Migros und die Chancen der Genom-Editierung
Die Nachfrage nach neuen Züchtungstechnologien wächst. Experten sehen dringenden Handlungsbedarf, um den technologischen Fortschritt zu nutzen, ohne die Sicherheit zu gefährden. Auch Unternehmen wie die Migros erkennen die Bedeutung dieser Entwicklungen und widmen sich den Chancen und Herausforderungen, die sie mit sich bringen. Derweil bringen die Gegner entgegen den wissenschaftlichen Erkenntnissen weiterhin die gleichen Schauergeschichten wie vor 30 Jahren.
Mittwoch, 11. September 2024
In der Schweiz ist das Gentech-Moratorium nach wie vor Realität. Gentechnisch veränderte Organismen anzubauen ist hierzulande verboten. Angesichts der steigenden Nachfrage nach Nahrungsmitteln und der Zunahme extremer Wetterbedingungen werden die Rufe nach einer Zulassung neuer Züchtungstechnologien jedoch immer lauter. 2025 wird das Parlament erneut über das Verbot entscheiden.
ETH-Pflanzenwissenschaftler Bruno Studer betont im «Migros Magazin», dass eine Neubeurteilung des Gentech-Moratoriums längst überfällig ist. Die Einführung des Verbots liege inzwischen 20 Jahre zurück – damals sei Gentechnologie noch «Neuland» gewesen. «Seither wissen wir dank unzähliger Studien sehr viel mehr über den Nutzen und die Sicherheit dieser Verfahren.» Man müsse den Begriff «Gentechnologie» präziser definieren. Das pauschale Gentech-Verbot erfüllt den ursprünglichen Zweck nicht mehr.
Apfel und Rebe besonders geeignet
Unbestritten ist, dass sich die Methoden in den letzten zwei Jahrzehnten erheblich weiterentwickelt haben. «Mit neuen Züchtungsverfahren lassen sich Pflanzen so verändern, wie es auch in der Natur oder durch konventionelle Züchtung hätte geschehen können – jedoch gezielt und viel effizienter», erläutert Studer im Gespräch mit dem Magazin. Daher sei es wichtig, präzisere Begriffe und klare Unterscheidungen zu schaffen, um festzulegen, welche Verfahren zugelassen werden sollten – und welche nicht.
Gemäss dem Forscher eignen sich insbesondere der Apfel und die Rebe für neue Züchtungsverfahren. Beide Arten erfreuen sich in der Schweiz grösster Beliebtheit, hinterlassen aber dementsprechend auch einen ökologischen Fussabdruck. Hier könnten neue Züchtungsverfahren von grossem Nutzen sein: «Sie könnten helfen, die Resistenz gegenüber Krankheiten wie Schorf oder Feuerbrand beim Apfel oder Falscher und Echter Mehltau bei der Rebe zu verbessern, ohne die erwünschten Eigenschaften von Gala-Äpfeln oder Pinot-Trauben zu verlieren.» So könnte beispielsweise der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln wesentlich reduziert werden.
Wie Olivier Felix, Fachbereichsleiter Nachhaltiger Pflanzenschutz und Sorten beim Bundesamt für Landwirtschaft im «Migros Magazin» erklärt, spielen Pflanzenschutzmittel in der Landwirtschaft trotzdem nach wie vor eine wichtige Rolle. Gänzlich darauf zu verzichten, sei unmöglich. «Wenn wir ausreichend inländische Produkte zu einer hohen Qualität gewährleisten wollen, müssen wir die Pflanzen möglichste effizient vor Krankheiten, Schädlingen und Unkraut schützen. Sind auf einem Produkt Insektenlarven vorhanden, kann es sein, dass eine ganze Ernte nicht verkauft werden kann.» Genau da hinke die Politik jedoch derzeit hinterher: «Gegen einige Schädlinge fehlt ein wirksamer Schutz.»
Migros-Konsumententagung zu Genom-Editierung
Eins ist klar: Für die nachhaltige Produktion grosser Mengen braucht es Technologien. Die Politik täte also gut daran, auf die Wissenschaft zu hören, was die Zulassung von modernen Pflanzenschutzmitteln und neuen Züchtungstechnologien anbelangt. Die Migros ist offen für neue Züchtungstechniken und fordert die Politik auf, deren Potenziale für eine nachhaltige Land- und Ernährungswirtschaft zu prüfen. An der Konsumententagung machte sie die Gentechnik zum Thema. Auf dem Podium diskutierten Matija Nuic, Direktor Verband Schweizer Gemüseproduzenten, Nationalrätin Martina Munz und Professor Bruno Studer. Die Präsentationen der Referenten und das Video der Konsumententagung finden Sie hier.
Neue Technologien dringend notwendig
Dass die Migros die neuen Züchtungstechnologien zum Thema macht, lässt auf eine gewisse «Entkrampfung» der Thematik hoffen. Die Öffnung kommt auch auf Wunsch der Landwirtschaft. «Wenn nicht artfremdes Genmaterial eingepflanzt wird, sehen wir durchwegs Chancen für die neuen Züchtungsverfahren», sagt Nuic. Den Wunsch nach Anwendung neuer Technologien der Landwirte seiner Branche begründet er einerseits mit dem fehlenden Pflanzenschutz in der Schweiz. Gerade in nasskalten Jahren wie diesem gebe es viele Krankheiten, gegen die es wegen restriktiver Zulassungen keine Mittel mehr gebe. Robustere Hochleistungssorten könnten hier einen Teil zur Lösung beitragen.
Andererseits betonte Nuic die Notwendigkeit, sich den Entwicklungen in Sachen neue Züchtungstechnologien im Ausland nicht zu verschliessen. «50 Prozent des in der Schweiz verzehrten Gemüses kommen aus dem Ausland», begründete er. Und er äusserte klare Bedenken gegenüber einer strengeren Schweizer Regulierung für NZT: Der Markt in der Schweiz sei zu klein, um eine separate Saatgutproduktion rentabel zu machen, und eine mögliche gesetzliche Vorgabe zur Trennung der Warenströme würde die Kosten für Endprodukte weiter erhöhen. Er wünscht sich daher eine ehrliche Diskussion, auch im Sinne der Konsumenten.
30 Jahre alte Schauergeschichten
Hört man den Gegnern zu, so schwindet diese Hoffnung leider rasch wieder. Das breite Repertoire an Mythen gegen Gentechnik wird weiterhin unverändert bespielt. Martina Munz, Nationalrätin der SP und Mitinitiantin der Volksinitiative für Gentechnikfreie Lebensmittel, spricht von «unkontrollierbaren Risiken» und Konzernen, die sich faktisch «nach einer Schleusenöffnung alles unter den Nagel reissen würden». Den wissenschaftlichen Konsens zum Risiko von genomeditierten Pflanzen negiert sie. Bruno Studer wies darauf hin, dass heute bereits 3000 Pflanzensorten auf Gentechnik beruhen, «und diese Pflanzen werden auch im Biolandbau angebaut», versicherte er dem Publikum. Trotzdem spricht die Gegnerschaft lieber von «Terminator-Saatgut», das sich gemäss ihrer Diktion nicht mehr vermehren und Kleinbauern in die Abhängigkeit von Grosskonzernen treiben würde. Martina Munz findet auch die klassische Mutagenese eine gefährliche Sache – dass dieses gefährliche Saatgut seit Jahrzehnten beim Biobauern auf dem Feld angebaut wird, lässt sie unkommentiert.
Klassische Mutagenese ist Gentechnik
Die klassische Mutagenese gilt gemäss EuGH als Gentechnik. Hier werden mit radioaktiver Strahlung oder Chemikalien eine hohe Anzahl an Mutationen zufällig ausgelöst. Auch der Bundesrat setzt die Mutagenese gleich mit Gentechnik: «Die beiden wichtigsten herkömmlichen Gentechniken in der Pflanzenzüchtung sind die klassische Mutagenese und die Transgenese.» Auf die Frage angesprochen, ob sich die Initiative der Gentech-Gegner auch gegen diese seit Jahrzehnten in der Schweiz etablierte Züchtungstechnologie wendet, blieb Martina Munz schwammig. Heute werden in der Schweiz Tausende Nutzpflanzen angebaut, die mittels klassischer Mutagenese gezüchtet wurden. Auch die Nudeln aus dem Biofachgeschäft können nicht ohne Gentechnik. Doch die Initiative der Gentech-Gegner bezeichnet auch die im Biolandbau verbreitete Zufallsmutagenese als Gentechnik und fordert eine Deklarationspflicht. Bioläden müssten also ihre Pasta mit Radioaktiv-Warnhinweisen versehen.
Offensichtlich hat sich in den vergangenen Jahren nicht viel geändert. Statt von den tatsächlichen Möglichkeiten neuer Züchtungstechnologien im Pflanzenbereich in der Schweiz zu diskutieren, spricht man lieber von abstrusen Anwendungen und Horrorszenarien. Dabei haben wir seit 25 Jahren weltweit GVOs angepflanzt. Die Schauergeschichten haben sich bisher noch nirgends bewahrheitet.
Sources
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