
Milch aus dem Labor – Nachhaltigkeit entscheidet
Milch aus dem Labor ist auf dem Vormarsch. Nestlé verkauft in den USA künstliche Milch und ein Schweizer Unternehmer stellt Käse aus dem Labor her. Das berichtet die «SonntagsZeitung». Gemäss einer Umfrage des Mediums ist eine Mehrheit der Konsumentinnen und Konsumenten bereit, die mittels Gentechnik hergestellten Milchalternativen zu versuchen. Die geschmacklichen Unterschiede zu herkömmlicher Milch sollen gering sein. Doch entscheidend ist die Nachhaltigkeit der Produkte. Dazu gehören Ressourceneffizienz inklusive Preis.
Donnerstag, 13. April 2023
Gemeinhin gehen wir davon aus, dass natürlich auch nachhaltig ist. Diese Annahme könnte bei der Milch ins Wanken geraten. Da das globale Ernährungssystem für ungefähr ein Drittel der Treibhausgasemissionen verantwortlich ist, wird mit Hochdruck an Alternativen geforscht. Es geht um Fleischersatz, aber es geht auch um Milchprodukte aus dem Labor. Das war auch Thema im Swiss-Food Talk zum Thema «Future Food» (siehe Kasten unten). Dass die Entwicklung rasch voranschreitet, illustriert ein Artikel in der «SonntagsZeitung». «Kuhmilch, die ohne Kühe auskommt, ist keine Zukunftsmusik, sondern bereits Realität», heisst es im Text. So verkauft Nestlé in den USA versuchsweise mithilfe von Gentechnik hergestellte Milch. Sie basiert auf Proteinen des US-Unternehmens «Perfect Day». Für Nestlé sind die Produkte gemäss dem Artikel vorerst eine Ergänzung zu pflanzlichen Alternativen – eine Ergänzung zur Hafer- oder Sojamilch also.
Aus der Schmuddelecke ins nachhaltige Geschäftsmodell
Der Schweizer Jungunternehmer Raffael Wohlgensinger steht kurz vor der Markteinführung von Käse, dessen Rohstoffe mit gentechnischen Methoden gezüchtet wurden. Die diesbezügliche Kommunikation des Unternehmens auf der Firmenwebsite formo.bio ist offensiv und transparent. Gegenüber der «SonntagsZeitung» sagt er: «Mikroorganismen sind effizienter in der Herstellung von Lebensmitteln als Kühe.» Der Gründer des Start-ups «Formo» sagt, der Käse solle zunächst in Deutschland auf den Markt kommen. Es geht vorerst um Produkte, die Feta, Weissschimmelkäse oder Frischkäse entsprechen. Das Ziel von Wohlgensinger ist es, die Umwelt dank nachhaltiger Produktion zu schonen. Für die Landwirtschaft stellt sich die Frage, ob solche Verfahren die Milchkühe bald ersetzen. Wohlgensinger meint: «Milchbauern, deren Kühe in den Alpen Gras fressen, wolle man nicht konkurrenzieren. Ich hoffe aber, dass es in Zukunft weniger industrielle Massentierhaltung mit dem Einsatz von Kraftfutter gibt.»
Doch was haben die Landwirte von Fleisch- und Milchersatz? Sind sie nicht die Leidtragenden? Wie das Portal «GreenQueen» vermeldet, arbeitet die Organisation Respect Farms an einem Projekt, das die dezentrale Produktion von cell based meat zum Beispiel auf Bauernhöfen ermöglichen will. Am Projekt sind mehrere Länder, NGOs wie auch fenaco und der Schweizerische Bauernverband beteiligt. Für innovative Landwirte könnten sich neue Geschäftsmodelle ergeben. Auch Milchverarbeiter wie Emmi beobachten die Entwicklung mit Interesse. Noch seien aber im Hinblick auf die Zulassung solcher Produkte und die Akzeptanz bei der Kundschaft viele Fragen offen. Insgesamt geht der Konsum von Milch seit Jahren zurück, hingegen sind pflanzliche Alternativen auf dem Vormarsch.
Veganer sehen Chancen
Der Präsident von Swissveg schätzt gegenüber der «SonntagsZeitung» die Akzeptanz bei Veganerinnen und Veganern für die Milch aus dem Labor ein und meint, das hänge von deren Beweggründen ab. Wenn jemand aus ethischen oder ökologischen Gründen vegan lebe, sei die Akzeptanz sicher gross. Wer aus gesundheitlichen Gründen auf Milch verzichte, wird jedoch kaum umsteigen, da die Produkte aus dem Labor Milchproteine enthalten.
Der Präsident von Swissveg weist auch darauf hin, dass sich im Endprodukt aus dem Labor kein gentechnisch verändertes Material befinde. Verändert würden die Mikroorganismen, welche die Milch aus dem Labor herstellen. Damit die Milch aus dem Labor in der Schweiz verkauft werden kann, braucht es gemäss Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen wegen der gentechnologischen Herstellung ein Bewilligungsgesuch. Für den Markterfolg ist neben der verbesserten Ökobilanz der Preis entscheidend. Bei der Markteinführung sind die Käsealternativen laut Formo anfänglich 30 bis 40 Prozent teurer als die Originale. Das dürfte sich aber mit der Produktionsmenge schnell ändern. Zur Nachhaltigkeit der Milchprodukte aus dem Labor gehört auch der Preis. Wie verschiedene Medien bereits berichtet haben, erhält auch das Hühnerei Konkurrenz aus dem Labor. Wie unter anderen «Vegconomist» berichtet, ist es finnischen Forschenden gelungen, Hühnereiweiss mithilfe eines Pilzes herzustellen. Der Pilz produziert das Hühnereiprotein Ovalbumin selbstständig. Die Eigenschaften des Endprodukts, so die Forschenden, seien gleich wie beim Eiweiss aus Hühnereiern. Das mittels Präzisionsfermentation gewonnene Eiweiss braucht 90 Prozent weniger Landfläche und verursacht bis zu 55 Prozent weniger Treibhausgase. Sobald skalierbar, kann es eine Alternative zur industriellen Hühnerhaltung bieten.
Umfrage zeigt Offenheit der Konsumenten und Konsumentinnen
Gemäss einer repräsentativen Umfrage des «Tages-Anzeigers» sagen nur 24 Prozent der Befragten «Ich bin gegenüber dem Einsatz von Gentechnik skeptisch.» Eine Mehrheit von 55 Prozent ist gewillt, die neuen Produkte zu probieren. Das zeigt, dass auch im Lebensmittelbereich die Skepsis gegenüber der Gentechnik schwindet. Dies dürfte vor allem dann der Fall sein, wenn die Ökobilanz positiv ist und Geschmack und Konsistenz überzeugen. Medizin und Kosmetik nutzen die Vorteile der Gentechnik seit Langem – höchste Zeit, dass sie auch im Ernährungsbereich dank nüchternem Blick durch die Nachhaltigkeitsbrille eine Selbstverständlichkeit wird.
«Future Food»: Von der Entwicklung in den Einkaufskorb
Proteine gehören zu den wichtigsten Bestandteilen einer gesunden und ausgewogenen Ernährung. Der grösste Teil des von Menschen konsumierten Eiweisses stammt jedoch von Tieren und ist in der Herstellung äusserst ressourcenintensiv. Wie könnten Alternativen aussehen? Und was braucht es, damit alternative Proteinprodukte auch bei den Konsumenten im Einkaufskorb landen? Und macht die Substitution von tierischer Produktion wirklich in jedem Fall Sinn? Darüber sprachen drei Referentinnen und Referenten in einem Swiss-Food Talk.
Sources
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