Mit Crispr gegen Klimawandel
Im «Tages-Anzeiger» spricht die Nobelpreisträgerin Jennifer Doudna über die Chancen und Risiken der Genschere. Mit dem Werkzeug lassen sich Erbkrankheiten gezielt behandeln, dürretolerante Pflanzen züchten und der Treibhausgasausstoss von Kühen senken.
Montag, 11. Dezember 2023
2012 wurde die Genschere Crispr/Cas9 erfunden. Acht Jahre später erhielten die beiden Forscherinnen Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier dafür den Nobelpreis. Wo steht die Forschung heute? Doudna sagt im Gespräch mit dem «Tages-Anzeiger»: «In Labors auf der ganzen Welt wird mit Crispr gearbeitet, nicht nur in den Bereichen Gesundheit, Landwirtschaft, Klimawandel und synthetische Biologie, sondern auch in der Diagnostik zum Nachweis von Coronaviren und anderen Krankheiten.»
Grosse Fortschritte zeigen sich in der Medizin. Kürzlich hat eine erste Gentherapie mit Crispr die Zulassung in Grossbritannien und in den USA erhalten. SRF hat darüber berichtet. Mit Genom-Editierung lässt sich die Sichelzellenanämie bekämpfen, erklärt Jennifer Doudna. Die Erbkrankheit ist heimtückisch. Es handelt sich um eine der häufigsten Erbkrankheiten in den USA. Unter der Krankheit leiden in den USA rund 100'000 Menschen. Betroffen sind vor allem Schwarze.
Die Patientinnen und Patienten entwickeln eine defekte Form von Hämoglobin – die roten Blutkörperchen werden sichelförmig und verstopfen die Organe. Für die Betroffenen ist die Krankheit sehr schmerzhaft. Heute erfordert die Behandlung häufige Bluttransfusionen und führt in der Regel zum frühen Tod. Mit der Genschere wurde ein Weg gefunden, den Patientinnen und Patienten zu helfen. Die Genschere wird dabei in vivo angewendet: Zellen im lebenden Menschen werden «in Echtzeit» gentechnisch verändert. Nach dem Eingriff sind die roten Blutkörperchen wieder in der Lage, gesundes Hämoglobin zu produzieren.
Wie Jennifer Doudna im Gespräch sagt, sind die Ergebnisse vielversprechend. Diesen Optimismus teilen offensichtlich die Zulassungsbehörden in Grossbritannien und den USA. Hinter der neuen Therapie steht das Biotechunternehmen «Crispr Therapeutics» mit Sitz in der Schweiz. Geforscht wird in den USA. Eingriffe in die menschliche Keimbahn lehnt die Forscherin ab. Bei der Therapie der Sichelzellenanämie betrifft die Veränderung nur die Gene von (sog. somatischen) Zellen des jeweiligen Patienten oder der Patientin, also den Blutzellen und nicht Ei- und Spermienzellen. Sie übertragen sich somit nicht auf die nächste Generation.
Wie swiss-food in einem früheren Beitrag gezeigt hat, bietet Genom-Editierung auch enorme Chancen in der Landwirtschaft. In einem Beitrag haben wir mögliche Crispr-Anwendungen für die Schweizer Landwirtschaft dargestellt. So lassen sich beispielsweise Pestizide einsparen. Zurzeit ist die Genschere zur Züchtung resistenter Sorten nicht erlaubt. Sie fällt unter das Gentechmoratorium. Weltweit sind hingegen schon verschiedene mit der Genschere gezüchtete Produkte auf dem Markt. Doudna nennt verschiedene neue Züchtungen mit Konsumenten- und Gesundheitsnutzen, etwa Tomaten mit erhöhtem Gehalt an Vitamin-D oder Gamma-Aminobuttersäure (einem essenziellen Neurotransmitter, dem verschiedene gesundheitsfördernde Wirkungen attribuiert werden) und Reis mit zusätzlichem Beta-Carotin. Doch es ist auch in der Schweiz Bewegung in die Sache gekommen. Das Parlament hat den Bundesrat beauftragt, die Anwendung der Genschere künftig zu ermöglichen. Das wäre ein wichtiger Schritt für die Pflanzenzucht.
Jennifer Doudna sagt im Interview mit dem «Tages-Anzeiger»: «Besonders begeistert bin ich von Pflanzen, die den Landwirten helfen, sich an den Klimawandel anzupassen, indem sie dürretoleranter sind und mehr Kohlenstoff aus der Atmosphäre binden. Crispr kann uns gegen den Klimawandel helfen.» Auch gibt es Projekte zur Unterstützung und Verbesserung der Gesundheit von Tieren. Und Doudna erläutert, dass Forschende am «Innovative Genomics Institute» untersuchen, ob Crispr eingesetzt werden kann, um das Mikrobiom in den Mägen von Kühen so zu verändern, dass sie weniger Methan ausstossen.
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