«Future Food»: Von der Entwicklung in den Einkaufskorb

«Future Food»: Von der Entwicklung in den Einkaufskorb

Proteine gehören zu den wichtigsten Bestandteilen einer gesunden und ausgewogenen Ernährung. Der grösste Teil des von Menschen konsumierten Eiweisses stammt jedoch von Tieren und ist in der Herstellung äusserst ressourcenintensiv. Wie könnten Alternativen aussehen? Und was braucht es, damit alternative Proteinprodukte auch bei den Konsumenten im Einkaufskorb landen? Darüber sprachen drei Referentinnen und Referenten am Swiss-Food Talk.

Freitag, 3. Februar 2023

In den vergangenen fünf Jahren sind die Forschung und die Anzahl Firmen im Bereich der alternativen Proteine regelrecht explodiert. Mehr Proteine mit weniger Ressourcen herzustellen, wäre ein enormer Gewinn, sowohl für die Umwelt als auch das Klima. Denn der grösste Teil der heute konsumierten Proteine stammt von Nutztieren. Die Akzeptanz von Ersatzprodukten hat sich in unseren Breitengraden jedoch noch nicht durchgesetzt. Kulturell bedingte Hürden stehen im Weg. Die Konsumentinnen und Konsumenten kaufen, was sie bereits kennen. Welche Produkte haben das Potenzial, aus der Nische auszubrechen und in grossen Mengen in den Einkaufskörben zu landen?


«Tierische Proteine ineffizient»

Aviv Oren vom Good Food Institute in Tel-Aviv – eine wissenschaftsbasierte gemeinnützige Organisation, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Forschung und Innovation im Bereich alternativer Proteine in Israel voranzutreiben – beginnt sein Referat mit einem Überblick über die Thematik. Weshalb sollten wir uns überhaupt Gedanken über alternative Proteine machen? «Es ist eine simple Rechnung», sagt er. 30 Prozent der weltweiten Landflächen werden für die Landwirtschaft gebraucht. Und 70 Prozent der Landwirtschaftsflächen dienen heute der Ernährung von Nutztieren. Gemäss Prognosen der FAO wird sich die Nachfrage nach tierischen Produkten innerhalb der nächsten Jahrzehnte verdoppeln. «Es ist nicht genügend Land vorhanden, um diese Nachfrage nach Fleisch- und Milchprodukten zu decken», sagt Aviv Oren. Deshalb müssen Proteine künftig auch anders produziert werden können als heute.

«Die Produktion von tierischen Proteinen ist sehr ineffizient. Um eine einzige Kalorie aus einem Rind zu gewinnen, müssen diesem 34 Kalorien verfüttert werden», erklärt Oren weiter. Dies wirkt sich negativ auf natürliche Ressourcen wie Wasser und Land aus. Und auch der Klimawandel wird durch intensive Tierhaltung und die damit verbundenen Methanemissionen vorangetrieben. Tierische Proteine sollten deshalb in Zukunft vermehrt durch alternative Proteine ersetzt werden. «Damit Leute auf alternative Produkte wechseln braucht es Proteine, die wie das Original aussehen, schmecken und auf die gleiche Weise zubereitet werden können», so Oren. Dass dies möglich ist, zeigen bisher vor allem alternative Milchprodukte. Sie haben in den USA bereits einen Marktanteil von 16 Prozent.

Referat Aviv Oren, Good Food Institute

Die Milch ohne Kuh

Das israelische Start-up «Remilk» hat im Bereich von alternativen Milchproteinen bereits beachtliche Erfolge erzielt. Es nutzt Präzisionsfermentation, um eine Milch herzustellen, die sich von der originalen Kuhmilch geschmacklich und äusserlich nicht unterscheidet. Präzisionsfermentation wird schon seit mehreren Jahrzehnten angewendet: «Unser Herstellungsprozess ähnelt vom Prinzip stark der Bierproduktion», sagt Ben Adivi von «Remilk». Ausgangspunkt ist eine einzelne Zelle, die mit dem Milchprotein-Gen einer Kuh ausgestattet ist. Unter Beigabe von Wasser und Zucker vermehrt sich die Zelle unter optimalen Bedingungen in einem grossen Stahltank und es entstehen grosse Mengen an Milchproteinen. Durch einen Isolationsprozess werden die so entstandenen Milchproteine erst getrennt, danach getrocknet und zu einem weissen Pulver verarbeitet. Dieses kann dann zu jedem beliebigen Milchprodukt (Milch, Joghurt, Eiscreme usw.) weiterverarbeitet werden. «Wir erhalten so ein richtiges Milchprodukt ohne eine einzige Kuh», sagt Adivi. «Die Produkte sind laktosefrei und stehen den Originalen in Sachen Geschmack in nichts nach.» Zudem ist der Umweltfussabdruck bedeutend kleiner. Verschiedene Nahrungsmittelhersteller in Israel und der ganzen Welt bekunden grosses Interesse an der «kuhfreien» Milch.

Präzisionsfermentation

Mit der Genscheren-Technik Crispr-Cas können Gene aus Tieren oder Pflanzen sehr präzise und effizient in die Mikroorganismen eingefügt werden. Und unerwünschte Inhaltsstoffe wie Cholesterin oder Allergene wie Lactose können bei der Nahrungsmitteloptimierung weggelassen werden. Mehr dazu hier.

Referat Ben Adivi, «Remilk»

«Alternative Technologien zulassen»

Ob die Produkte von «Remilk» bald auch in Schweizer Ladenregalen stehen werden, ist derzeit fraglich. Das Potenzial wäre gemäss des Coop Plant based food report 2022 vorhanden. So konsumieren derzeit 27 Prozent der Konsumentinnen und Konsumenten mehrmals pflanzenbasierte Ersatzprodukte pro Monat. Alternative Produkte haben es dennoch schwer. Kulturell sind Milch- und Käseprodukte in der Schweiz stark verankert. Konsumentinnen und Konsumenten kaufen, was sie bereits kennen. Damit alternative Proteinprodukte trotzdem auch in der Schweiz an Bedeutung gewinnen, setzt sich die Swiss Protein Association (SPA) für bessere Rahmenbedingungen ein. Zu den Mitgliedern der Organisation gehören auch grosse Schweizer Fleischverarbeiter wie die «Bell Food Group AG» oder die «Migros Industrie», die auch an der Entwicklung von alternativen Proteinen arbeiten.

«Alternativen bedeuten Veränderungen und das kann Angst machen. Deshalb setzen wir uns für einen ideologiefreien Dialog ein», sagt Karola Krell von der SPA. Im Vordergrund steht ein besserer Zugang zu Informationen für Konsumenten: «Lebensmittel aus und mit alternativen Produkten müssen leicht erkennbar sein», so Krell. Ein wichtiges Anliegen ist für die SPA auch die Zulassung neuer Produktionstechnologien. Dazu zählen etwa Zellkulturen und Fermentationsverfahren. Entwicklung und Tests von Lebensmitteln, die mit neuen Technologien produziert werden, unterstehen aber strengen rechtlichen Regelungen. «Das behindert leider auch in der Schweiz die Innovation und Investition von Unternehmen im Bereich der alternativen Proteinprodukte», sagt Krell.

Referat Karola Krell, Swiss Protein Association

Fleischkonsum verschwindet nicht komplett

In der anschliessenden Diskussion waren sich die Teilnehmenden einig, dass der Fleischkonsum wohl abnehmen, aber nicht komplett verschwinden wird. Und dies ist auch sinnvoll. Die Tierhaltung macht insbesondere in Regionen Sinn, wo kein Ackerbau möglich ist. Tierische Produkte wie Fleisch, Eier oder Milch enthalten aber auch wertvolle Mikronährstoffe, die in ärmeren Ländern essenziell für die Menschen sind. Darauf hat Petra Wigger Klassen von Nestlé an einem der letzten Swiss-Food Talks hingewiesen. «Remilk» hat jedoch eine Antwort auf das Problem. Mit der Präzisionsfermentation kann ein Produkt genau nach Wunsch und Bedürfnissen ausgestaltet werden. So lassen sich beispielsweise Mikronährstoffe nach Wunsch zufügen. Für die Ernährung weniger vorteilhafte Bestandteile können weggelassen werden (zum Beispiel Lactose). Insofern kann die «Remilk» auch diesbezüglich mit der originalen Kuhmilch mithalten und sie sogar optimieren.


Herstellung von grossen Mengen herausfordernd

Entscheidend für die Zukunft von alternativen Proteinen sind die Allesesser und die Flexitarier. Sie machen den mit Abstand grössten Teil der Konsumenten aus. Wenn sie Gefallen an den Produkten finden, dürfte die Nachfrage zunehmen und damit auch der Preis sinken. Um alternative Proteine zu erschwinglichen Preisen anbieten zu können, müssen sie in grossen Mengen hergestellt werden können. Die Fertigung im grossen Stil erfordert den Bau von ressourceneffizienten Fabrikationsanlagen, was einige Zeit in Anspruch nehmen dürfte. Damit dies gelingt, sind auch bessere Rahmenbedingungen erforderlich. Karola Krell und die Firmen in der Swiss Protein Association wünschen sich eine mutigere Verwaltung, die sich gegenüber der konservativen EU progressiver verhält. Abstriche bei der Sicherheit gilt es aber zu vermeiden. Die Kennzeichnung von Produkten darf die Konsumenten nicht täuschen, aber auch nicht vom Kauf abhalten. Die Schweiz könnte sich zudem an Ländern wie Singapur und Israel orientieren – sie hat wie diese wenig Platz für ihre dichte Bevölkerung und ist hochinnovativ.

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