«Differenzierte Regelung für Genom-Editierung ist zu begrüssen»

«Differenzierte Regelung für Genom-Editierung ist zu begrüssen»

Der Bundesrat und der Nationalrat wollen die neuen Züchtungsmethoden unter das bestehende Gentech-Moratorium stellen. Nun hat sich eine Mehrheit der WBK-S entschieden, dass der Anbau von genomeditierten Pflanzen unter Auflagen erlaubt werden soll. Wir haben über den Entscheid mit Jan Lucht, Experte für Biotechnologie von scienceindustries, gesprochen.

Donnerstag, 18. November 2021

Jan Lucht arbeitet für scienceindustries, den Wirtschaftsverband Chemie Pharma Life Sciences. Dort verantwortet er den Bereich Biotechnologie.
Jan Lucht arbeitet für scienceindustries, den Wirtschaftsverband Chemie Pharma Life Sciences. Dort verantwortet er den Bereich Biotechnologie.

Herr Lucht, wie könnte eine solche Regel im Sinne der WBK-S aussehen?

Die Wissenschaftskommission des Ständerats möchte Organismen, die mithilfe der Genom-Editierung verändert wurden und die kein artfremdes Erbmaterial tragen, vom Moratorium ausnehmen. Dass die WBK-S eine differenzierte Regulierung der Produkte neuer Züchtungsverfahren anstrebt, ist ein wichtiges politisches Signal und sehr zu begrüssen. Es zeigt, dass nicht alle gentechnischen Verfahren über einen Kamm geschoren, sondern je nach Anwendung unterschiedlich beurteilt werden. Es darf allerdings nicht vergessen werden, dass eine Ausnahme vom Moratorium alleine die bestehende Rechtsunsicherheit bei der Anwendung neuer gentechnischer Verfahren nicht beheben kann. Der Gesetzgeber muss klären, welche Regeln in Zukunft für Produkte der Genom-Editierung gelten sollen, damit diese wirklich zur Anwendung kommen können – und zwar auch für Anwendungen ausserhalb der Pflanzenzüchtung, wie etwa bei Mikroorganismen und Tieren. Diese Regeln sollten gemeinsam mit den betroffenen Gruppierungen erarbeitet werden. Auch eine breite gesellschaftliche Diskussion ist wichtig, um gemeinsam tragfähige Lösungen für die Zukunft zu erarbeiten.


Gibt es im Ausland Beispiele, an denen man sich orientieren könnte? Verschiedentlich ist in der Diskussion um die neuen Methoden auch Kanada zur Sprache gekommen. Wie wird dort die Zulassung geregelt?

Tatsächlich haben bereits verschiedene wichtige Agrarländer Regelungen zum Umgang mit genomeditierten Produkten entwickelt, die sich aber von Land zu Land unterscheiden. In den USA werden genomeditierte Nutzpflanzen ohne artfremde Erbinformation nicht speziell reguliert. Sie können ohne Auflagen angebaut werden, da sie auch durch herkömmliche Züchtungsansätze entstehen könnten.

In mehreren lateinamerikanischen Ländern, zum Beispiel in Argentinien, herrschen ähnliche Bestimmungen – nur dass es hier keine pauschale Ausnahme von der Bewilligungspflicht gibt. Die Entwickler neuer Pflanzensorten, welche Verfahren wie die Genom-Editierung einsetzen, müssen den Zulassungsbehörden ihre Informationen offenlegen. Die Behörden treffen dann eine Fall-zu-Fall Entscheidung, wie die neue Sorte eingestuft wird. In der Regel werden auch dort Produkte neuer Züchtungsverfahren ohne artfremde Erbinformation nicht als «gentechnisch verändert» betrachtet und können ohne entsprechende Auflagen angebaut werden.

Kanada ist sehr speziell darin, dass hier alle neu entwickelten Pflanzen mit deutlich veränderten Eigenschaften einer sorgfältigen Prüfung vor der Anbauzulassung unterzogen werden – unabhängig davon, ob sie mit herkömmlichen Züchtungsverfahren, durch klassische gentechnische Veränderungen mit einem Transgen von einer anderen Art oder durch Genom-Editierung erzeugt wurden. Das ist einerseits wissenschaftlich konsequent – es sind ja die nachweisbaren Eigenschaften einer Pflanze, die ein mögliches Risiko einer neuen Pflanzensorte bedingen, nicht die Herstellungsverfahren. Andererseits führt dieser Ansatz zu einem höheren Aufwand für die herkömmliche Pflanzenzüchtung. Bevor ein solches Modell unverändert übernommen wird, müsste sorgfältig zwischen dem möglichen Sicherheitsgewinn und dem erforderlichen Mehraufwand einer wesentlich umfassenderen Prüfung neuer Sorten abgewogen werden. Grundsätzlich sind auch verschiedene Kombinationen bewährter Verfahren aus anderen Ländern denkbar. Dabei sollten sich die geforderten Überprüfungen differenziert an den möglichen Risiken orientieren. Dafür bietet sich eine verstärkte Orientierung an den tatsächlich vorhandenen Eigenschaften der Pflanzen an, und weniger die Ausrichtung auf die technischen Prozesse der Herstellung, die sich aufgrund der raschen Methodenentwicklung ständig ändern.


Geht es nach der Mehrheit der WBK-S, so soll in Zukunft zwischen Züchtungen, welche Modifikationen innerhalb der gleichen Pflanzenart machen, und solchen, welche artfremdes Erbgut einführen, unterschieden werden. Macht eine solche gesetzliche Unterscheidung aus einer Forschungsperspektive Sinn?

Gentechnisch veränderte Nutzpflanzen werden seit über einem Vierteljahrhundert auf inzwischen mehr als 13 Prozent der weltweiten Ackerfläche angebaut, ohne dass man Belege für spezielle Gefahren gefunden hätte, zum Beispiel für die Gesundheit. Von mit neuen Methoden entwickelten Pflanzen, die nur arteigene Erbinformation enthalten und auch durch herkömmliche Verfahren entstehen könnten, sind ebenfalls keine speziellen Gefahren zu erwarten – theoretisch wären hier vielleicht noch weniger unerwartete Auswirkungen möglich. Man kann darüber streiten, ob der Unterschied zwischen «sicher» und «vielleicht noch etwas sicherer» eine unterschiedliche gesetzliche Behandlung aus wissenschaftlicher Sicht rechtfertigt. Aber rechtliche Regelungen bauen nicht nur auf wissenschaftlichen Grundlagen auf, sondern auch auf der gesellschaftlichen Wahrnehmung – und hier besteht ein Unterschied zwischen transgenen Pflanzen und Produkten innovativer Züchtungsverfahren wie der Genom-Editierung und der Cisgenese mit arteigenen Erbinformationen, zum Beispiel aus Wildsorten, die auch durch herkömmliche Züchtung oder in der Natur entstehen könnten.


Kritiker der neuen Züchtungsmethoden monieren, dass vieles noch Zukunftsmusik ist, es keine konkreten Beispiele gäbe, die zeigten, dass es tatsächlich eine Nachfrage nach genomeditierten Nutzpflanzen gibt. Haben diese kritischen Stimmen recht? Fehlen die nutzenbringenden Anwendungen tatsächlich?

Die neuen Verfahren der Pflanzenzüchtung, wie zum Beispiel der Einsatz von CRISPR/Cas9, haben einen wahren Innovationsschub ausgelöst. Über 400 genomeditierte Pflanzen, mit einem breiten Spektrum verbesserter Eigenschaften, befinden sich in der Entwicklung, viele sind schon weit fortgeschritten, die ersten bereits auf dem Markt. Das Calyno-Sojaöl mit einer gesünderen Zusammensetzung wird in den USA als Premiumprodukt verkauft und ist bei Konsumenten gefragt. Weltweit werden rasch weitere Produkte auf den Markt kommen – es stellt sich aufgrund der bisherigen hohen gesetzlichen Hürden allerdings die Frage, wie lange das in Europa und der Schweiz dauern wird.


Sollten dereinst genomeditierte Pflanzen in der Schweiz zugelassen werden: Wo sehen Sie hierzulande mögliche Anwendungen?

Die Genom-Editierung erweitert das globale Sortenspektrum mit neuen, bisher nicht oder nur schwer verfügbaren Eigenschaften. Welche dieser Sorten in einem Land genutzt werden, richtet sich nach den lokalen Anforderungen der Landwirtschaft sowie der Gesellschaft. In der Schweiz wird viel Wert auf eine möglichst nachhaltige und ressourcenschonende Landwirtschaft gelegt. Ich sehe daher krankheitsresistente Sorten, welche den Bedarf an Pflanzenschutzmitteln reduzieren, als einen besonders wichtigen Anwendungsbereich. Da bei uns die lokale Produktion besonders geschätzt wird, könnten auch Anpassungen der bewährten und beliebten Sorten an geänderte Anbaubedingungen wie den Klimawandel von Bedeutung werden, um deren Anbau auch weiterhin in der Schweiz zu ermöglichen. Aber auch gesündere Produkte, zum Beispiel mit einer verbesserten Fettsäurezusammensetzung, könnten auf das Interesse der Konsumentinnen und Konsumenten stossen.


Wo legt die auf Genom-Editierung setzende Forschung zurzeit den Schwerpunkt? Geht es um Optimierung der Ertragsmengen, um Schädlingsschutz oder Toleranzen? In welchem Bereich wird zurzeit am intensivsten mit den neuen Züchtungsmethoden gearbeitet?

Die EU hat im Frühjahr 2021 eine umfangreiche Studie vorgelegt, die einen Überblick zur globalen Entwicklungspipeline genomeditierter Organismen gibt. Darin wurden 426 Anwendungen bei Pflanzen auf dem Weg zum Markt beschrieben. Die wichtigsten Gebiete der Genom-Editierung in der Pflanzenzüchtung sind aktuell die optimierte Pflanzenzusammensetzung (Nährstoffe, Stärke, Öl, Vitamine, Allergene usw.) mit 115 Projekten und eine verbesserte Krankheitsresistenz (gegen Pilze, Viren, Bakterien, Parasiten usw.) mit 113 Projekten. 88 Projekte streben Ertragssteigerungen und besser geeignete Wuchsformen an. Eine verbesserte Widerstandsfähigkeit gegen Umweltfaktoren wie Hitze, Dürre, Salz und Überflutung wird in 38 Forschungsansätzen verfolgt. Weitere Züchtungsziele, mit jeweils weniger als 10 Prozent Anteil, sind technische Verbesserungen für die Sortenentwicklung, Herbizidtoleranz, verbesserte Speichereigenschaften sowie veränderte Farbe und Geruch.

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