Prekäre Lage für die Kartoffelbauern
Kartoffelbauern in der Schweiz schlagen Alarm. Wegen des vielen Regens breitet sich die Knollenfäule aus, die ihnen die Ernte vernichtet. Die Rede ist von desaströsen Zuständen oder von einem «Schicksalsjahr» für Schweizer Kartoffeln. Bereits 300 Hektaren Kartoffelfelder mussten aufgegeben werden – weitere könnten folgen. Inzwischen hat auch der Bund erste Konsequenzen gezogen.
Freitag, 19. Juli 2024
Regen, Regen und nochmals Regen. Petrus übertreibt es diesen Sommer. Das miese Wetter schlägt inzwischen vielen aufs Gemüt. Besonders den Bauern – oder besser gesagt ihren Kartoffeln – setzt das nasse Wetter zu. Bei Nässe und Temperaturen zwischen 15 und 25 Grad breiten sich die Erreger der Kraut- und Knollenfäule aus. Der Pilz fühlt sich bei feucht-warmen Wetter pudelwohl. Die Folge: Bräunliche Blätter und verfaulte Kartoffeln. «Einen so starken Befall habe ich noch nie erlebt», sagt Bauer Simon Hauert aus Niederösch BE gegenüber der «BauernZeitung».
80% der Bauern von Befall betroffen
Für die Bauern ist das ein Albtraum – und die Situation kann je länger, je mehr existenzbedrohend sein. Im Interview mit «watson» redet der Präsident des Schweizer Kartoffelproduzentenverbandes, Ruedi Fischer, Tacheles: «Eine Kartoffel setzen, eine ernten. Ein Minusgeschäft.» Eigentlich sollten pro gesetzte Kartoffel acht bis zwölf Stück geerntet werden können.
Für die Bauern ist es bereits das dritte schlechte Jahr in Folge. Bereits 2022 und 2023 hätten Wetterextreme den Kartoffelbauern das Leben schwer gemacht. 2024 sei deshalb für einige ein Schicksalsjahr. So hätten ihm viele gesagt, dass sie den Kartoffeln dieses Jahr eine letzte Chance geben möchten. Eine Umfrage im «Schweizer Bauer» verdeutlicht die prekäre Lage. Demnach haben knapp 62 % der befragten Bauern angegeben, wegen Kraut- und Knollenfäule Ausfälle zu haben und knapp 18 % haben gar von einem Totalausfall gesprochen. Lediglich 20 % gaben an, dass die Kartoffeln nicht betroffen seien.
Bund erlaubt mehr Fungizid-Anwendungen
Aufgrund der Krautfäule-Situation hat inzwischen auch das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) alarmiert reagiert. So wurden befristet bis zum 30. September die maximale Anzahl Anwendungen für viele Fungizide ausserordentlich erhöht.
Dasselbe gilt für Kupfer. Denn die Bio-Bauern sind besonders unter Druck. So wurde die Maximalmenge von Kupfer in Kartoffeln von vier auf sechs Kilo erhöht. Die beiden Beispiele verdeutlichen, dass regionale Produktion auf Pflanzenschutz angewiesen ist – ganz besonders in schwierigen Jahren.
300 ha Kartoffelfelder bereits aufgegeben
Obwohl diese Entwicklung Sorgen macht, erstaunt sie kaum. Für wen wären drei Jahre nacheinander eine schlechte Ernte nicht existenzbedrohend? Fischer zufolge steigen deshalb immer mehr Bauern aus der Kartoffelproduktion aus. Zahlen aus einem aktuellen Bericht aus der «BauernZeitung» untermauern das: Mehr als 300 Hektaren Kartoffelfelder seien bereits aufgegeben worden. Aufgrund der «desaströsen» Lage raten Fachleute gar zu diesem Schritt.
Doch nicht nur den Kartoffeln, auch dem Obst hat der Regenfall stark zugesetzt. Geplatzte Kirschen und Pilzkrankheiten waren diesen Frühling und Sommer demnach an der Tagesordnung. Weil Pilzbehandlungen nur an schönen Tagen möglich sind, hat auch der Pflanzenschutz seine Grenzen. Eine Katastrophe zeichnet sich gemäss «BauernZeitung» bei der Gerstenernte ab. Sowohl Erträge als auch Qualität lagen weit unter dem Durchschnitt. «Gegenüber den Vorjahren fehlen 40 % Gerste», wird Stefan Schär, Landi Marthalen ZH, zitiert.
Pilzgifte bedrohen die Gesundheit von Mensch und Tier
Auch den Getreideproduzenten hat der viele Regen zugesetzt. So hat der Niederschlag bei der Weizenblüte für einen Befall mit Fusarien gesorgt, einer weltweit verbreiteten Gattung von Schimmelpilzen. Sie verursachen Fäule, führen zu Ernteverlusten und zur Kontamination des Erntegutes mit Giftstoffen, so genannten Mykotoxinen, welche die Gesundheit von Mensch und Tier bereits in geringen Mengen gefährden. Denn Fusarium-Toxine können über befallene Lebens- und Futtermittel schwere Vergiftungen (Toxikosen) bei Menschen und Tieren hervorrufen. Sie bedrohen die Lebensmittelsicherheit. Normalerweise werden sie mit gegen Pilzbefall wirkenden Pflanzenschutzmitteln, sogenannten Fungiziden, bekämpft. Ist dies nicht möglich, stellt der Konsum eine Gefahr dar.
Nicht nur der Regen, auch die Wärme macht gewissen Kulturen zu schaffen. So fördert die Wärme derzeit den Cercospora-Befall, wie der «SchweizerBauer» in seiner aktuellen Ausgabe schreibt. Die Cercospora-Blattfleckenkrankheit ist die wichtigste und schädlichste Blattkrankheit an Zuckerrübe, Roter Beete (Randen) und Stielmangold (Krautstiel). Ein früher Befall beeinträchtigt den Rübenertrag und den Zuckergehalt erheblich. Verluste können bis zu 40 % betragen.
«Es ist wichtig, dass neue Pflanzenschutzmittel zugelassen werden»
Die Beispiele verdeutlichen: Es braucht Lösungen. Niklaus Ramseyer, Geschäftsführer der Vereinigung Schweizer Kartoffelproduzenten, sagt gegenüber der «Aargauer Zeitung»: «Ohne Pflanzenschutzmittel hätten wir auf vielen Feldern einen Totalausfall erlitten.» Und weiter: «Bei den Bio-Kartoffeln, wo nur Kupfer gegen die Kraut- und Knollenfäule eingesetzt werden kann, sind die Ausfälle sehr gross.»
Und da Extremwetterlagen wie der heftige Niederschlag oder Hitzewellen künftig häufiger auftreten werden, braucht es auch in Zukunft moderne Pflanzenschutzmittel. Zur Bekämpfung der Pflanzenkrankheiten braucht es – wie in der Humanmedizin – die wirksamsten Methoden. Auch Bauer Simon Hauert teilt diese Meinung: «Es ist wichtig, dass immer wieder neue Pflanzenschutzmittel zugelassen werden».
Eine grosse Bedeutung haben in Zukunft aber auch resistente Sorten. Insbesondere geht es darum, bekannte Sorten widerstandsfähiger zu machen. Zu diesem Schluss kommt auch eine Untersuchung von Swisspatat. Sie zeigt, dass mit robusten Kartoffelsorten eine Einsparung von 50-75% des Fungizideinsatzes möglich ist, ohne dabei das Befallsrisiko für die Kraut- und Knollenfäule zu erhöhen. Eine Chance eröffnen neue Züchtungstechnologien wie Crispr. Dank ihnen können beliebte Sorten gezielter resistent gemacht werden.
15'000 Tonnen Kartoffeln müssen importiert werden
Dies hoffen auch französische Winzer. Um traditionelle Rebsorten mit Resistenzen gegen Mehltau und Dürre auszustatten, fordern sie die Zulassung von Genom-Editierung. Auf diese Weise können sie weiter auch belibte Weinsorten setzen, welche die Konsumentinnen und Konsumten auch tatsächlich nachfragen.
Eins ist klar: Die Situation der Kartoffelbauern ist prekär. Sie brauchen dringend Lösungen. Dabei ist auf die ganze Palette vorhandener Technologien zu setzen – sei es die Zulassung neuer Pflanzenschutzmittel oder moderner Züchtungstechnologien. Sonst landen künftig noch mehr ausländische Kartoffeln auf unseren Tellern. Wie der «SchweizerBauer» kürzlich berichtete, werden bald schon 15'000 Tonnen Kartoffeln jährlich zusätzlich importiert. Darunter leiden Selbstversorgung und Versorgungssicherheit.
Sources
Ähnliche Artikel
Schweizer Landwirte können ihre Kulturen nicht mehr schützen
Es herrscht eine grosse Unsicherheit. Niemand weiss, wie der Schutz der Kulturen in Zukunft noch gewährleistet werden kann.
Kartoffelmangel durch Wetterkapriolen und fehlenden Pflanzenschutz
Mit der Kartoffelernte sieht es dieses Jahr nicht gut aus. Es fehlen 100'000 Tonnen, wie die «Aargauer Zeitung» berichtet. Das ist gemäss den Kartoffelproduzenten ein Minus von 30 Prozent im Vergleich zum langjährigen Durchschnitt.
Kartoffelbauern wollen robuste Sorten
Da der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln massiv reduziert wurde, will die Kartoffelbranche nun auf robustere Sorten setzen. Die Branche hat gar mit dem Bund eine Zielvereinbarung abgeschlossen. Diese ist ambitioniert: Bis 2040 sollen auf 80 Prozent der Kartoffelanbauflächen robuste Sorten gedeihen.
Katastrophale Weizenernte: Schlechtes Wetter und Einschränkungen beim Pflanzenschutz
Die Meldungen häufen sich: 2024 geht als schlechte Weizenernte seit Jahrzehnten in die Geschichte ein. Eine der grössten Schweizer Getreidesammelstellen in Thalheim an der Thur erleidet einen historischen Verlust.
«Die Berner Winzer spritzen und spritzen»
Der viele Regen diesen Sommer hat den Berner Winzern zugesetzt und einmal mehr klar gemacht, dass es ohne Pflanzenschutz nicht geht – schon gar nicht in schwierigen Anbaujahren. Dass auch pilzwiderstandsfähige Sorten von Ernteverlusten betroffen sind, zeigt, wie prekär die Lage ist. Nichtsdestotrotz zaudert der Bund, wenn es um die Zulassung moderner Pflanzenschutzmittel und neuer Züchtungstechnologien geht.
Wieso Quallen bald auf unseren Tellern landen könnten
Werden Quallen der neue Stern am Superfood-Himmel? Fachleute empfehlen ihren Verzehr und schwärmen von den glibberigen Meerestieren als neue Proteinquelle. Doch die Zulassung solcher Produkte steht noch aus.
«Hierzulande Bio, in den Philippinen verboten»
Auf den Philippinen hat Greenpeace das Verbot von Bt-Auberginen und Golden Rice erwirkt. Unfassbar: Das gleiche Bakterium, das die Umweltorganisation dort als gefährlich diffamiert, wird in der Schweiz als Bio gepriesen.