widersprüchliche Verbot von Chlorothalonil eine Klage beim Bundesverwaltungsgericht eingereicht. Dieses Urteil steht nach wie vor aus.
  • Syngenta hatte aber auch gegen die Kommunikation des zuständigen BLV geklagt, weil die Kommunikation konkrete Massnahmen zur Folge hat. Denn das BLV hatte trotz laufendem Klageverfahren eine Weisung erlassen, die Kantone, Gemeinden und Trinkwasserversorger zu Massnahmen verpflichtet. Sie müssen sicherstellen, dass der (im Hauptprozess bestrittene!) Höchstwert eingehalten wird. Wie in der BLV-Weisung steht, kann das «unter Umständen nur mit zeitlich, finanziell, politisch oder ökologisch sehr aufwändigen Massnahmen erreicht werden».

Nachdem das Bundesverwaltungsgericht dem BLV den Erlass der Weisung 2020 vorsorglich untersagte, hat es nun diese Nebenklage von Syngenta betreffend der BLV- Kommunikation abgewiesen. Das Gericht schreibt in der Begründung: «Ob eine Neubewertung erfolgt ist (...) und ob diese zudem unzulässig oder zulässig ist, verlangt eine materielle Auseinandersetzung mit dem Widerrufsentscheid. Diese Frage ist aber im Widerrufsverfahren zu prüfen. Insofern läuft das Begehren der Beschwerdeführerin darauf hinaus, in einer Nebensache ein Präjudiz für das Widerrufsverfahren zu erwirken. Es ist aber im gerichtlichen Verfahren über den Widerruf des Pflanzenschutzmittels zu prüfen, ob der Widerruf zu Recht erfolgt ist.» Mit anderen Worten: Das noch ausstehende Urteil betreffend das Verbot von Chlorothalonil wird entscheidend sein.

Wer nun aber ein Präjudiz schafft, ist das BLV mit seiner neuerlichen Kommunikation nach diesem Nebenentscheid. Mit dem Titel «Rechtssicherheit beim Höchstwert für Trinkwasser» suggeriert es, dass das Gericht materiell entschieden hätte und Syngenta im Rechtsstreit betreffend des Verbots unterlegen sei. Das BLV erwähnt auf seiner Website das noch ausstehende Urteil in der Hauptklage mit keiner Silbe. Lieber schafft es ein kostspieliges Präjudiz: Mit der Weisung an die Kantone, Gemeinden und Trinkwasserversorger, innert zwei Jahren Massnahmen zu treffen, um die «Kontamination» des Trinkwassers mit Abbauprodukten von Chlorothalonil zu verhindern, nimmt das Amt den Entscheid in der bestrittenen Hauptsache vorweg und verknurrt die Wasserversorger zu umgehenden Massnahmen.

Unsicherheit bei der Bevölkerung und vorschnelle «Sanierungsaufträge» zu verhindern, war aber genau die Absicht der nun am 20. März 2024 vom Bundesverwaltungsgericht abgewiesenen Nebenklage von Syngenta. Denn was passiert, wenn das Bundesverwaltungsgericht im massgebenden Hauptentscheid gegen das widersprüchliche Chlorothalonil-Verbot zur Auffassung käme, dass weder die Muttersubstanz noch die im Grundwasser gefundenen Abbauprodukte wahrscheinlich krebserregend sind – und damit all die nun vom BLV verfügten Massnahmen gar nicht nötig sind? Wer trägt dann diese Kosten? Auch die Steuerzahler wie im Fall der Strassenampel in Seldwyla? Gemäss dem TagesAnzeiger schätzen Experten den Aufwand auf mehrere hundert Millionen Franken.

Rechtssicherheit, wie es das BLV in seiner Mitteilung suggeriert, wird mit der neuen Weisung nicht geschaffen. Ganz im Gegenteil. Rechtssicherheit wäre gewährleistet, wenn das BLV mit einer Weisung bis zum Entscheid in der Hauptsache gewartet hätte. Kostspielige Massnahmen und «Sanierungen» haben gerade in Zeiten knapper Staatsfinanzen Zeit, bis der allfällige Sanierungsbedarf gerichtlich festgestellt ist. Denn was das BLV als zuständiges Amt nirgends schreibt, aber Kurt Seiler, der beim Verband der Kantonschemiker die Kommission Trink- und Badewasser präsidiert, gegenüber dem TagesAnzeiger sagt: «Es besteht kein Grund zur Panik.» Auch Urs Von Gunten von der Forschungsanstalt Eawag sagt im gleichen Artikel: «Es besteht keine unmittelbare Gefährdung der Bevölkerung.» Das kantonale Labor des Kantons Zürich fasst es in seiner ausführlichen Stellungnahme vom 10. September 2020 auf den Seiten 38 und 39 gut zusammen: «Wissenschaftliche Studien zeigen, dass auch Trinkwasser mit mehr als 0.1 µg/l Chlorothalonil-Metaboliten sicher ist und bedenkenlos getrunken werden kann.» und «der endgültige Gerichtsentscheid wird zeigen, ob die Begründung für die Massnahmen rechtskonform ist.»

Ob «relevant» oder «nicht relevant» ist relevant

Ob ein Abbauprodukt einer Chemikalie sogenannt «relevant» oder eben «nicht relevant», also ungefährlich für Mensch und Umwelt ist, spielt durchaus eine Rolle. Denn für «relevante» Abbauprodukte oder sog. Metaboliten gelten viel tiefere Grenzwerte: 0,1 Mikrogramm pro Liter statt Höchstwerte von bis zu 10 Mikrogramm pro Liter für «nicht-relevante» Metaboliten. Wenn die zwei am häufigsten (und v.a. strittigen) Chlorothalonil-Metaboliten R417888 und R471811 im letzten vom BAFU veröffentlichten Messjahr 2022 bei Beprobung von total 520 Messstellen gefunden werden, so ist der Grenzwert von 0.1 Mikrogramm pro Liter für R417888 an 32 Stellen und für R471811 an 162 Stellen überschritten. Einen Messwert von > 1 Mikrogramm pro Liter überschreitet R471888 an gerade mal 2 Stellen, R471811 an 17 Stellen. Da der Höchstwert für nicht-relevante Metaboliten bei 10 Mikrogramm pro Liter liegt, ist anzunehmen, dass dieser an gar keiner Stelle überschritten ist. Die vom BAFU «gfürchig» dargestellte Überschreitungsgrafik sähe schlagartig harmlos aus und der dramatische Text müsste angepasst werden....

Ein Faktenblatt zum Verbot des Fungizids Chlorothalonil und zu den Hintergründen des Rechtsstreits findet sich hier: Fakten zum Chlorothalonil-Verbot in der Schweiz (PDF, 147.93 KB)

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