Laborfleisch wird in den USA erstmals zum Konsum zugelassen
Laborfleisch könnte die Ernährung revolutionieren. Aber in Europa wird es zum Teil vorsorglich verboten. Dabei sind neue Technologien unerlässlich, wenn die Weltbevölkerung ernährt werden soll, ohne die Umwelt zu zerstören, schreibt Matthias Benz in der «NZZ».
Montag, 3. Juli 2023
Dieser Kommentar von Matthias Benz ist als Erstveröffentlichung in der «Neuen Zürcher Zeitung» vom 22. Juni 2023 unter dem Titel «Laborfleisch wird in den USA erstmals zum Konsum zugelassen – diese Offenheit für neue Technologien braucht es auch in Europa» erschienen.
Vielleicht ist es ein Tag für die Geschichtsbücher: In den USA ist Laborfleisch erstmals für den Verkauf an Konsumentinnen und Konsumenten zugelassen worden. Die Firmen Upside Foods und Good Meat dürfen nun Pouletfleisch vertreiben, das nicht von getöteten Hühnern stammt, sondern im Labor mithilfe von Zellkulturen gezüchtet wird.
Damit öffnet sich ein Riesenmarkt für kultiviertes Fleisch. Bisher hatte weltweit erst das kleine Singapur eine Zulassung erteilt.
Besser für Tiere und Umwelt
Die Enthusiasten versprechen sich von Laborfleisch nichts weniger als eine Revolution der Ernährung. Die Menschen können weiterhin richtiges Fleisch essen, ohne dass dafür Tiere sterben müssen.
Gross sind die Hoffnungen auch für die Umwelt. Die herkömmliche Fleischproduktion ist mit einem enormen Ressourcenverbrauch verbunden und macht einen grossen Teil des ökologischen Fussabdrucks unseres Lebensmittelkonsums aus.
Das Laborfleisch benötigt hingegen keine riesigen Landflächen für Tiere und Futtermittelanbau. Es führt nicht zu einer Überdüngung von Landschaften und Gewässern. Bei der Klimabilanz verspricht es ebenfalls besser abzuschneiden – wobei dieser Punkt noch umstritten ist, da die verwendeten Bioreaktoren viel Energie verbrauchen.
Skepsis der Konsumenten
So gross die Versprechungen sind, so gross sind allerdings auch die Zweifel. Ob sich Laborfleisch durchsetzen wird, kann offen gestanden heute niemand sagen.
Der Weg in den Massenmarkt ist weit. Upside Foods und Good Meat planen einen leisen Start: Sie werden ihre Pouletprodukte erst einmal in zwei Restaurants in San Francisco und Washington DC in den Verkehr bringen. Bis kultiviertes Fleisch in amerikanischen Supermarktregalen zu finden sein wird, kann es laut Branchenexperten gut und gerne noch fünf Jahre dauern.
Offen ist auch, wie die Konsumentinnen und die Konsumenten auf das neuartige Produkt reagieren werden. Laborfleisch ist noch vergleichsweise teuer, und es dürfte eine Weile dauern, bis es preislich mit herkömmlichem Fleisch mithalten kann. Zudem könnte ihm grundsätzliche Skepsis entgegenschlagen. Das haben vor einigen Monaten die Diskussionen in Italien gezeigt, bei denen die Gegner mit dem Begriff «Frankenstein-Fleisch» operierten.
Verbot in Italien
Der entscheidende Punkt ist mithin nicht, ob dem Laborfleisch tatsächlich die Zukunft gehören wird. Zentral ist, wie Politik und Gesellschaft solchen neuen Technologien gegenüberstehen.
Dabei zeigen sich frappante Unterschiede zwischen Amerika und Europa. In Italien hat die Regierung Meloni im März entschieden, die Herstellung von Laborfleisch im eigenen Land kurzerhand zu verbieten. Man handle nach dem Vorsichtsprinzip, sagte der Landwirtschaftsminister. Es sei nicht erwiesen, dass das neue Produkt keine Risiken berge. So weit geht man in anderen EU-Ländern und in der Schweiz nicht. Aber auch hier ist klar: Die Zulassungsverfahren für «novel foods» sind so streng, dass es wohl noch Jahre dauern wird, bis Laborfleisch auf dem europäischen Kontinent auf die Teller kommen wird.
Neue Technologien als Schlüssel
Die Europäer sollten sich aber von der Offenheit der Amerikaner eine Scheibe abschneiden. Bis jetzt verschliesst man in der Schweiz und in der EU aus Rücksicht auf die Bauern beide Augen vor der Tatsache, dass die herkömmliche Lebensmittelproduktion eine grosse Belastung für Umwelt und Klima darstellt.
Dabei sind neue Technologien ein wichtiger Schlüssel, um die Ernährung umweltfreundlicher zu machen. Laborfleisch ist nur einer der vielen Ansätze. Zu ihnen gehört auch die grüne Gentechnik, die einen Pflanzenbau mit weniger Pestiziden und geringerem Wasserverbrauch verspricht. Chancenreich sind etwa auch die digitalisierte Präzisionslandwirtschaft oder Indoor-Farming.
Die Lebensmittelherstellung ist in den letzten Jahren eine der technologisch interessantesten Branchen geworden. Es ist höchste Zeit für Europa, dieses Potenzial zu nutzen.
Matthias Benz ist Journalist bei der «Neuen Zürcher Zeitung».
Ähnliche Artikel
Importe statt Regionalität: Tomatenvirus zerstört heimische Produktion
Obwohl Tomaten und Peperoni zu den beliebtesten Gemüsesorten in der Schweiz gehören, werden diese zum Grossteil importiert. Schuld daran sind extreme Wetterbedingungen und Krankheiten. Erste Unternehmen haben bereits resistente Tomatensorten entwickelt – doch der Bund bleibt gegenüber neuen Technologien weiterhin skeptisch.
Katastrophale Weizenernte: Schlechtes Wetter und Einschränkungen beim Pflanzenschutz
Die Meldungen häufen sich: 2024 geht als schlechteste Weizenernte seit Jahrzehnten in die Geschichte ein. Eine der grössten Schweizer Getreidesammelstellen in Thalheim an der Thur erleidet einen historischen Verlust.
«Die Berner Winzer spritzen und spritzen»
Der viele Regen diesen Sommer hat den Berner Winzern zugesetzt und einmal mehr klargemacht, dass es ohne Pflanzenschutz nicht geht – schon gar nicht in schwierigen Anbaujahren. Dass auch pilzwiderstandsfähige Sorten von Ernteverlusten betroffen sind, zeigt, wie prekär die Lage ist. Nichtsdestotrotz zaudert der Bund, wenn es um die Zulassung moderner Pflanzenschutzmittel und neuer Züchtungstechnologien geht.
Wieso Quallen bald auf unseren Tellern landen könnten
Werden Quallen der neue Stern am Superfood-Himmel? Fachleute empfehlen ihren Verzehr und schwärmen von den glibberigen Meerestieren als neue Proteinquelle. Doch die Zulassung solcher Produkte steht noch aus.