
Genschere für die Apfelzüchtung
Schädlinge und Pflanzenkrankheiten bereiten im Obstbau grosse Probleme. Besonders im Apfelanbau hat die Züchtung resistenter Sorten oberste Priorität. Doch bis eine neue Sorte markttauglich ist, vergehen Jahre. Neue Züchtungsmethoden könnten hier Abhilfe schaffen. Ein Ostschweizer Apfelzüchter spricht sich deshalb für die Abschaffung des Gentech-Moratoriums aus.
Mittwoch, 15. September 2021
Im Rahmen ihrer Sommerserie hat die «BauernZeitung» die beiden Ostschweizer Apfelzüchter Beat Lehner und Markus Kobelt besucht. Sie züchten seit 25 Jahren neue Apfelsorten, von denen schon viele erfolgreich auf dem Markt eingeführt wurden. Apfelschorf, Mehltau oder Feuerbrand sind typische Obstkrankheiten, welche den Landwirten immer wieder Sorgen bereiten. Ziel ist deshalb die Züchtung neuer Sorten, welche gegen solche Krankheiten immun sind. Doch das dauert. Von der ersten Kreuzung bis zur marktreifen Sorte vergehen ungefähr 15 Jahre. Die Schwierigkeit besteht darin, dass der neue Apfel vielen Ansprüchen gerecht werden muss. Er soll «schön fürs Auge sein, gewisse Resistenzen gegen Krankheiten besitzen und auch gut schmecken», sagt Beat Lehner.
Zweistufige Züchtung
Grundvoraussetzung für eine neue Sorte ist bei Lehner und Kobelt die Resistenz gegenüber Schorf. Doch auch gegen den gefährlichen Feuerbrand, eine bakterielle Erkrankung, die nur mit Antibiotika bekämpft werden kann, oder Mehltau streben die beiden Resistenzen an. Entsprechend wichtig ist die Auswahl der Elternpflanzen. In einer ersten Teststufe werden die Pflanzen gekreuzt, woraus ein Mutterbaum entsteht. Dieser wird mehrfach mit Schorfpilz infiziert, um eine Feldresistenz aufzubauen. Nach einem Jahr werden den Sämlingen die Spitzen geschnitten. Sie werden anschliessend auf einer Unterlage veredelt und im Sortengarten angepflanzt.
Jedes Jahr säen die beiden Züchter rund 15'000 Sämlinge an. Sie werden nach den Kriterien Geschmack, Krankheitsresistenz, Ertrag, Aussehen und Lagerfähigkeit selektioniert. Pro Jahr ergeben sich damit 5000 bis 8000 Mutterbäume, wovon jeder eine potenzielle neue Sorte darstellt. Wenn die Bäume ab dem zweiten Jahr zu fruchten beginnen, werden sie von Lehner und Kobelt nach positiven Auffälligkeiten begutachtet. Solche Bäume erhalten eine Zuchtnummer und bleiben während fünf bis neun Jahren im Zuchtgarten.
In einer zweiten Teststufe werden die Bäume im Sortengarten angepflanzt – pro Favorit jeweils fünf Bäume. Danach werden die Äpfel zu drei unterschiedlichen Zeitpunkten geerntet und beurteilt. Die Äpfel kommen anschliessend in den Kühlraum, bis sie im Winter nochmals eine Beurteilung erhalten. Denn die Lagerfähigkeit ist bei Äpfeln eine wichtige Eigenschaft. «Wenn da etwas positiv auffällt, melden wir die Zuchtnummer an», sagt Lehner. Nach ungefähr zehn Jahren stehen erste Testbäume bereit, welche Lehner und Kobelt an potenzielle Kunden abgeben. Sehen diese bei einer Apfelsorte ein Marktpotenzial, beginnt die Baumproduktion.
Genschere könnte Prozess beschleunigen
Neue Zuchtmethoden wie die Genom-Editierung bieten heute die Möglichkeit, Pflanzensorten rasch und ohne jahrelange Rückkreuzungen zu optimieren. Mit der Genschere CRISPR/Cas können Gene so zielgenau wie noch nie verändert werden. Erwünschte Eigenschaften wie Krankheitsresistenzen liessen sich so auf viel effizienterem Weg in neue Sorten einfügen, als dies gegenwärtig der Fall ist. Vor dem Hintergrund des Klimawandels sind robuste und anpassungsfähige Pflanzensorten von grosser Bedeutung. In der Schweiz gilt jedoch seit 2005 ein Gentech-Moratorium. Der Bundesrat hat kürzlich bekanntgegeben, dass auch die Genom-Editierung unter das Moratorium fallen soll. Lehner würde die Abschaffung des Gentech-Verbots begrüssen: «Die heutige Gentechnik ist nicht mehr dieselbe wie vor 30 Jahren.» Neue gentechnische Verfahren würden auch keine Bedrohung für die herkömmliche Züchtung darstellen: «Für eine neue Sorte braucht es immer die traditionelle Züchtung, die freie Kombination von Genen», so Lehner.
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