Weniger Pflanzenschutz 2020, wohl mehr 2021
Die Zahlen des Bundes zu den Verkaufsmengen von Pflanzenschutzmitteln für das Jahr 2020 zeigen ein widersprüchliches Bild: Die Gesamtverkaufsmenge an Pflanzenschutzmitteln nahm weiter ab. 2020 wurden in der Schweiz insgesamt 1930 Tonnen Pflanzenschutzmittel verkauft. Zugenommen hat der Absatz von Pflanzenschutzmitteln, die auch für die biologische Landwirtschaft zugelassen sind. Darunter hat es auch Stoffe mit erheblichem Risikopotenzial.
Donnerstag, 25. November 2021
Wie das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) schreibt, belief sich die Gesamtverkaufsmenge der Pflanzenschutzmittel auf 1930 Tonnen, was gegenüber 2019 einem Rückgang um 23 Tonnen entspricht. «Fünf der zehn im Jahr 2020 meistverkauften Substanzen (Fettsäure, Kaliumbicarbonat, Kupfer, Paraffinöl und Schwefel) sind für die biologische Landwirtschaft zugelassen.» Sie werden jedoch auch von konventionellen Betrieben verwendet.
Die Statistik offenbart zunächst etwas Banales: Jede Art von Landwirtschaft
ist auf Pflanzenschutzmittel angewiesen. Das gilt sowohl für die biologische als
auch für die konventionelle Landwirtschaft. Dies zeigt auch ein Blick in die
lange, sogenannte «Hilfsstoffliste»
des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FibL). Um den Ertrag zu
sichern, müssen Pilzkrankheiten, Schädlinge und Unkräuter von den Bauern
bekämpft werden.
Der Trend ist eindeutig und hat sich auch 2020 fortgesetzt (vgl. Grafik). Während die Verkaufsmenge an Pestiziden für die konventionelle Landwirtschaft abnahm, steigt die Verkaufsmenge für Pestizide, die sowohl in der Bio- als auch in der konventionellen Landwirtschaft eingesetzt werden können. Das BLW schreibt: «Die Verkaufsmenge der in der biologischen Landwirtschaft anwendbaren Produkte übersteigt diejenige der Produkte, die nur in der konventionellen Landwirtschaft eingesetzt werden können. Seit 2008 ist die Verkaufsmenge der in der biologischen Landwirtschaft anwendbaren Produkte um 51 Prozent gestiegen, während die Verkaufsmenge der Produkte, die nur in der konventionellen Landwirtschaft eingesetzt werden können, im gleichen Zeitraum um 41 Prozent zurückgegangen ist.» Dies sei auf die Tatsache zurückzuführen, dass auch konventionelle Betriebe häufiger auf Produkte zurückgreifen, die auch in der biologischen Landwirtschaft angewendet werden.
Synthetische Mittel auch für Bio
Die Biolandwirtschaft setzt entgegen den Marketingaussagen von Grossverteilern und Bio Suisse synthetische Pflanzenschutzmittel ein: Kupfer und Schwefel werden synthetisch hergestellt und Schwefel und Paraffinöl sind Erdölderivate.
Die oben stehende Grafik weist auch die Wirkstoffe mit besonderem
Risikopotenzial (orange) aus. Ihre Verkaufsmengen blieben mehr oder weniger
konstant – das gilt insbesondere auch für das im Boden persistente Schwermetall
Kupfer, das auch für Bio zugelassen ist. Entgegen einem weit verbreiteten
Irrtum heisst für den biologischen Landbau zugelassen nicht «ungefährlich» oder
«harmlos»: Kupfer beispielsweise ist persistent im Boden. Das führt zu
Altlasten. Ein
Beispiel dafür ist Landwirtschaftsland, dass im Züricher Weinland in ein
Naturschutzgebiet umgewandelt wird. Über Jahre wurden auf den Feldern
Kartoffeln angebaut. Die Konsequenz des biokompatiblen Kupfereinsatzes: Der
Boden muss nun in einer speziellen Deponie in Weiach entsorgt werden.
«Bienengiftiges» Pflanzenschutzmittel: Demeter verzichtet, Bio hält daran
fest
Für Bio zugelassen ist auch das Insektizid Spinosad: Es ist gefährlich für Bienen: Es darf nicht mit blühenden oder Honigtau aufweisenden Pflanzen (z.B. Kulturen, Einsaaten, Unkräutern, Nachbarkulturen, Hecken) in Kontakt kommen. Spinosad ist zudem sehr giftig für Wasserorganismen und hat eine langfristige Wirkung. Demeter ist da seit Neustem konsequenter als Bio. Wegen der Giftigkeit von Spinosad und der damit verbundenen Risiken für die Insekten hat Demeter vor einigen Tagen beschlossen, aus Spinosad auszusteigen und auf den Einsatz künftig zu verzichten.
Ist es nun ein Skandal, dass Bio Suisse Spinosad weiter zulässt? Zunächst
zeigt das einfach, dass jedes Biozid und jedes Pflanzenschutzmittel wie jedes
Medikament oder jede Haushaltchemikalie auch sorgfältig und nach Angabe des
Herstellers angewendet werden muss. Denn die
inhärente Toxizität sagt wenig über die Gefährlichkeit aus. Dass Biomittel
wie Spinosad weiterverwendet werden, hat auch mit der Zulassungspraxis von
Pflanzenschutzmitteln in der Schweiz zu tun. Denn sowohl die Biolandwirte wie
die konventionell wirtschaftenden Landwirte haben gar keine andere Wahl, als
die noch im Markt verbliebenen Pflanzenschutzmittel zu verwenden, solange viele
innovative Pflanzenschutzmittel sowohl für die Bio- als auch für die konventionelle
Landwirtschaft blockiert sind.
Zulassungsblockade verhindert Innovation
Die Zulassungsblockade birgt erhebliche Risiken. Wenn immer mehr Produkte
vom Markt genommen werden, nehmen die Resistenzprobleme zu.
Pflanzenschutzmittel verhindern Ernteverluste und damit Food Waste auf dem
Acker und tragen dazu bei, in schwierigen Anbaujahren wie 2021 zumindest einen
Teil der Ernte zu retten. Für 2021 ist deshalb zu erwarten, dass die
Pflanzenschutzmittelmengen 2021 zunehmen – und zwar im Bio- wie im
konventionellen Landbau. Insbesondere mit den leicht abzuwaschenden Biomitteln
mussten die Landwirte im nassen Sommer 2021 ein Mehrfaches an
Pflanzenschutzmitteln ausbringen. Wie sich das auf die Verkaufsmengen des
Jahres 2021 auswirkt, wird der Bund dann in einem Jahr berichten.
Sources
Ähnliche Artikel
Natürliche Abwehrkräfte von Pflanzen nutzen
Pflanzen setzen Duftstoffe frei, um Schädlinge abzuwehren. Untersuchungen zeigen, dass diese natürlichen Signale auch als Herbizide genutzt werden könnten. Der Ansatz ist spannend, jedoch kein Allheilmittel – herkömmliche Pflanzenschutzmittel bleiben unverzichtbar.
Fehlende Mittel sind Schuld an der ertragsschwachen Agrarökologie
Die Versprechen ertragsschwacher Agrarökologie ignorieren die Beweise dafür, dass fortschrittliche Pflanzenzucht, moderne Düngemittel und andere Betriebsmittel erforderlich sind, um mehr Lebensmittel auf weniger Land anzubauen.
Vom Molekül zum Pflanzenschutzmittel
Weltweit werden jährlich im Schnitt noch fünf Pflanzenschutzmittel für den Markt zugelassen. Neuentwicklungen sind anspruchsvoll, zeitaufwändig und teuer. Von der Suche nach einer geeigneten Substanz bis zur Zulassung des marktfertigen Produkts vergehen heutzutage über 12 Jahre. Die Kosten belaufen sich auf über 300 Millionen US-Dollar. Jedes neue Pflanzenschutzmittel muss strenge Anforderungen erfüllen. Die Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel sind vergleichbar mit denen für neue Medikamente.
Falsche Studie zu Vergiftungen mit Pflanzenschutzmitteln beeinflusst politische Entscheidungen
In den letzten Jahren machte die alarmierende Nachricht die Runde, dass jährlich 385 Millionen Menschen eine Pflanzenschutzmittelvergiftung erleiden. Die Behauptung stammt aus einer Studie von Pflanzenschutzkritikern. Sie wurde von zahlreichen Medien und staatlichen Institutionen aufgegriffen und verbreitet. Das Problem: Die Zahl ist falsch. Die Studie lässt die Schlussfolgerung gar nicht zu, weshalb der entsprechende Wissenschaftsverlag die Studie mittlerweile zurückgezogen hat. Doch sie hat die Politik trotzdem beeinflusst und wird auch weiterhin fleissig zitiert.