11 Megatrends: «Lawinen in Zeitlupe»
Die Welt ist im Wandel. Allerdings ist die Komplexität gross und im Alltag ist die Übersicht schwierig. Megatrends schaffen hier Orientierung. Sie skizzieren die Hauptlinien des Wandels. Megatrends sind wertvolle Navigationshilfen, um den Wandel einzuordnen und zu verstehen. Als «Lawinen in Zeitlupe» bezeichnet das Zukunftsinstitut die Megatrends. Das Bild beschreibt das Phänomen gut. Megatrends entwickeln sich langsam, haben aber enorme Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft. Sie bestimmen das Leben in Zukunft.
Montag, 1. November 2021
Das Wichtigste in Kürze
- Megatrends bestimmen die Entwicklung der Welt während mehrerer Jahrzehnte.
- Sie leiten Paradigmenwechsel ein und führen zu tiefgreifendem gesellschaftlichem Wandel.
- swiss-food.ch beleuchtet gegenwärtige Entwicklungen in Landwirtschaft und Ernährung aus dem Blickwinkel der umfassenden Nachhaltigkeit und der Ressourceneffizienz und ordnet sie verschiedenen Megatrends zu.
Es gibt keine abschliessende Liste von Megatrends. Think Tanks, Beratungsunternehmen sowie Finanzinstitute verwenden verschiedene Kategorien und setzen eigene Schwerpunkte, wenn es um Megatrends geht. swiss-food.ch setzt sich mit den Megatrends auseinander, die Landwirtschaft, Produktion, Verarbeitung und Wiederverwendung von Lebensmitteln und die Ernährung betreffen. Dies aus dem Blickwinkel der umfassenden Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz.
Gemäss der Beschreibung des Zukunftsinstituts bestimmen die Megatrends die Entwicklung der Welt während Jahrzehnten und haben Auswirkungen auf viele gesellschaftliche Bereiche. Sie wirken global, sind vielschichtig und komplex. Hier eine Übersicht über die zentralen Megatrends, die wir im Rahmen von swiss-food.ch und im Kontext der Diskussion über Ernährung ansprechen. Klimawandel und Ressourcenknappheit sind gewissermassen die Basis für viele Megatrends, teilweise werden sie jedoch auch zu den Megatrends gezählt. Weil die beiden Entwicklungen eine grosse Bedeutung für die Land- und Ernährungswirtschaft haben, nehmen wir sie in die Liste auf.
1. Klimawandel
Der Klimawandel betrifft die Landwirtschaft ganz direkt. Unwetter und Dürren mindern den Ertrag. Die nutzbaren Landflächen nehmen durch Versalzung und Wüstenbildung ab, die Erwärmung verändert die Vegetation. Trinkwasser wird knapp, neue Schädlinge und Pflanzenkrankheiten treten auf. Gleichzeitig ist die Landwirtschaft in der Schweiz für rund 14 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Landwirtschaft kann durch klimafreundliche Anbaumethoden die Kohlenstofffixierung im Boden fördern (Carbon sequestration) und einen aktiven Beitrag zur Klimaneutralität leisten.
2. Ressourcenknappheit
Begrenzte Ressourcen sind die Basis und der Treiber für ökonomisches Handeln. Die Ressourcenknappheit verlangt nach Effizienz. Gerade in der Land- und Ernährungswirtschaft müssen Input und Output stimmen; es gilt «Grow more with less». Sonst kommt es zur Verschwendung von Ressourcen und übermässigem Landverbrauch. Die Folgen von Ineffizienz können auch «Food Loss» auf dem Feld oder «Food Waste» beim Endverbraucher sein. Die Ressourcenknappheit verlangt nach umfassender Nachhaltigkeit und dem Denken in Kreisläufen. Der Klimawandel verstärkt den Druck auf den effizienten Umgang mit den knappen Ressourcen. Auch beschleunigt der Klimawandel den Wassermangel. Es regnet weniger, unregelmässiger oder so heftig, dass es zu Überschwemmungen kommt. Die Kombination aus steigenden Temperaturen, Wasserknappheit und Überschwemmungen ist eine fatale Mischung für landwirtschaftliche Gebiete. Es gibt auch einen Zusammenhang zwischen der Wasserknappheit und Hungerkrisen. Wenn das Wasser in einer Region fehlt, bekommen das als Erstes die Landwirte zu spüren.
3. Ökologie
Ökologie ist keine Nische, sondern ein breiter Trend. Sie wird zur gesellschaftlichen Bewegung und zu einem zentralen Wirtschaftsfaktor. Ökologisches Verhalten verlangt nach einer wissenschaftsbasierten, umfassenden Nachhaltigkeit. Vom Bio-Boom zur Sharing-Economy bis zu Zero-Waste. Der Megatrend Ökologie schliesst Innovation zwingend ein – beispielsweise im Bereich der Biotechnologie und neuer gentechnischer Verfahren, um umfassend nachhaltige Produkte und Lösungen zu schaffen.
4. Wissensgesellschaft
Die Welt wird immer gescheiter. Der Bildungsstand steigt global und schafft die Voraussetzung für eine Wissensgesellschaft. Das Wissen ist jederzeit verfügbar und digital abrufbar. Auch in der Land- und Ernährungswirtschaft steigt die Vernetzung und die Verfügbarkeit des traditionellen wie neuen Wissens. Wissen schafft die Voraussetzung für Innovation. Das Resultat sind Produktivitätsfortschritte und nachhaltigere Systeme.
5. Gesundheit
Das Gesundheitsbewusstsein wird zu einem Treiber in der Gesellschaft. Es hat eine grosse Strahlkraft. Gesundheit wird zu einem Lebensziel und steht für Lebensqualität. Die Gesundheit ist eng verknüpft mit Bewegung und gesunder Ernährung. Landwirtschaft und Ernährungsbranche richten sich auf den Megatrend aus. Neue Bedürfnisse wie zum Beispiel pflanzliche Alternativen entstehen, denn diese gelten nicht nur als gut für die eigene Gesundheit, sondern auch für die Umwelt und den gesamten Planeten. Die individualisierte Ernährung umfasst spezifisch auf den einzelnen Menschen zugeschnittene Ernährungspläne inklusive Nahrungsergänzung.
6. Digitalisierung
Die Digitalisierung macht auch vor der Land- und Ernährungswirtschaft nicht halt. Die Forschung stützt sich zunehmend auf mathematische Modelle. Von neuen Züchtungsmethoden bis hin zu Drohnen und Hackrobotern basieren viele neue Technologien auf digitalen Systemen. Zusammen mit der Konnektivität schafft die Digitalisierung die Voraussetzung für künstliche Intelligenz («artificial intelligence»). Die neuen Technologien unterstützen die umfassende Nachhaltigkeit und sorgen für informiertere und datengestützte Entscheide – vom Ackerbau über die Verarbeitung und den Handel bis zum Konsumenten.
7. Konnektivität
Auf Basis der digitalen Transportinfrastrukturen sorgt die Konnektivität für eine tiefgreifende Veränderung. Mit der Konnektivität wird die Welt zum globalen Dorf. Globale wirtschaftliche Strukturen und gesellschaftlicher Austausch gewinnen an Bedeutung. Neue Geschäftsmodelle entstehen. Auch die Land- und Ernährungswirtschaft wird globaler: Nahrungsmittel können dank billiger Transporte von überall her importiert werden. Die Frage, wo was am ressourceneffizientesten und klimafreundlichsten produziert werden kann, gewinnt an Bedeutung. Und mit ihr auch die Nachfrage nach Standards zur Messung der umfassenden Nachhaltigkeit.
8. Demografie
Die Weltbevölkerung wächst. Bis 2050 erwartet die UNO, dass auf der Welt 9,7 Milliarden Menschen leben werden. Zudem werden die Menschen immer älter. Alle müssen ernährt werden. Diese Entwicklung in Kombination mit dem Klimawandel stellt die Ernährungssysteme vor grosse Belastungen. Die Produktivität der Landwirtschaft muss wachsen. Gleichzeitig müssen Klima, Boden und Biodiversität geschützt werden. Und es braucht neue Ernährungsgewohnheiten und neue Formen der Produktion von Lebensmitteln. Stichworte sind regenerative Landwirtschaft und Nahrungsergänzungsmittel.
9. Urbanisierung
Weltweit läuft die Urbanisierung in einem atemberaubenden Tempo ab. Die Vereinten Nationen schätzen, dass im Jahr 2050 rund 70 Prozent der Menschen in Städten leben werden. Viele dieser Städte sind sogenannte Megacities mit mehr als 10 Millionen Einwohnern. Diese Entwicklung stellt die Versorgung der Bevölkerung mit landwirtschaftlichen Produkten vor neue Herausforderungen. Neue Formen der landwirtschaftlichen Produktion wie «urban farming» können zumindest teilweise einen Beitrag zur Versorgung der städtischen Bevölkerung leisten. Zusatznährstoffe und laborbasierte Nahrungsmittel werden wichtiger werden. Stichworte dazu sind alternative Proteine wie «plant-, insect- or algue-based» Nahrungs- und Futtermittel oder Fleisch aus dem Labor. Gleichzeitig gilt es, Landwirtschaft als Beruf attraktiv zu halten und für Junge und Frauen in den Landregionen attraktiv zu machen, um die Städter zu ernähren.
10. Globalisierung
Die Globalisierung beschreibt das Zusammenwachsen der Weltbevölkerung und der wirtschaftlichen Systeme. Alles wird gleichzeitig und beeinflusst sich gegenseitig. Die Arbeitsteilung und der Austausch von Ideen und Waren nimmt zu. Die Globalisierung bezeichnet eine Gleichzeitigkeit der Welt. Sie betrifft auch die Land- und Ernährungswirtschaft: Durch den Welthandel und den Klimawandel nimmt auch die Migration von Schadorganismen zu, die Biodiversitätsflächen und landwirtschaftliche Nutzflächen unvorbereitet treffen. Auch eine Pandemie wie COVID-19 konnte sich wegen der Globalisierung schneller verbreiten. Der Megatrend der Globalisierung wird wohl durch diese Pandemie und Politiken der Einzelstaaten etwas gebremst. Umkehren lassen wird er sich wegen der Vorteile einer komparativen Arbeitsteilung und der internationalen Vernetzung kaum.
11. Multipolare Welt
Nach dem Ende des Kalten Krieges dominierten die USA und der Westen. Doch die Welt verändert sich. China und mit Abstand auch Indien entwickeln sich zu wirtschaftlichen Schwergewichten und Machtblöcken. Weitere Länder in Asien, Afrika und Südamerika haben eine jüngere Bevölkerung als die «alte» Welt und auch daher grosses Entwicklungspotenzial. Die Welt wird multipolar.
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