Kunstdünger wird knapp

Kunstdünger wird knapp

Der Krieg durch die Russen gegen die Ukraine hat verheerende Auswirkungen auf die globale Landwirtschaft. Die beiden Länder produzieren grosse Mengen an Weizen für den Weltmarkt. Russland gehört zudem zu den wichtigsten Herstellern von Düngemitteln. Diese drohen nun knapp zu werden. Europäische Länder wollen die drohende Knappheit mit mehr Gülle ausgleichen. Welche negativen Auswirkungen ein Mangel an synthetischen Düngern haben kann, zeigt das Beispiel Sri Lanka.

Mittwoch, 20. April 2022

Die «Welt am Sonntag» warnt vor einer weltweiten Knappheit an Düngemitteln. Denn: Seit dem Kriegsbeginn ist der Export von Kali, einem Grundstoff von Kunstdünger, aus Russland vollständig zum Erliegen gekommen. Die Auswirkungen auf die weltweite Landwirtschaft sind erheblich, verantwortet Russland doch 30 Prozent der globalen Düngemittelproduktion. António Guterres, Generalsekretär der Vereinten Nationen, warnt vor einem «Hurrikan des Hungers». Auch ein Blick auf die Preisentwicklung gibt Anlass zur Sorge: Eine Tonne Stickstoffdünger ist mit 1700 Dollar so teuer wie noch nie. Über viele Jahre bewegte sich der Preis zwischen 200 und 300 Dollar pro Tonne. Auch bei Kali-Düngern sind die Preise ähnlich gestiegen.


«Agrarpolitik ist Sicherheitspolitik»

Diese Entwicklungen bereiten auch europäischen Politikerinnen und Politikern grosse Sorge. Der deutsche Landwirtschaftsminister Cem Özdemir sieht in der Schaffung einer Düngemittelreserve – auch auf europäischer Ebene – eines der dringlichsten Ziele. Damit stösst er auch bei der Wirtschaft auf Zustimmung: «Wir brauchen einen Masterplan. Dazu gehören eine nationale Düngerreserve und eine europäische oder sogar weltweite Lösung», sagt Matthias Berninger, Verantwortlicher für Public Affairs und Nachhaltigkeit bei Bayer. Ähnlich sieht es auch Agrarexperte Christian Janze vom Beratungsunternehmen Ernst & Young. Die politische Dimension des Düngers sei zu lange vernachlässigt worden: «Agrarpolitik ist Sicherheitspolitik – und zwar mindestens genauso, wie es die Energiepolitik ist», sagt Janze.

Gemäss «Welt am Sonntag» setzt die Ampel-Koalition auf mehr Gülle aus einheimischen Ställen, die den Mangel an Kunstdünger auf den Weltmärkten ausgleichen soll. Ziel ist es, den Zukauf von Kunstdüngern unnötig zu machen. Dadurch würden die Tierhalter entlastet, für die es in den vergangenen Jahren immer schwieriger geworden sei, ihre Gülle zu entsorgen. Mehr Gülle steht aber im Widerspruch zur politisch gewünschten Reduktion der Tierbestände pro Betrieb. Die Diskussion, wie dieses Dilemma zu lösen ist, wird derzeit auch in der Schweiz geführt.


Kunstdünger schwer zu ersetzen

Rund 40 Prozent aller Nahrungsmittel basieren auf dem Haber-Bosch-Verfahren zur synthetischen Herstellung von Ammoniak. Ammoniak ist der Grundstoff zur Herstellung von Stickstoffverbindungen und damit einer der wichtigsten Verbindungen zur Herstellung von künstlichen Düngemitteln. In Sri Lanka wurde der Einsatz und die Einfuhr synthetischer Düngemittel und Pflanzenschutzmittel im Frühjahr 2021 verboten. Die Regierung wollte die Landwirtschaft über Nacht auf 100 Prozent pestizidfrei trimmen. Die katastrophalen Folgen zeigten sich schnell. Wie «swissinfo» berichtet, nutzten zu diesem Zeitpunkt rund 94 Prozent der Reisbauern und 89 Prozent der Tee- und Kautschukbauern synthetische Düngemittel. Der Widerstand der Landwirte wegen geringer Erträge und die steigenden Lebensmittelpreise zwangen die Regierung nach nur einem halben Jahr dazu, synthetische Dünge- und Pflanzenschutzmittel wieder zuzulassen.


«Willkommenskultur für neue Züchtungstechnologien»

Tatsache ist, dass Pflanzenschutz und Düngemittel für die Produktion von ausreichend Nahrungsmitteln unverzichtbar sind. Damit synthetische Düngemittel in Zukunft effizienter eingesetzt werden können, bedarf es neuer innovativer Technologien. Syngenta testet derzeit ein biologisches Produkt, das die Auswaschung von Nährstoffen aus dem Boden verlangsamt und dadurch den Düngemittelbedarf senkt. «Wir möchten, dass alle Landwirte nachhaltiger werden, unabhängig von ihren Produktionsmethoden», sagt Petra Laux, Leiterin Nachhaltigkeit bei Syngenta für die Pflanzenschutzdivision.

Und Shachi Gurumayum, ein ehemaliger Syngenta-Mitarbeiter, der heute für die Geschäftsentwicklung von AgBiTech zuständig ist, einem texanischen Unternehmen, das biologische Schädlingsbekämpfungsmittel vertreibt, meint, dass angesichts der risikoscheuen Mentalität der Landwirte eine nachhaltige und rentable Landwirtschaft bessere Chancen hat sich durchzusetzen als der ökologische Landbau. Die Risikoaversion kommt nicht von ungefähr: In vielen Regionen der Welt kann ein Landwirt nur einmal im Jahr anbauen und ernten – und Ernteausfälle sind nicht versichert. Shachi Gurumayum sagt daher: «Die Frage, die wir uns stellen sollten ist, wie wir von einem Modell, das die Landwirtschaft umgestaltet und für Ernährungssicherheit gesorgt hat, zu einem Modell übergehen können, das sicherere Produkte verwendet, aber die Produktivität aufrechterhält.»

Eine weitere Chance bieten die neuen Züchtungstechnologien wie CRISPR/Cas9. Mit ihrer Hilfe lassen sich Pflanzen züchten, die Stickstoff besser speichern können und dadurch weniger Wasser und Düngemittel benötigen. Matthias Berninger von Bayer fordert in der «Welt am Sonntag» in diesem Zusammenhang eine «Willkommenskultur für neue Züchtungsmethoden». Klar ist: Einfache Lösungen oder eine Hüst-hott-Politik lösen die komplexen Herausforderungen der Landwirte nicht.

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