
Genom-Editierung soll Grossbritanniens Versorgungssicherheit stärken
Die russische Invasion in die Ukraine hat zu einer Knappheit und starken Preiserhöhungen bei Weizen auf den Agrarmärkten geführt. In Grossbritannien möchte man die eigene Versorgungssicherheit mit resistenteren Pflanzen stärken. Dazu soll ein neues Gesetz verabschiedet werden, das den Anbau von genomeditierten Pflanzen erlaubt. Die Bedeutung der landwirtschaftlichen Produktivität in den Ländern Europas nimmt wieder zu. Auch die Schweiz sollte mehr produzieren.
Montag, 30. Mai 2022
Der Anbau von Pflanzen, die mittels Genom-Editierung gezüchtet wurden, soll die inländische Produktion von Nahrungsmitteln steigern. Mit der Genom-Editierung können so effizient wie nie zuvor Pflanzen gezüchtet werden, die Toleranzen gegen Trockenheit, Hitze, Nässe und Resistenzen gegen Schädlinge oder Krankheiten aufweisen. Das Gesetz, mit dem der Anbau solcher Pflanzen zulässig wird, soll bis spätestens Ende 2022 in Kraft treten. Damit dürften in Grossbritannien bereits 2023 die ersten genomeditierten Lebensmittel in den Supermärkten verfügbar sein. Die rasche Anpassung der Gesetzesgrundlage ist vor allem deshalb möglich, weil die Briten nicht mehr Mitglied der EU sind. Dort gelten weit striktere Regeln in Bezug auf die Genom-Editierung.
Schweiz trödelt
Während sich Grossbritannien dazu entschlossen hat, die eigene Produktion an Nahrungsmitteln zu steigern und damit einen nachhaltigen Beitrag an die globale Versorgungssicherheit zu leisten, trödelt die Schweiz. Zwar hat sie beim Thema Genom-Editierung eine leichte Kurskorrektur beschlossen. Pflanzen, die mittels Genom-Editierung gezüchtet wurden, sollen künftig vom Gentech-Moratorium ausgenommen werden. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, reicht aber bei Weitem noch nicht aus. Es ist zudem zu befürchten, dass das neue Gesetz, das der Bundesrat bis 2024 ausarbeiten muss, sehr restriktiv ausfällt oder auf die lange Bank geschoben wird.
Rückwärtsgang bei neuen Pflanzenschutzmitteln
Beim Thema Pflanzenschutz hat die Schweiz sogar den Rückwärtsgang eingelegt. Die Zulassung von hochspezifischen und damit umweltfreundlicheren Pflanzenschutzmitteln ist praktisch auf Eis gelegt. Unzählige neue Produkte befinden sich mittlerweile seit Jahren in der Warteschleife der Behörden oder werden mit dem Verbandsbeschwerderecht blockiert. Gleichzeitig werden auch immer mehr Pflanzenschutzmittel vom Markt genommen, die beispielsweise für Kulturen wie Raps, Zuckerrüben oder verschiedene Gemüsesorten unverzichtbar sind. Alternativen gibt es zumeist keine. Viele Bauern wissen nicht mehr, wie sie ihre Kulturen angemessen schützen sollen. Dabei könnte das Problem leicht gelöst werden: Würde die Schweiz die EU-Zulassung neuer Wirkstoffe und Produkte anerkennen, wäre schon viel erreicht. Denn pikanterweise übernehmen die Schweizer Behörden beim Rückzug von Pflanzenschutzmitteln die EU-Entscheide, nicht aber bei der Zulassung. Sie leistet sich einen eigenen Zulassungsprozess und die Registrierung erfolgt, wenn überhaupt, meist erst Jahre nach der EU-Zulassung. Dadurch geht den Schweizer Landwirten wertvolle Zeit verloren, um moderne Produkte anzuwenden, die die Produktion auf nachhaltige Weise erhöhen können. Sie sind gegenüber ihren EU-Konkurrenten benachteiligt.
Schwächung der inländischen Produktion
Im April 2022 hat der Bundesrat das erste Verordnungspaket «für sauberes Trinkwasser und eine nachhaltigere Landwirtschaft» verabschiedet. Die beschlossenen Verordnungsanpassungen schwächen mit unverhältnismässigen Massnahmen die einheimische Lebensmittelproduktion. Die neue Gewässerschutzverordnung, welche sich gerade in der Vernehmlassung befindet, wird voraussichtlich zusätzliche Einschränkungen der Palette der in der Schweiz verfügbaren Pflanzenschutzmittel bewirken. In beiden Fällen haben sich die Behörden für eine sehr restriktive Umsetzung des vom Parlament bereits verabschiedeten überbordenden Gesetzes entschieden.
Mehr Importe
All dies zusammen wird zu mehr Importen führen – das Gegenteil von dem, was andere Länder im Moment erreichen wollen. Die aktuellen Entwicklungen in der Schweiz verschlimmern eine bereits schwierige Ausgangslage. Auch im Inland werden die Veränderungen in Preis und Verfügbarkeit der Lebensmittel zur Inflation beitragen, was die Konsumenten direkt in der Kaufkraft spüren. Leidtragende sind aber in erster Linie die ärmeren Weltregionen, aus denen die Schweiz dann importiert. Die Erhöhung von Lebensmittelpreisen hat vor allem in armen Ländern verheerende Auswirkungen.
Umweltfreundliche Intensivierung als Ziel
Ziel der globalen Landwirtschaft muss es sein, den Ressourcenverbrauch zu reduzieren und die Produktivität gleichzeitig zu erhöhen. Dieses Ziel hat auch die Schweizer Agrarpolitik zu verfolgen. Die Weltbevölkerung wird bis 2050 auf voraussichtlich zehn Milliarden Menschen anwachsen. Durch die Folgen des Klimawandels wird der Ernteerfolg tendenziell unsicherer. Eine Extensivierungsstrategie ist unter diesen Voraussetzungen keine vernünftige Option. Eine umweltfreundliche Intensivierung der Produktion ist nur über innovative Technologien zu erreichen. Von Genome-Editing über moderne, hochspezifische Pflanzenschutzmittel bis zur Digitalisierung: Den Schweizer Landwirten müssen sämtliche Tools offenstehen. Es widerspricht einer vorausschauenden Politik, diese Technologien in der Schweiz und der EU weiterhin zu ignorieren. Andere Länder machen vorwärts und leisten ihren Beitrag. In der Schweiz verkennen Politik und Behörden derweil die Zeichen der Zeit.
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