Grundsatzentscheid der EU für neue Züchtungsmethoden mit Stolpersteinen

Grundsatzentscheid der EU für neue Züchtungsmethoden mit Stolpersteinen

Das EU-Parlament hat sich am 7. Februar dafür ausgesprochen, dass in der EU die neuen genomischen Züchtungsmethoden zugelassen werden sollen. Die Abgeordneten stimmten mit 307 zu 263 Stimmen bei 41 Enthaltungen für eine entsprechenden Vorlage. Nun folgen weitere Beratungen.

Montag, 12. Februar 2024

Der Entscheid ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem zeitgemässen EU-weiten Zulassungsregime für Pflanzen, die mittels neuer Züchtungstechnologien (Genom-Editierung) gezüchtet wurden. Die Debatte im Parlament hat aber gezeigt, dass der Widerstand gegen eine moderne Landwirtschaft ungebrochen ist. Über 250 Einzelanträge wurden zum an sich zielführenden Vorschlag der Kommission eingebracht. Das Ziel dieses polittaktischen Manövers ist klar: Die Vorlage soll mit zusätzlichen Auflagen und Einschränkungen überladen und damit für die Praxis unbrauchbar gemacht werden.

Das hat in der Vergangenheit bereits einmal funktioniert, nämlich bei den Beratungen zum Gentechnikgesetz für transgene Pflanzen. Diese unterliegen in der EU – im Gegensatz zur Schweiz – keinem Moratorium, und dennoch fristen sie aufgrund der extremen Auflagen für Zulassung, Koexistenz, Kennzeichnung, Monitoring und getrennten Warenflüssen in der Praxis nur ein Nischendasein in der europäischen Landwirtschaft. Beispielsweise wird transgener Mon810-Mais für Tierfutter in Spanien angebaut. Faktisch wird der Anbau in den meisten EU-Ländern aber durch die allzu zahlreichen Auflagen verunmöglicht.

Das Parlament hat am 7. Februar 2024 mehrere dieser Anträge angenommen, die für die erfolgreiche Etablierung neuer Züchtungsmethoden Stolpersteine sein werden, wenn sie denn bis am Ende des politischen Prozesses bestehen bleiben: So zum Beispiel eine Deklarationspflicht für Endverbraucher, ein Monitoring auf Umweltauswirkungen für mit neuen Technologien gezüchteten Pflanzen und das Verbot aller Patente in Zusammenhang mit genomischen Techniken erzeugten Pflanzen. Für den Innovationsstandort Europa ist es ein schlechtes Zeichen, wenn Patente als Bedingung für kommerzielle Forschung eingeschränkt werden – diese müsste dann weiterhin ausserhalb der EU stattfinden. Das EU-Parlament ist damit dem gängigen NGO-Narrativ «No patents on seeds» aufgesessen, denn Patente schränken entgegen dieser Erzählung die normale Züchtung nicht ein: Patentiert werden können keine Pflanzenarten oder -sorten, sondern nur menschgemachte technische Erfindungen. Bei Pflanzen sind das etwa ganz klar definierte neuartige genetische Eigenschaften, die mit technischen Mitteln («im Labor») erzeugt wurden und die gemessen am neuesten Stand der Technik erfinderisch und einzigartig sein müssen. Was in der Natur einfach so vorkommt, ist nie patentierbar. Weshalb also sollen Patente auf solchen technischen Erfindungen anders behandelt werden als in anderen Geschäftsbereichen?


Ein Etappensieg für die Wissenschaft

Die Stossrichtung der Opposition, eine breite Zulassung durch übertriebene Regulierung zu erschweren, zeigt aber auch, dass diese die intellektuell-wissenschaftliche Auseinandersetzung zum Thema verloren hat. Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte, dominierten die Bedenkenträger den öffentlichen und politischen Diskurs. Stets wurde das Vorsorgeprinzip bei den Diskussionen um Chancen und Risiken der grünen Gentechnik ins Feld geführt und damit sämtliche Neuerung in diesem Bereich abgeklemmt. Diese Abwehr hat mit dem Entscheid des EU-Parlaments mehr als nur kleine Risse bekommen. Nun muss die EU-Politik auf Kurs bleiben, um eine praxistaugliche, möglichst schlanke Zulassung zu beschliessen.

Einen grossen Anteil an diesem fast schon historischen Entscheid des Parlaments hat zweifelsohne die Forschung. Trotz schwierigem Umfeld hat diese in den vergangenen Jahren grosse Fortschritte im Bereich der Züchtungstechniken erzielt. Dass es heute möglich ist, Pflanzen zielgerichtet und schnell zu modifizieren, dass diese sich besser ändernden Umweltbedingungen anpassen können, ist eine kleine wissenschaftliche Revolution. Doch die Fortschritte in der Forschung wären in den Laboren versandet, wären die Wissenschaftler nicht auch überzeugende Botschafter dieser neuen Technologie geworden. Die öffentlichen Debatten um die Risiken und Chancen neuer genomischer Ansätze zeigten es: Die wissenschaftliche Evidenz hat sich in weiten Kreisen der europäischen Öffentlichkeit durchgesetzt. Der offene Brief von über 1500 Wissenschaftlern, darunter 35 Nobelpreisträgern, ans EU-Parlament dürfte zusätzlich Wirkung entfaltet haben.


Auch in der Schweiz stehen 2024 Weichenstellungen an

Die Angstkampagnen der Gegner, die aus wissenschaftlicher Sicht nichts entgegensetzen konnten, verfangen immer weniger. Der jüngste Entscheid des EU-Parlaments zeigt dies deutlich. Die aktuellen Proteste der Landwirte in zahlreichen europäischen Ländern dürften zudem vielen Parlamentariern aufgezeigt haben, dass die Bauern neue Lösungen brauchen, damit sie auch in Zukunft genügend und erschwingliche Nahrungsmittel produzieren können. Es ist zu hoffen, dass der Rat der Europäischen Union dem Parlament und der Kommission im Grundsatz folgt und die Zulassung der neuen Züchtungstechnologien ebenfalls befürwortet. Es ist aber auch klar, dass die Landwirtschaft in der EU nur dann auf zukunftsweisende Pflanzen setzen kann, wenn die vom EU-Parlament gemachten Einschränkungen entfallen.

Die Schweizer Regierung tut derweil gut daran, die Entwicklungen in der EU genau zu beobachten. Bis Mitte 2024 muss der Bundesrat auch hierzulande eine Vorlage präsentieren, welche die Zulassung der neuen Züchtungstechnologien skizziert. Sollte die EU zuvor und vor allem schlank regulieren, wäre es naheliegend, sich daran zu orientieren. Falls die EU erst nach den im Juni 2024 stattfindenden EU-Wahlen zu einem abschliessenden Standpunkt gelangt, könnte die Schweiz mit einer pragmatischen Zulassungspraxis vorangehen und so indirekt auch für die EU-Gesetzgebung ein «role model» sein. Wichtig wäre in diesem Fall ein Vorangehen der Schweiz auch für die hiesige Forschungs- und Start-up-Landschaft, denn Grossbritannien ist seit der Liberalisierung auf dem Weg an die Spitze der Agrar- und Lebensmittelforschung, die von den USA und China besetzt ist. 2024 wird in Europa und der Schweiz auf jeden Fall ein schicksalhaftes Jahr für die Zukunft der Landwirtschaft – und zum Prüfstein für die immer wieder gehörte Absichtserklärung, dass man «essenzielle Industrien» auf unseren Kontinent (zurück-)holen möchte. Es bleibt zu hoffen, dass der grundsätzlichen Zustimmung zu den neuen Züchtungsmethoden jetzt eine praxistaugliche, wirtschaftsfreundliche Umsetzung folgt.

Was bringen die neuen Züchtungstechnologien der Schweizer Landwirtschaft überhaupt?

Die Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT) stellt konkrete Anwendungsbeispiele genom-editierter Nutzpflanzen aus der Züchtungsforschung vor, die für die Schweizer Landwirtschaft von Interesse sind. Die Wissenschaft ist sich einig: Die Genom-Editierung ist eine Chance für die Schweiz. Hier finden Sie eine ausführliche Broschüre zum Download.

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