Landwirtschaft geht nicht vom Bürostuhl aus

Landwirtschaft geht nicht vom Bürostuhl aus

Die vielen neuen Vorschriften stellen die Landwirte vor schier unlösbare Aufgaben. Wie so häufig verunmöglicht die gut gemeinte Regulation alltagstaugliche Lösungen für eine ressourceneffiziente Produktion. Drei Experten äussern sich in den bäuerlichen Medien kritisch und halten die lange Liste geplanter Massnahmen für praxisfern. Es fragt sich, was geschieht, wenn es den Landwirten dereinst «verleidet», ihren Beruf auszuüben.

Donnerstag, 25. November 2021

Seit vielen Jahren forscht Dr. Andreas Keiser, Dozent für Ackerbau und Pflanzenzüchtung an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL in Zollikofen, mit seiner Arbeitsgruppe am Ziel, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln im Ackerbau deutlich zu reduzieren, ohne die Ertragssicherheit und Qualität zu gefährden. Die geplanten agrarpolitischen Reformen im Ackerbau beurteilt er kritisch gegenüber der Zeitschrift «Die Grüne»: «Moderne Technologien, die Ressourceneffizienz oder auch die integrierte Produktion würden ausser Acht gelassen.»


Hohe Administrationskosten

Auch Sepp Sennhauser, Co-Präsident von Bio Ostschweiz und St. Galler Mitte-Kantonsrat, ist unzufrieden mit der langen Liste neuer Vorschriften für die Landwirtschaft: «Schleppschlauch-Obligatorium, Absenkpfad für Pestizide und Nährstoffe, Eiweissprogramm statt GMF, Programm alte Kühe, 3,5 Prozent Biodiversitätsfläche auf Ackerflächen, Massentierhaltungs-Initiative, Gegenvorschlag dazu usw. Da werden Programme erschaffen, die vielleicht ein hehres Ziel haben, aber meilenweit entfernt sind von der Praxis.» Er ist sich sicher, die Vorschriften würden vor allem zusätzliche Amts- und Kontrollstellen mit den dazugehörenden Auflagen und Kosten verursachen.


Fehlende Personalressourcen

Für viele Betriebe sind all diese administrativen Auflagen nicht zumutbar. Es fehlt den Bauernbetrieben an Personalressourcen. Gemäss Lohnunternehmer Martin Herzig wird der Pflanzenschutz zur vollamtlichen Profiaufgabe. Gegenüber der «Bauernzeitung» sagt Herzig: «Es fehlt vielen Ämtern an Praxisbezug.» Man müsse den «Bitz spüren» und nicht den Bürostuhl, wolle man sinnvolle Gesetze erlassen. Landwirtschaft vom Bürotisch aus zu betreiben, sei jetzt und auch in Zukunft nicht möglich. Etwas konsterniert meint Herzig: «Immer wieder spricht man davon, dass es im Bereich der Bürokratie einfacher wird, aber es passiert genau das Gegenteil.»


Mehr Import

Die Bürokratisierung der Landwirtschaft treibt viele Landwirte aus dem Beruf. Die Experten sind sich einig: Sie wollen in der Schweiz Lebensmittel produzieren. Die Schweiz hat gute Produktionsvoraussetzungen und auch eine Verpflichtung, einen angemessenen Teil der Lebensmittel hier zu produzieren. Doch wenn die produktive Landwirtschaft durch Vorschriften und Bürokratie immer mehr ausgebremst wird, verlagern sich die Emissionen ins Ausland und der Import an Lebensmitteln nimmt unweigerlich zu. Umwelt und Klima ist damit nicht geholfen.

Landwirtschaftsberuf attraktiv halten

Die Herausforderung, Bauern in der Landwirtschaft zu halten und Junge für den Landwirtschaftsberuf zu begeistern, ist überall auf der Welt ein grosses Thema. Denn gemäss UNO-Prognosen steigt die Weltbevölkerung bis 2050 auf 10 Milliarden Menschen an, wovon 70 Prozent in Städten leben werden. Vereinfacht gesagt, müssen die 30 Prozent auf dem Land lebende Weltbevölkerung den Rest ernähren. Technologische Unterstützung fördert nicht nur die Attraktivität des Berufes, sondern ermöglicht auch, dass ältere und körperlich nicht so kräftige Menschen den Beruf ausüben können. Dies ist umso wichtiger in Ländern, in denen die landwirtschaftliche Erwerbsbevölkerung altert. Hier könnte die Anpassung der landwirtschaftlichen Technologien und der Agrarpolitik an die Fähigkeiten und Bedürfnisse älterer Landwirte dazu beitragen, dass ältere Menschen weiterhin produktiv tätig sind.

Blindspot-Artikel

Eine umfassend nachhaltige Lebensmittelproduktion und eine gesunde Ernährung sind komplexe Themenfelder. Es braucht die Betrachtung aus verschiedenen Blickwinkeln. Doch unliebsame Fakten kommen in der öffentlichen Diskussion häufig zu kurz. Wir beleuchten, was gerne im Schatten bleibt. So kommen die Zielkonflikte zur Sprache.

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