Mit falschen Erzählungen gegen Gentechnik

Mit falschen Erzählungen gegen Gentechnik

Um die grüne Gentechnik zu verunglimpfen, tauchen immer wieder Erzählungen in der öffentlichen Debatte auf, die einer genaueren Prüfung nicht standhalten. Das Ziel ist jeweils politisch. Neuerdings sollen die falschen Behauptungen verhindern, dass die Regulierung neuer Züchtungsmethoden wie Crispr/Cas technologiefreundlich ausfällt.

Donnerstag, 2. November 2023

«SWR Wissen» geht der Frage nach, warum Greenpeace sich in einen unwissenschaftlichen Kampf gegen die grüne Gentechnik stürzte. Wir haben über den sehenswerten Beitrag berichtet. Gleichzeitig transportiert die Sendung indes auch falsche Erzählungen, die immer wieder Eingang in die öffentliche Debatte finden. Dieser Blindspot-Artikel nimmt die unwissenschaftlichen Stories unter die Lupe.


«Machtkonzentration im Saatgutmarkt»

Da ist zunächst einmal die Aussage, wenige Konzerne würden mehr als 60 Prozent des globalen Saatgutmarkts inklusive gentechnisch veränderter Sorten unter sich aufteilen. Doch stimmt das wirklich? In ihrem Report «Concentration in Seed Markets» von 2018 hat die OECD die möglichen Auswirkungen grösserer Firmenübernahmen auf Preise, Produktauswahl und Innovation im Saatgutbereich untersucht und Politikempfehlungen abgegeben, um den Wettbewerb und die Innovation in der Pflanzenzüchtung zu schützen und zu fördern. Sie kommt zum Schluss, dass es erhebliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Anbaukulturen und Ländern gibt und nicht pauschal von Konzentration gesprochen werden kann. Bei Saatgut mit gentechnisch veränderten Merkmalen ist die Marktkonzentration viel höher und der Markt wird wegen der hohen Regulierungskosten fast ausschliesslich von grossen multinationalen Unternehmen beherrscht. Andererseits deuten die Daten zu Patenten für CRISPR/Cas9 gemäss OECD darauf hin, dass diese neue Technologie hauptsächlich von akademischen Instituten beherrscht wird. Die politischen Entscheidungsträger sollten daher unnötige regulatorische Hindernisse für den Marktzugang vermeiden. Dies sei besonders wichtig angesichts des Aufkommens neuer Pflanzenzuchttechniken, die auch für kleinere Unternehmen zugänglich sein sollten. Politische Entscheidungsträger sollten zudem sicherstellen, dass Pflanzenzüchter durch effiziente Verfahren Zugang zu genetischem Material haben und sie sollen eine effiziente Lizenzvergabe für geistiges Eigentum erleichtern. Zur Beschleunigung der Innovationen rät die OECD, dass sich der öffentliche Sektor auf die Grundlagenforschung zurückzieht und dem Privatsektor angesichts steigender Investitionen die angewandte Forschung und Vermarktung überlässt. Politische Entscheidungsträger könnten die private F&E auch durch öffentlich-private Partnerschaften fördern. Bemerkenswert ist der Schluss der Einleitung zur Studie: «Diese Studie unterstreicht auch, wie wichtig genaue Daten sind, um Fragen der Marktkonzentration zu erörtern. Hochaggregierte Schätzungen der Marktkonzentration, die in der öffentlichen Debatte angeführt wurden, vermitteln ein irreführendes Bild und sind für politische Entscheidungsträger angesichts der grossen Unterschiede zwischen den einzelnen Kulturen und Ländern nicht hilfreich.»

https://weblog.wur.eu/spotligh...Auch die neuste Ausgabe von 2019 des sogenannten «Access to Seeds Index», der die Bemühungen der weltweit führenden Saatgutunternehmen zur Steigerung der Produktivität von Kleinbauern misst und vergleicht, widerspricht dem gängigen Narrativ: Firmen wie Syngenta und Bayer figurieren in diesem Index unter den Bestplatzierten. Der Zugang zu sicherem, zertifiziertem Saatgut ist wichtig, weil die nötige Produktivitätssteigerung vor allem bei den Kleinbäuerinnen und -bauern in Entwicklungsländern geschehen muss, damit diese mehr und stabiler zur Ernährungssicherheit ihrer Länder und ihrem eigenen besseren Leben beitragen können. Und weil zum Beispiel gemäss Dr. Marja Thijssen der Universität Wageningen Landwirte in Afrika bis zu 50 Prozent ihrer Ernten durch schlechtes oder gefälschtes Saatgut verlieren.

Blindspot-Artikel

Eine umfassend nachhaltige Lebensmittelproduktion und eine gesunde Ernährung sind komplexe Themenfelder. Es braucht die Betrachtung aus verschiedenen Blickwinkeln. Doch unliebsame Fakten kommen in der öffentlichen Diskussion häufig zu kurz. Wir beleuchten, was gerne im Schatten bleibt. So kommen die Zielkonflikte zur Sprache.

«Die grüne Gentechnik hat bisher ihre Versprechen nicht eingelöst»

Auch wenn dieses Narrativ gängig ist, wird es nicht wahrer. Entgegen der Erzählung gibt es mehrere Beispiele, die den vielfältigen und klaren Nutzen bisheriger grüner Gentechnik belegen – über den goldenen Reis hinaus. So müssen dank eingebauter Insektenresistenz Kleinbauern in Asien ihre Auberginen weniger spritzen.

Eine Meta-Analyse der Universität Göttingen, die 147 Studien aus verschiedenen Ländern berücksichtigte, kam 2014 zum Schluss, dass die GVO-Technologie im Durchschnitt den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln um 37 Prozent verringert, die Ernteerträge um 22 Prozent erhöht und die Gewinne der Landwirte um 68 Prozent gesteigert hat. Die Ertrags- und Gewinnsteigerungen sind in den Entwicklungsländern höher als in den Industrieländern. Und dies trotz höherer Preise für das neue Saatgut. Eine breit angelegte Studie aus dem Jahr 2018 kommt zum Schluss, dass der genveränderte Mais eine Erfolgsgeschichte ist: Dieser erzielt durchschnittlich um 10 Prozent höhere Erträge als die konventionellen Sorten. Grund ist der deutlich reduzierte Befall mit Schädlingen. Zudem enthält der angebaute Mais etwa ein Drittel weniger pflanzeneigener Giftstoffe wie beispielsweise krebserregende Mykotoxine. Und eine mittels Gentechnik verbesserte Maissorte von Syngenta erhöht nachweislich die Fütterungseffizienz bei Rindern um 5 Prozent und verringert dadurch den Ausstoss klimaschädlichen Methans. Zahlreiche weitere Fakten über Einsatzgebiete, Verbreitung und Mehrwert dieser Technologie hat Bayer auf ihrer Website zusammengestellt. Schön zu sehen ist, dass sich auch Forscher von Schweizer Hochschulen und Universitäten nicht entmutigen lassen und die Forschung von Ingo Potrykus allen Widrigkeiten zum Trotz weitertreiben: Navreet Bhullar und ihr Team von der ETH Zürich beispielsweise haben transgene Reissorten entwickelt, die in ihren Körnern nicht nur Beta-Karotin als Vorstufe von Vitamin A erzeugen, sondern auch Eisen und Zink anreichern. Mit ihrem Multinährstoffreis ist die Forschungsgruppe führend.


«Patente auf Saatgut»

NGOs werfen grossen Agrarunternehmen immer wieder vor, dass sie Saatgut generell oder Saatgut mit «natürlichen» Pflanzeneigenschaften, sogenannten «natural traits», patentieren und damit den Markt abschotten würden. Es gibt aber keine Patente auf Saatgut generell, Patente betreffen immer Eigenschaften, die zudem neu und innovativ sein müssen. Die Einkreuzung einer Resistenzeigenschaft aus einer Wildpflanze in eine moderne und bei den Konsumenten beliebte Hochleistungssorte, ohne dass diese ihre Eigenschaften verliert, benötigt jahrelange Züchtungsforschung, die einer wirklichen Neuheit entsprechen kann. Daher hat das Europäische Patentamt immer wieder entsprechende Beschwerden von NGO gegen solche Patente abgewiesen. Aber: Ein solches Patent würde heute in Europa nicht mehr gewährt werden, da sich die Gesetzeslage verändert hat. Seit 2017 dürfen nämlich in Europa Eigenschaften aus Wildpflanzen nicht mehr patentiert werden (letztinstanzlicher EPO-Entscheid von 2020). Diese neue Regel für die Patentierbarkeit kann jedoch nicht rückwirkend angewandt werden. Sie gilt nur für neu eingereichte Patentanmeldungen. In Zukunft stellt sich die Frage der Patentierbarkeit von diesen «natural traits» in Bezug auf europäische Patente nicht mehr, seit sich die Rechtsgrundlage geändert hat. Doch die NGOs nutzen nach wie vor das lieb gewonnene Narrativ von Patenten auf Saatgut zur Skandalisierung.

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