Grüne Gentechnik: Sicherheitsbedenken ziehen nicht mehr

Grüne Gentechnik: Sicherheitsbedenken ziehen nicht mehr

swiss-food.ch lud Ende Oktober in Zürich zu einer Filmvorführung mit Podiumsgespräch zum Thema Genom-Editierung «Zwischen Protest und Potenzial» ein. Der Anlass war gut besucht und beschäftigte sich mit der emotionalen Diskussion um Gentechnik der vergangenen Jahrzehnte.

Freitag, 3. November 2023

Die Veranstaltung illustrierte, dass sich die Situation grundlegend verändert hat. Zwar ist der Anbau von gentechnisch modifiziertem Saatgut nach wie vor in vielen Ländern verboten, sagte Nicole Borel, Kommunikations- und Public Affairs-Verantwortliche von Bayer Schweiz. Doch es tue sich etwas. Und so rückte der Abend Chancen und Potenzial von neuen Züchtungstechnologien ins Zentrum.

«Es braucht mehr Technologie, damit die Bevölkerung weltweit genügend erschwingliche Nahrung hat und gleichzeitig Klima und Umwelt geschützt werden können», betonte Regina Ammann zur Einleitung. Ammann ist bei Syngenta für Business Sustainability und Public Affairs in der Schweiz verantwortlich. Sie rief auch kurz die Zielsetzungen von swiss-food.ch in Erinnerung: Die Wissensplattform im Bereich Landwirtschaft und Ernährung setze auf faktenbasierte Information. Sie stehe für umfassende Nachhaltigkeit in den drei Dimensionen Umwelt, Wirtschaft und Soziales. Zudem kommt der Ressourceneffizienz eine grosse Bedeutung zu. Denn die natürlichen Ressourcen sind knapp. «Deshalb sind wir der Überzeugung, dass laborbasierte Lösungen für die Zukunft wichtig sind.»

Dazu gehören auch Züchtungstechnologien, welche das Genom im Unterschied zur Zufälligkeit traditioneller Züchtung gezielt verändern. Doch Gentechnik wurde zum Kampfbegriff. Gentechnisch veränderte Lebensmittel lösen Abwehrreaktionen aus. Auch die Schweiz hat 2005 ein Moratorium erlassen, welches den Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen bis Ende 2025 verbietet.


Gentechnik rettet eine ganze Industrie

Die Schweiz ist jedoch kein Einzelfall. Das zeigte der Film «Food Evolution» von Scott Hamilton Kennedy. Er dokumentiert den weltweiten emotionalen Widerstand gegen Gentechnik der letzten Jahrzehnte. Der Film beginnt mit einer Abstimmung im County Council von Hawaii, bei der sich die Abgeordneten für ein Verbot von GVO aussprachen. Begründet wurde der Entscheid mit potenziellen Gesundheitsrisiken für die Menschen, wie von zahlreichen Anti-GVO-Aktivisten behauptet wurde.

Doch das unwissenschaftliche Totalverbot in Hawaii musste schon bald weichen. Für den Wandel steht die Regenbogen-Papaya. Hawaii war einst weltweit führend bei Papaya-Exporten. Doch nachdem ein Virus die Papaya-Bäume vernichtete, kam die gesamte Produktion zum Erliegen. Nur durch jahrelange Forschung und die erfolgreiche «Impfung» der Papaya durch modifizierte Gene konnte die Papaya-Produktion auf Hawaii gerettet werden. Wissenschaftliche Studien haben zudem gezeigt, dass durch Verzehr und Anbau der virusresistenten Regenbogen-Papaya keine Schäden auftraten. Die genmodifizierte Papaya ist sowohl für den Menschen als auch für die Umwelt sicher.

Panel-Video Genom-Editierung «Zwischen Protest und Potenzial»

Food Evolution

Der Film von Scott Hamilton Kennedy zeigt schonungslos auf, wie auf der ganzen Welt gezielt Fehlinformationen im öffentlichen Diskurs über die Gentechnik eingesetzt wurden und werden. Er verbindet die Erklärungen zur Pflanzenzucht mit den lokalen Bedürfnissen der Landwirtschaft. Dabei wird die Diskussion in einen psychologischen, sozialen und wissenschaftlichen Kontext gesetzt.

Vorurteile überwinden

In der Wissenschaft herrscht heute ein breiter Konsens, dass gentechnisch veränderte Pflanzen nicht gefährlicher sind als herkömmlich gezüchtete. Doch wie der Film illustriert, vertrauen Menschen in manchen Belangen stärker ihrem Bauchgefühl als den wissenschaftlichen Fakten. Das war der Ausgangspunkt des Podiumsgesprächs unter der Leitung von Reto Brennwald. Es diskutierten Dr. Angela Bearth (Consumer Behavior Group ETH Zürich und Vizepräsidentin Forum Genforschung), Gabi Buchwalder (Vorstand Sorten für morgen), Prof. Dr. Beat Keller (Institut für Pflanzen- und Mikrobiologie, Universität Zürich) und Prof. Dr. Dr. Urs Niggli (Präsident Institut für Agrarökologie).

In der Reaktion auf den Film war Gabi Buchwalder schockiert und sowohl Urs Niggli als auch Beat Keller fühlten sich in die 1990er-Jahre zurückversetzt. Angela Bearth erklärt das Misstrauen in der Bevölkerung: «Wenn etwas unbekannt ist, dann erhöht sich die Risikowahrnehmung. Natürlichkeit ist stark verankert.» Die Sozialforschung hat eruiert, dass wir bei Lebensmitteln besonders zurückhaltend sind. «Natürlich» wird als «gesünder» empfunden. Bei Medikamenten ist es anders. «In der Prävention setzen wir häufiger auf Homöopathie. Wenn wir krank sind, dann sind wir aber sofort bereit, Chemie zu nehmen.» Man will, dass es wirkt. Ob es bei der Gentechnik um «natürliche» versus «unnatürliche» Pflanzen gehe, fragte der Moderator. Vehement tritt Niggli diesem Begriff von Natürlichkeit entgegen: «Landwirtschaft ist nichts anderes als Technologieentwicklung. Landwirtschaft hat nichts mit Natur zu tun. Gottseidank, sonst könnten wir die Menschen gar nicht ernähren.» Der Pflanzenforscher Beat Keller pflichtet bei und meint zur wahrgenommenen Differenz «natürlich – unnatürlich»: «Die meisten sind sich nicht bewusst, wie unnatürlich die heutigen Nutzpflanzen sind.» Die Nutzpflanzen sind sehr weit von natürlichen Pflanzen entfernt, sind sie doch das Resultat von langjähriger Züchtungsarbeit, um möglichst viele gewünschte Eigenschaften wie Ertrag, Resistenz, Aussehen, Geschmack, Haltbarkeit usw. gleichzeitig zu erreichen.

Aber hat der Eingriff ins Erbgut eine neue Dimension? Nein, sagt Buchwalder. «Auf einem gewöhnlichen Weizenfeld passieren ständig Mutationen.» Die Veränderungen, die durch Genom-Editierung ausgelöst werden, sind von den natürlichen Mutationen nicht mehr unterscheidbar. swiss-food.ch hat die Fakten hier zusammengetragen. «Es passiert in der Natur auch», bekräftigt Keller. Zudem ist die Sicherheitsfrage wissenschaftlich geklärt. So wie wir beim Klimawandel auf die Wissenschaft hören, können wir es auch bei der Gentechnik. Diese Erkenntnis hat auch die Politik erfasst. Grossbritannien hat schon im Sommer grünes Licht für den Anbau von Pflanzen gegeben, die mithilfe von Genom-Editierung gezüchtet worden sind. Nachdem die EU-Kommission im Sommer 2023 mit einem Vorschlag für eine Lockerung kam, hat das EU-Parlament im Oktober die Arbeit an einem Erlass aufgenommen. Die EU arbeitet also mit Hochdruck an einem Erlass und das Parlament in Bern hatte dem Bundesrat den Auftrag gegeben, bis Mitte 2024 einen Gesetzesentwurf für die Zulassung von Pflanzen vorzulegen, die mit arteigenen Genen gezüchtet wurden. Doch dieser trödelt weiter und will erst ein Jahr später dem Auftrag nachkommen.

Für Biopionier Urs Niggli ist der EU-Vorschlag ideal. «Beim heutigen Vorschlag werden Biobauern nicht bedroht.» Trotzdem bleibt der Widerstand. Niggli ergänzt: «GVO war so ein lieb gewordenes Feindbild. Man kann sich profilieren, wenn man GVO als Feindbild aufrechterhält.» Niggli hat die Gentechnik in den 1990er-Jahren auch bekämpft. Heute sieht er das Thema anders. Er befürwortet die Genom-Editierung. Und er erhofft sich davon, dass es in Zukunft weniger Pflanzenschutzmittel oder Stickstoffdünger braucht. Beides sieht er als problematische Stoffe. «Genom-Editierung ist – neben der Präzisionslandwirtschaft – ein wichtiges Element, damit wir den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln reduzieren können.» Und Gabi Buchwalder betont, dass es angesichts des Klimawandels mit der Pflanzenzucht rasch vorwärts gehen müsse.


Fakten anerkennen

Die Gesprächsteilnehmenden sind sich einig. Die Sicherheitsdiskussion zieht nicht mehr. Es ist das viel grössere Risiko, Genom-Editierung in der Pflanzenzucht nicht anzuwenden. Der grosse Nutzen ist wissenschaftlich belegt. Die Schweizerische Akademie der Naturwissenschaften hat in einem Dossier fünf Pflanzen vorgestellt, die mittels Genom-Editierung gezüchtet werden und es zeigt sich aktuell auch bei den Schweizer Apfelsorten, dass die neuen Technologien grosses Potenzial mit sich bringen.

Doch in der öffentlichen Diskussion taucht immer wieder das Argument auf, «man wisse noch zu wenig». Beat Keller kontert: «Das ist das immer wieder angeführte Killerkriterium! Es sind neue Methoden – ja, aber wir können heute genau feststellen, was im Genom verändert wird. Heute lässt sich das ganze Genom eines Organismus sequenzieren. So sieht der Forscher sofort, ob ausser der gewünschten Veränderung noch etwas anderes aufgetreten ist. Das ist anders als vor 20 Jahren.» Und er ergänzt: «Es ist nicht ersichtlich, was denn ein Risiko sein könnte. Als Wissenschaftler braucht man Hypothesen. Man muss artikulieren, was das Problem sein könnte. Nur wenn es konkrete Hypothesen gibt, kann man diesen auch nachgehen und sie widerlegen. Wenn man einfach sagt, man wisse zu wenig, dann ist das lediglich eine schlechte Ausrede.» Unter diesem Vorwand liesse sich jede neue Technologie verhindern. Das Vorsorgeprinzip wird so zum Verbotsprinzip.


Schädliche Konsequenzen von Technologieverboten wahrnehmen

Weil das Sicherheitsargument nicht mehr zieht, sprechen die Gegner heute häufiger von der Macht der Konzerne bei der Pflanzenzucht. Urs Niggli sagt dazu: «Es wird sehr viel damit argumentiert, dass das Saatgut monopolisiert wird. Es wird gesagt, dass die Kleinen nicht mitmachen können.» Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Phänomene müsse man diskutieren, doch das habe nichts mit der Technologie an sich zu tun. Niggli hat schon eingangs erklärt. «In der Schweiz brauchen wir keine Gentechnik. Wir können aus der ganzen Welt die besten Produkte in Bio- oder auch in konventioneller Qualität importieren. Damit ist für uns Schweizer alles geregelt. Wunderbar! Aber dass wir die ganze Welt mit unseren Entscheiden belasten, wird gerne vergessen.»

Doch hat gerade der Forschungsplatz Schweiz bereits Grosses für die Menschheit geleistet: So hat der ETH-Forscher Ingo Potrykus mit Kollegen bereits vor Jahrzehnten den «Golden Rice» erfunden: Einen gentechnisch veränderten Reis, der für Millionen in Armut lebende Menschen das lebensnotwendige Vitamin A mit der täglichen Reisschüssel bereitstellen soll. Doch die Anpflanzung wird insbesondere von Greenpeace genauso lange verhindert. Ohne jegliche wissenschaftlichen Argumente, wie ein aktueller Beitrag auf SWR zeigt.

Genau das spricht dafür, dass sich auch der Forschungsplatz Schweiz in der Weiterentwicklung der Pflanzenzucht engagiert. Gemäss Pflanzenforscher Keller ist schon vieles abgewandert – die Grundlagenforschung wie die diesbezüglichen Forschungsabteilungen der Industrie. Damit hat er recht: Die grossen Unternehmen sind flexibel, der Innovationsstandort Schweiz verliert. Denn es wanderten nicht nur die Forschungskooperationen zu Universitäten ins Ausland ab. Es bildet sich auch keine Start-up-Szene. Denn kein KMU kann sich Versuche auf einer vor Vandalismus hochgeschützten, teuren «Protected Site» leisten. Und junge Forscherinnen und Forscher arbeiten lieber in einem Umfeld, das den Nutzen ihrer Arbeit wertschätzt. Oder wie es ein Professor der Pflanzenbiotechnologie ausdrückte: «Ich verliere junge Forscher nach wenigen Jahren. Sie sehen keine Perspektive und haben es satt, beim Bier am Abend von den Kollegen in die «Grüsel-Ecke» gestellt zu werden, nur weil ihr Forschungsgebiet die grüne Gentechnologie ist.» Die Technologieoffenheit einer Gesellschaft ist daher die Grundvoraussetzung, dass in einem Land ein vibrierendes Ökosystem entstehen kann. Keller sagt: «Ich fürchte einfach, dass wir mit unserer Zurückhaltung irgendeinmal einfach überrollt werden von den globalen Entwicklungen. Dann können wir nur nachvollziehen, was irgendwo sonst passiert. Das ist schade. Wir sollten selbstbestimmt und aktiv auf die Zukunft zugehen.»

Panel-Diskussion unter der Leitung von Reto Brennwald

  • Dr. Angela Bearth, Consumer Behavior Group ETH Zürich und Vizepräsidentin Forum Genforschung (SCNAT)
  • Gabi Buchwalder, Vorstand Sorten für morgen
  • Prof. Dr. Beat Keller, Institut für Pflanzen- und Mikrobiologie, Universität Zürich
  • Prof. Dr. Dr. Urs Niggli, Präsident Institut für Agrarökologie

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