Invasive Arten mitverantwortlich fürs Artensterben

Invasive Arten mitverantwortlich fürs Artensterben

Der UNO-Weltrat für biologische Vielfalt hat die Rolle von invasiven gebietsfremden Arten beim Artensterben untersucht. Die Schlussfolgerungen des Berichts sind dramatisch: Invasive gebietsfremde Arten stellen für Natur, Wirtschaft, Ernährungssicherheit und menschliche Gesundheit eine grosse Gefahr dar. Sie spielen eine Hauptrolle bei 60 Prozent des Aussterbens von Tieren und Pflanzen. Die jährlichen Kosten, die durch invasive gebietsfremde Arten verursacht werden, belaufen sich laut Bericht auf mehr als 423 Milliarden US-Dollar.

Mittwoch, 20. September 2023

Der UNO-Weltrat für biologische Vielfalt (IPBES) schreibt in seinem Bericht, dass die Bedrohung durch invasive gebietsfremde Arten massiv unterschätzt wird. Bereits 2019 wies das IPBES in einem Bericht darauf hin, dass invasive gebietsfremde Arten zu den fünf wichtigsten Faktoren für den Verlust an Biodiversität gehören. Basierend darauf arbeitete die Organisation mehr als vier Jahre mit 86 Experten aus 49 Ländern am jüngsten Bericht (September 2023). Es handelt sich um eine sorgfältige Beurteilung der Auswirkungen invasiver Arten auf Ökosysteme. In der Schweiz berichteten auch Publikumsmedien wie Watson und Blick darüber.


Indigene Völker als Leidtragende

Für Professorin Helen Roy (Co-Chair des Berichts) stellen invasive gebietsfremde Arten eine bedeutende Bedrohung für die Biodiversität dar. Sie können irreversible Schäden in der Natur verursachen. Dies umfasst sowohl das Aussterben von Arten als auch Risiken für die menschliche Gesundheit. Es werden nicht alle gebietsfremden Arten als invasiv betrachtet, sondern nur jene, die unerwünschte Auswirkungen haben. Tatsächlich sind nur rund sechs Prozent der gebietsfremden Pflanzen, 22 Prozent der gebietsfremden Tiere ohne Wirbelsäule, 14 Prozent der gebietsfremden Tiere mit Wirbelsäule und elf Prozent der gebietsfremden Mikroben invasiv. Insbesondere indigene Völker sind von den verheerenden Auswirkungen invasiver gebietsfremder Arten betroffen. Da ihr Leben eng mit der Natur verbunden ist, sind sie anfällig für drastische Ökosystemveränderungen.


Artensterben und Krankheiten beim Menschen als Folgen

Der UNO-Weltrat für biologische Vielfalt berichtet, dass invasive gebietsfremde Arten bei 60 Prozent der Aussterbensereignisse von Tieren und Pflanzen eine Hauptrolle spielten. Bei 16 Prozent der Fälle waren die invasiven Arten der einzige Auslöser. Mindestens 218 invasive gebietsfremde Arten waren für mehr als 1200 Fälle lokalen Artensterbens verantwortlich. Beispiele für solche Auswirkungen sind die Art und Weise, wie nordamerikanische Biber und Pazifische Austern Ökosysteme verändern – oft mit schwerwiegenden Folgen für einheimische Arten. Ausfälle in der Land- und Forstwirtschaft, aber auch Krankheiten oder Schäden an der Infrastruktur schlagen gemäss Bericht massiv zu Buche. Die «NZZ» nennt als Beispiel auch den Asiatischen Marienkäfer. Dieser wurde zur biologischen Blattlausbekämpfung nach Europa eingeführt. Er hat sich massenhaft vermehrt und könnte die einheimischen Marienkäfer verdrängen. Er ist bei Winzern verhasst: Die Tierchen übernachten im Herbst gerne in den Traubendolden; werden sie mitgeerntet, machen sie den Wein bitter.

Betroffen ist auch die Gesundheit der Menschen. Im Bericht genannt werden gesundheitliche Auswirkungen, einschliesslich Krankheiten wie Malaria, Zika und Westnil-Fieber, die durch invasive gebietsfremde Mückenarten wie Aedes albopictus und Aedes aegyptii verbreitet werden. Invasive gebietsfremde Arten schädigen auch Lebensgrundlagen. Beispielsweise ist im Viktoriasee die Fischerei aufgrund des Rückgangs von Tilapia gesunken, als Ergebnis der Ausbreitung der Wassernuss (Pontederia crassipes). Sie ist die weltweit am häufigsten vorkommende invasive gebietsfremde Art.


Schutz der lokalen Biodiversität hoch auf der internationalen politischen Agenda

«Eine der wichtigsten Botschaften des Berichts ist, dass ehrgeizige Fortschritte bei der Bekämpfung invasiver gebietsfremder Arten möglich sind», sagte einer der Autoren. «Was wir brauchen, ist ein kontextspezifischer integrierter Ansatz, länderübergreifend und innerhalb der verschiedenen Sektoren, die an der Gewährleistung der Biosicherheit beteiligt sind, einschliesslich Handel und Transport, Gesundheit von Menschen und Pflanzen, wirtschaftliche Entwicklung und mehr.» Zu den im Bericht untersuchten Optionen gehören kohärente Strategien, aber auch Forschung zur Schliessung von Wissenslücken. Dabei nennen die Autoren mehr als 40 Bereiche, in denen Forschungsbedarf besteht.

«Die unmittelbare Dringlichkeit der invasiven gebietsfremden Arten, die der Natur und den Menschen grossen und wachsenden Schaden zufügen, macht diesen Bericht so wertvoll und zeitgemäss», wird Dr. Anne Larigauderie, die Exekutivsekretärin des IPBES, zitiert. «Die Regierungen der Welt haben sich im Dezember letzten Jahres im Rahmen des neuen Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework darauf geeinigt, die Einführung und Ansiedlung prioritärer invasiver gebietsfremder Arten bis 2030, um mindestens 50 Prozent zu reduzieren. Dies ist eine wichtige, aber auch sehr ehrgeizige Verpflichtung. Der IPBES-Bericht über invasive gebietsfremde Arten liefert die Beweise, Instrumente und Optionen, die dazu beitragen, dass diese Verpflichtung besser erfüllt werden kann.»

An Themen wie Biodiversität oder Artenvielfalt kommt niemand mehr vorbei. Zu wichtig ist die Thematik und zu verknüpft mit anderen Megatrends wie Klimawandel, Konnektivität, Urbanisierung oder Ökologie. Die Sensibilisierung und Wachsamkeit jedes Einzelnen von uns ist genauso wichtig wie die effektive Bekämpfung schadenverursachender Organismen. Denn letztendlich kann trotz der globalen Berichte ein effektives Eindämmen nur lokal passieren – «glokales» Engagement eben.

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