Wie deutsche Experten über neue Züchtungsmethoden denken
Naturromantik gegen wissenschaftliche Evidenz: Warum die deutsche Debatte über neue Züchtungsmethoden weniger mit Wissenschaft als mit Weltanschauung zu tun hat.
Mittwoch, 17. Dezember 2025
In kaum einem anderen Land wird die Bio-Landbau-Idylle in der Öffentlichkeit so gepflegt wie in Deutschland. Natürlichkeit und ländliche Ursprünglichkeit sind mentale Sehnsuchtsorte vieler Deutscher. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass der Widerstand gegen neue Züchtungsmethoden gross ist – und dass die Unkenntnis über den eigenen Bio-Landbau fast schon vorsätzlich wirkt. Bio gilt als natürlich, als Resultat «guter alter» Kreuzungen, bei denen bloss nichts durcheinander geraten soll. Auf dem Teller landet angeblich ausschliesslich pure Natur. Die Realität sieht natürlich anders aus.
Kein Wunder also, dass sich gegen die geplante Liberalisierung genomischer Züchtungsmethoden in der EU Unmut regt. Eine kleine Befragung des Tagesspiegels unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nach dem EU-Trilog vom 4. Dezember, der eine weitgehende Zulassung solcher Pflanzen vorsieht, zeigt jedoch vor allem eines: Die deutsche Natürlichkeitsromantik hat längst institutionelle Heimstätten geschaffen. Und in ihnen wird in bemerkenswerter Unschärfe argumentiert.
Während die befragten Molekularbiologen, Agrarökonomen und Lebensmittelrechtler die neue EU-Regelung nüchtern, präzise und faktenorientiert einordnen, verlieren sich die ökologisch geprägten Stimmen in vagen Befürchtungen und ideologisch grundierten Warnungen.
Die naturwissenschaftlich argumentierenden Experten – Holger Puchta, Stephan von Cramon-Taubadel, Kai Purnhagen und Matin Qaim – zeichnen ein konsistentes, evidenzbasiertes Bild: Mutationen aus sogenannten NGT-1 (enthalten nur arteigenes Genmaterial) sind biologisch nicht von natürlichen oder konventionell herbeigeführten Veränderungen zu unterscheiden. Die Risikobewertung müsse am Produkt gemessen werden, nicht an der Methode – ein Grundsatz moderner Biowissenschaften. Genomeditierte Sorten bieten eine realistische Chance auf robustere, klimaangepasste und ressourcenschonende Landwirtschaft, so der Tenor der Professoren. Selbst Fragen der Patentierung werden sachlich eingeordnet: Entscheidend sei das Wettbewerbsrecht, nicht eine diffuse Technologieskepsis.
Ganz anders die Vertreter der ökologischen Richtung. Gunter Backes und Katja Tielbörger argumentieren mit Begriffen, die bei genauerem Hinsehen wenig Substanz besitzen: «genetische Integrität», «Entmündigung der Verbraucher», «unabsehbare Folgen», «Lobbyeinfluss». Es fehlen empirische Daten, quantitative Bewertungen oder Vergleiche mit den heute bereits gängigen Züchtungsmethoden, die im Biosektor selbstverständlich auch eingesetzt werden – vor allem auch die klassische Mutagenese. Stattdessen dominieren diffuse Warnungen und abstrakte Worst-Case-Szenarien, die weder eingeordnet noch belegt werden. Die Argumentationslinie wirkt eher wie eine Fortschreibung ideologischer Überzeugungen als wie ein Beitrag zum wissenschaftlichen Diskurs.
So entsteht ein klares Gesamtbild: Je näher die Expertise an der Thematik Genetik und neue Züchtungsmethoden liegt, desto stringenter und evidenzbasierter fällt die Analyse aus. Je stärker sie aus dem ökologisch-ideologischen Milieu kommt, desto verschwommener und wissenschaftlich unpräziser wird sie.
Die kleine Professoren-Schau zeigt damit vor allem eines: Der Konflikt um neue Züchtungsmethoden verläuft zwischen Wissenschaft und Weltanschauung. Erstere hat für Natürlichkeitsfimmel und Boden-Romantik kein Gehör – zu Recht!
Sources
Ähnliche Artikel
Den Gegnern grüner Gentechnik fehlen Fakten. Ihre Antihaltung ist gefährliche Ideologie
Die Schweiz und die EU entscheiden 2025 über den Anbau mittels neuer Züchtungstechnologien veränderter Pflanzen. Eine Zulassung ist vernünftig – und längst überfällig. Denn Gentechnik ist bereits heute verbreitet.
Nur die halbe Wahrheit in der Gentech-Debatte
Wer nur Risiken sieht, bleibt blind für die Chancen einer neuen Technologie. Die Gentech-Gegner haben eine neue Umfrage zu den neuen Züchtungsmethoden vorgelegt, welche vielsagende Leerstellen aufweist.
Stillstand statt Fortschritt: Die Schweiz droht bei neuen Züchtungen zurückzufallen
Ein Überblicksartikel im Schweizer Bauer zeigt, wie stark die neuen Züchtungsmethoden die bäuerlichen Kreise beschäftigen. Nach Abschluss der Vernehmlassung zum Bundesgesetz wird eine Vorlage erwartet – dann zeigt sich, ob der politische Wille zur Zulassung tatsächlich besteht.
Warum Konsumenten genomeditierte Lebensmittel auf dem Teller akzeptieren
Die Akzeptanz von genomeditierten Lebensmitteln steigt, wenn der konkrete Nutzen für Verbraucherinnen und Verbraucher nachvollziehbar ist. Eine aktuelle Untersuchung des Center for Food Integrity (CFI) in Zusammenarbeit mit FMI – The Food Industry Association zeigt, dass Konsumentinnen und Konsumenten Technologien wie die Genom-Editierung dann positiv bewerten, wenn sie klare Vorteile für Gesundheit, Umwelt oder Versorgungssicherheit erkennen.
Schöne und köstliche Mutanten auf Ihrem Teller: Die missverstandene Welt der Pflanzenzüchtung
Wenn die meisten von uns das Wort Mutation hören, sind die Assoziationen selten positiv. Wir denken an radioaktive Monster, Comic-Schurken oder genetische Krankheiten wie die Sichelzellenanämie. In der Popkultur stehen «Mutanten» oft für Gefahr. Die wohl bekanntesten sind Marvels X-Men, die bereits vier Kinoadaptionen erlebt haben und bis heute einen festen Platz unter Science-Fiction-Fans einnehmen.
Spermakrise mit Fragezeichen: Was die Schweizer Studie wirklich zeigt – und was nicht
Um den Schweizer Samen steht es schlecht – ausser man lebt etwas südlich der Stadt Aarau. Dort soll die Spermaqualität unter jungen Männern am besten sein. Der Verdächtige steht schnell fest: Pestizide.
Old Stories Die Hard – wenn (Bio-)Marketing den Blick auf die Realität verstellt
Eine ORF-Doku zeigt, was viele Bio-Anhänger nicht hören wollen: Mutagenese ist Gentechnik – und steckt seit Jahrzehnten in unzähligen Sorten. Trotzdem fordern Bio-Händler wie REWE & dm Kennzeichnungspflichten für neue Züchtungsmethoden. Wissenschaftlich ergibt das keinen Sinn.