Greenpeace und die Sache mit den Fakten
Greenpeace kämpft seit Jahrzehnten erbittert gegen die grüne Gentechnik. «SWR Wissen» ging der Frage nach, warum sich die Umweltkampagnenorganisation so ins Thema verbissen und von der wissenschaftlichen Evidenz gelöst hat. Im Fall des «Golden Rice» sind die Folgen besonders krass. Aber auch bei den neuen Züchtungsmethoden droht der Alarmismus wichtige Innovationen zu blockieren.
Dienstag, 31. Oktober 2023
In einer 45minütigen Sendung geht «SWR Wissen» der Frage nach, warum sich die einst für spektakuläre Ankette-Aktionen an Ölplattformen oder Schiffblockaden bekannte Organisation vor ein paar Jahrzehnten auf die grüne Gentechnik stürzte. Und warum sie dabei äusserst aggressiv vorgeht und Versuchsfelder mit gentechnisch veränderten Pflanzen systematisch zerstört. Wer so lautstark und kategorisch vorgeht, muss gute Argumente haben, dachten sich die Verantwortlichen der Sendung und interviewten verschiedene Greenpeace-Exponenten – vom reuigen Aktivisten über die nach wie vor überzeugte Aktivistin und den die Aktionen immer noch rechtfertigenden ehemaligen Kampagnenleiter bis zur Landwirtschaftsexpertin am Greenpeace-Hauptsitz in Deutschland. Mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen renommierter Institutionen wie der Leopoldina oder dem Max-Planck-Institut konfrontiert, dass von gentechnisch veränderten Pflanzen keine Gefahr ausgehe, führt die Landwirtschaftsexpertin aus, dass ihr Kampf auf wissenschaftlichen Fakten beruhen würde. Welche, lässt sie aber offen. Auch sei das Fehlen wissenschaftlicher Quellen auf ihren Kampagnenseiten dem fehlenden Platz geschuldet. Der ehemalige Kampagnenleiter wiederum stellt die Unabhängigkeit der genannten Wissenschaftsinstitutionen infrage – auch er ohne Belege für diese Behauptung.
Auch Kindersterblichkeit lässt Greenpeace kalt
«SWR Wissen» geht auch dem Kampf von Greenpeace gegen den sogenannten Golden Rice nach. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass weltweit jedes Jahr bis zu 500'000 Kinder aufgrund von Vitamin-A-Mangel erblinden. Rund die Hälfte von ihnen sterben innerhalb von zwölf Monaten nach der Erblindung. Dieses Elend könnte längst gelindert werden. Bereits eine Schüssel des gentechnisch veränderten goldenen Reises würde 40 Prozent des Tagesbedarfs des essenziellen Vitamin-A-Bedarfs decken. Natürlich müsste das Ziel eine ausgewogene Ernährung für alle mit Kohlehydraten, Eiweiss, Gemüse und Früchten sein. In armutsbetroffenen Ländern aber, wo das tägliche Menü aus Reis mit Reisbeilage besteht, ist der von den Bauern und Landwirtinnen selber vermehrbare Golden Rice ein Segen. Doch auch die Tatsache, dass bereits 2016 über 100 Nobelpreisträger Greenpeace «Verbrechen gegen die Menschlichkeit» vorwerfen und die Organisation aufrufen, die Erkenntnisse zuverlässiger wissenschaftlicher Einrichtungen anzuerkennen, lässt diese kalt. Greenpeace versucht auch, ihren Einfluss kleinzureden, obwohl sie gerade eben in den Philippinen den Anbau von Golden Rice gerichtlich verhindert hat. Die SWR-Redaktoren kommen zum Schluss, dass Greenpeace bei der grünen Gentechnik ein Problem mit Fakten hat und Dinge behauptet, welche die Organisation nicht belegen kann.
Nutzen-Argumente der Gentechnik-Befürworter im Beitrag überzeugen
SWR fühlt auch den Befürwortern den Puls. Die Tatsache, dass die sogenannt traditionelle Züchtung mittels chemischer Behandlung oder radioaktiver Strahlung die «robustesten Überlebenden» für den biologischen oder konventionellen Pflanzenbau selektiert, lässt die Genschere Crispr/Cas vorteilhafter erscheinen. Es leuchtet ein, dass das gezielte Einfügen oder Löschen von Eigenschaften minimal invasiver, schneller und präziser ist. Allein in Deutschland wären die Ertragsausfälle nur schon bei Weizen ohne resistentere Sorten riesig.
SWR geht zudem der Patentfrage nach. Das interviewte Mitglied der Europäischen Kommission erläutert, warum mit dem Gesetzesentwurf die neuen Züchtungsmethoden allen Züchtern zur Verfügung stehen werden und dass 2026 evaluiert werden soll, ob das Patentgesetz angepasst werden muss. Klar ist schon heute: Hochschulen, Start-ups bis grössere Unternehmen haben ein gemeinsames Interesse an einem wirksamen Innovationsschutz. Das gilt auch für den Agrarbereich. Patente stehen aber nicht in Konflikt mit traditioneller Pflanzenzüchtung. Sorten sind in der Schweiz und Europa nicht patentierbar. Daran wird sich auch nichts ändern. Durch die Notwendigkeit der schnelleren Anpassung von Pflanzen an den Klimawandel werden neue Züchtungseigenschaften an Bedeutung gewinnen und auch Schweizer Züchter haben in einem vernetzten Markt ein Interesse, auf diese Eigenschaften im In- und Ausland zugreifen zu können, aber auch eigene Innovation zu schützen. Darum führt kaum ein Weg an mehr Patentfitness vorbei: Auch KMU müssen mit Patenten umgehen und die Vorteile des Systems für sich nutzen lernen.
Fazit: Es braucht einen nüchternen Blick auf Warnungen aller Art: Für viele Nichtregierungsorganisationen gehört Warnen zum Geschäftsmodell. Aber auch für viele Medien. Alarmismus – ohne dazugehörige Risikoabwägung und ohne Folgeabschätzung – ist aber verantwortungslos und führt zu Stillstand. So geschehen in Europa bei der grünen Gentechnik – mit negativen Auswirkungen auch auf Menschen in Entwicklungsländern. Sie wären auf Lösungen wie mikronährstoffreiche Nahrung oder integrierten Schädlingsschutz angewiesen. Statt schädliche Warnungen zu verbreiten, ist es an der Zeit, auf Fakten zu setzen.
Auch pauschale Argumente werden bedient
Leider wird der SWR-Beitrag seinem Anspruch bezüglich Fakten nicht ganz gerecht: Im letzten Teil werden Klischees wie «Machtkonzentration im Saatgutmarkt», «Patente auf Saatgut zur Abschottung» und dasjenige, dass «die grüne Gentechnik ihre Versprechen bisher nicht eingelöst hätte» ohne weitere Prüfung bedient. In einem Blindspot-Artikel gehen wir diesen Aussagen, die gerne als zusätzliche Argumente gegen die Grüne Gentechnik angeführt werden, auf den Grund.
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