«Die Berner Winzer spritzen und spritzen»

«Die Berner Winzer spritzen und spritzen»

Der viele Regen diesen Sommer hat den Berner Winzern zugesetzt und einmal mehr klargemacht, dass es ohne Pflanzenschutz nicht geht – schon gar nicht in schwierigen Anbaujahren. Dass auch pilzwiderstandsfähige Sorten von Ernteverlusten betroffen sind zeigt, wie prekär die Lage ist. Nichtsdestotrotz zaudert der Bund, wenn es um die Zulassung moderner Pflanzenschutzmittel und neuer Züchtungstechnologien geht.

Mittwoch, 7. August 2024

«Die Berner Winzer spritzen und spritzen» – so titelte die «Berner Zeitung» am 29. Juli. Einer davon ist Winzer Hubert Louis. Er arbeitet auf dem Rebgut der Stadt Bern oberhalb von La Neuveville am Bielersee und kann davon ein Lied singen, wie essenziell der Einsatz von Pflanzenschutzmittel bei solchen Extremwetterbedingungen ist. Die «Berner Zeitung» bringt es auf den Punkt: «Hubert Louis muss nicht lange suchen, bis er den Schaden an seinen Reben zeigen kann. Auf einem Streifen von 15 Metern hat er in diesem Jahr probehalber auf Pflanzenschutzmittel verzichtet. Das Resultat: Keine einzige gesunde Traube wächst an diesen Stöcken. Stattdessen sieht man bräunlich verfärbte Blätter und abgestorbene Beeren.»

Den Satz, dass Weinbau ganz ohne Pflanzenschutzmittel nicht gehe, hört man dem Bericht zufolge oft, wenn man mit Winzerinnen und Winzern spricht. Auch für Biobetriebe sind Pflanzenschutzmittel unerlässlich. Bloss nutzen diese nicht alle auf dem Markt verfügbaren modernen Pflanzenschutzmittel, sondern spritzen nur Mittel, die für sie zugelassen sind, wie etwa Kupfer oder Schwefel.


Bio-Winzer müssen 15-mal pro Saison spritzen

Das Spritzen von Kupfer ist jedoch nicht unbedenklich: So ist der Wirkstoff, der im biologischen Rebbau präventiv gespritzt wird, ein Schwermetall und belastet den Boden. Zudem wird er bei Regen gleich wieder abgeschwemmt, was eine erneute Anwendung erfordert. Die Konsequenz: Je nach Wetter sind Bio-Winzer gezwungen, bis zu 15-mal pro Saison zu spritzen. Wie die «Berner Zeitung» berichtet, ist das heuer der Fall. Verluste können dennoch nicht verhindert werden: «Wir rechnen mit 20 bis 30 Prozent weniger Ernte als im Vorjahr», so Louis. Der Falsche Mehltau sei für diese schlechte Prognose verantwortlich. Dabei handelt es sich um eine Pilzkrankheit, die sich bei feuchtem Wetter in den Trauben und im Laub ausbreitet.

Während Bio-Bauern nur die für sie zugelassenen Mittel spritzen dürfen, haben die Bauern des konventionellen Rebbaus mehr Spielraum. Sie dürfen zusätzlich teilsystemische Fungizide spritzen, deren Wirkstoffe die Pflanze während einer längeren Periode von innen heraus schützen.

Auf dem Weingut von Stephan Martin, der in Ligerz auf 3,6 Hektaren Reben konventionell angebaut hat, kommen neben den Bio-Wirkstoffgruppen auch teilsystemische Fungizide zum Einsatz. Der Falsche Mehltau hat dem Winzer auf seinem «Weingut am Stägli» sehr zu schaffen gemacht. Dank der Behandlung mit konventionellen Pflanzenschutzmitteln sei die Situation in niederschlagsreichen Jahren wie diesem oder auch 2021 jedoch nicht mehr so dramatisch. So musste er beim Pinot Noir dieses Jahr lediglich neun Mal spritzen – nur einmal mehr als im Jahr zuvor.

Konventionelle Produkte haben durchaus ihre Vorteile: Die Pflanzenschutzmittel werden weniger abgeschwemmt und folglich müssen die Bauern weniger oft spritzen. Auch Bio-Winzer Hubert Louis muss zugeben: Seit er seinen Betrieb auf Bio umgestellt habe, seien die Ausgaben für Diesel stark gestiegen. Mehr Durchfahrten aber bedeuten auch mehr CO2-Ausstoss und mehr Bodenverdichtung.


Ohne Pflanzenschutz geht’s bergab

Doch nicht nur der viele Regen, auch die warmen Februar- und Märztage haben den Winzern dieses Jahr zugesetzt. So mussten die Landwirte um ihre Ernte bangen, da die Reben früher ausschossen und sich das Frostrisiko dadurch erhöhte. Prekär ist die Lage jedoch auch bei anderen Kulturen. So hat der viele Regen die Knollenfäule begünstigt und zahlreichen Kartoffel-Bauern die Ernte vernichtet. Die zahlreichen Verluste machen vielen Landwirten einen Strich durch die Rechnung: Bereits 300 Hektaren Kartoffelfelder mussten aufgegeben werden.

Der Grund für die Misere liegt auf der Hand: Nasses Wetter begünstigt Pilzkrankheiten – im Fall der Berner Winzer ist es der Falsche Mehltau. Die eindrücklichen Beispiele der Landwirte, die in der «Berner Zeitung» thematisiert werden, machen klar, wie essenziell Pflanzenschutz ist und welchen Anteil Ernteverluste in schwierigen Anbaujahren ohne Pflanzenschutz betragen können. Besonders wichtig ist dabei, dass die Landwirte auch auf moderne Mittel zurückgreifen können. Nur wenn ihnen genügend Pflanzenschutzmittel zur Verfügung stehen, kann die Ernte auch in einem miserablen Anbaujahr geschützt werden.

Doch gerade der Schutz der Kulturen wird derzeit in der Schweiz vernachlässigt: Ende 2022 warteten rund 700 Pflanzenschutzmittel auf eine Zulassung. Teilweise seit Jahren. Das schleppende Zulassungsverfahren und der Pendenzenberg verhindern einen effizienten Pflanzenschutz mit modernen Mitteln. Zur Bekämpfung von Schädlingen und Pflanzenkrankheiten fehlen also die Möglichkeiten. Zudem drohen Resistenzen, wenn die Bauern nicht mehr auf eine genügend breite Palette von Mitteln zugreifen können. Wird der Pflanzenschutz vernachlässigt, kommt es zu «Food Waste» auf den Äckern, den die Fachleute als «Food Loss» bezeichnen. Die Landwirte werden also buchstäblich «im Regen stehen gelassen».


Auch pilzwiderstandsfähigen Sorten setzt der Regen zu

Doch wie könnten die Ernteverluste eingedämmt werden? Braucht es neue Sorten als Lösung? Pilzwiderstandsfähige Sorten (PiWi), die deutlich weniger Pflanzenschutzbehandlungen benötigen, könnten Abhilfe schaffen. Im Kanton Bern sind bereits elf Prozent der Rebfläche damit bestockt. In diesem nassen Jahr waren jedoch auch diese Sorten vor den verheerenden Folgen des vielen Regens nicht gefeit. Matthias Rindlisbacher, der auch im Wyssloch in der Stadt Bern einen Rebberg mit PiWi-Sorten hat, liefert den Beweis dafür: «Ein Drittel der erwarteten Menge werden wir wohl ernten können.»

Trotz Pflanzenschutzeinsatz berichtet der Landwirt in der «Berner Zeitung» also von massiven Verlusten auch bei den PiWi-Sorten. Das Beispiel von Rindlisbacher verdeutlicht: Neue Sorten sind kein Allerheilmittel – aber sie können ein wichtiges Tool neben modernem Pflanzenschutz bilden.

Vielversprechend sind in diesem Zusammenhang neue Züchtungstechnologien wie CRISPR/Cas, auch wenn diese in der «Berner Zeitung» nicht zur Sprache kommen. Mit den neuen Technologien ist die Züchtung krankheitstoleranter Pflanzen schneller möglich als mit herkömmlicher Züchtung. So könnten beliebte Sorten, die über eine breite Konsumentenakzeptanz verfügen, schneller und einfacher resistent gemacht werden, als wenn man die Konsumentinnen und Konsumenten an ganz neue Sorten gewöhnen muss. Das liegt daran, dass der Konsument weiss, was ihn erwartet. So ist das bei einem Chasselas oder Pinot Noir der Fall, bei einer ganz neu gezüchteten Sorte dagegen nicht.

Leider werden die angewandte Forschung und die hiesige Pflanzenzüchtung derzeit durch Restriktionen ausgebremst. Politik und Behörden handeln zaghaft und halten etwa am veralteten Gentechnik-Gesetz fest. Statt hierzulande findet die Forschung an innovativen Züchtungen daher vermehrt andernorts statt. Geht das so weiter, droht die Schweizer Landwirtschaft diese weltweite Innovationswelle zu verpassen. Die Erntemengen gehen noch weiter zurück und die Importe steigen. Ob das im Interesse von Konsumentinnen und Konsumenten ist?

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