
Wenn die Anti-Gentech-Lobby den Griffel führt
Ein Tages-Anzeiger-Journalist verfängt sich in den Fäden der Anti-Gentech-Lobby und stolpert in die Unwissenschaftlichkeit. Er schreibt darüber, dass ein politisch umstrittenes Wort in einer Gesetzesvorlage fehlt und unterschlägt beim Aufruf von Zeugen selbst ein Wort. Ein aktuelles Beispiel, das zeigt, wie die gezielte Wortwahl die Wahrnehmung eines Themas beeinflussen kann.
Dienstag, 11. März 2025
Der «Tages-Anzeiger» publizierte kürzlich einen Artikel über den angeblich starken Einfluss der sogenannten «Gentech-Lobby» in Bern. Der Beitrag trägt den Titel: Regelung neuer Gentechniken: Die Gentech-Lobby schrieb bei Röstis neuem Gesetz mit. Darin wird behauptet, dass die Interessenvertreter der Gentechnik-Industrie erheblichen Einfluss auf den Entwurf des neuen Gesetzes genommen hätten. Besonders hervorgehoben wird die Umbenennung des Gesetzes: Ursprünglich als Bundesgesetz über die neuen gentechnischen Verfahren in der Pflanzenzüchtung bezeichnet, heisst es nun Bundesgesetz über Pflanzen aus neuen Züchtungstechnologien. Die Entfernung des Begriffs «Gentechnik» sei kein Zufall, sondern eine bewusste Strategie, um in der Öffentlichkeit Akzeptanz für neue Züchtungstechnologien zu schaffen. Dem Artikel zufolge ist dies das Werk der sogenannten Gentech-Lobby.
Was hier als politischer Winkelzug dargestellt wird, kann jedoch ebenso gut als wissenschaftlich akkurate Namensgebung aufgefasst werden: Die neuen Züchtungstechnologien sind eine präzisere Form der Mutagenese, einer gentechnischen Methode, bei der durch chemische oder radioaktive Bestrahlung ungezielt Mutationen hervorgerufen werden. Ein Grossteil unserer heutigen Nutzpflanzen geht auf diese Art der Züchtung zurück – auch im biologischen Landbau werden Hunderte solcher Pflanzensorten angebaut. Im Vergleich dazu sind die neuen Züchtungstechniken Präzisionswerkzeuge. Wären wir konsequent, müssten alle mittels Mutagenese gezüchteten Pflanzen als Gentechnik bezeichnet werden. Dies geschieht aber nicht. Daher ist es nur folgerichtig, auch die neuen Methoden, die nun in einem eigenen Gesetz geregelt werden sollen, entsprechend einzuordnen.
Unethisches Handwerk
Bei «Tages-Anzeiger» sieht man dies offenbar anders. Um die eigene Ansicht zu untermauern, zitiert man eine ausserparlamentarische Kommission des Bundes. Besonders auffällig ist dabei eine wesentliche Weglassung: So beruft man sich auf die «Eidgenössische Kommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich», die die neuen Verfahren als «naturwissenschaftlich unbestritten» gentechnische Methoden einstuft. Allerdings fehlt im Artikel ein entscheidendes Wort aus: Die Kommission heisst eigentlich Eidgenössische Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich (EKAH). Die maximal 12 Mitglieder der EKAH sind gemäss deren Website aus «verwaltungsexterne Expertinnen und Experten der Ethik aus verschiedenen Fachbereichen (Philosophie, Theologie, Biologie, Medizin und Recht)».
Diese Auslassung ist kaum ein Versehen. Sie verändert die Wahrnehmung der Quelle und vermittelt den Eindruck, dass eine rein naturwissenschaftliche Instanz die neuen Methoden als gentechnisch einordnet. Tatsächlich handelt es sich jedoch um eine Ethikkommission mit interdisziplinärem Hintergrund, deren Einschätzungen nicht allein auf naturwissenschaftlicher Basis beruhen. Wäre es dem Journalisten darum gegangen, eine kompetente naturwissenschaftliche Stimme ins Feld zu führen, hätte er einfach die «Schwesterkommission» der EKAH zitieren können, nämlich die Eidgenössische Fachkommission für biologische Sicherheit, ein Gremium das ausschliesslich mit Naturwissenschaftlern bestückt ist und das unlängst festgehalten hat: «Weiter ist es wichtig im Bewusstsein zu haben, dass auch durch herkömmliche Mutageneseverfahren – also durch chemisch- oder Radioaktivität-induzierte Mutationen – entstandene Sorten so in der Natur nie vorkommen würden. Kommt hinzu, dass Mutationen per se ein durch und durch natürlicher Prozess sind. Es wird geschätzt, dass auf einem 1 ha grossen Weizenfeld pro Generation rund 40 Milliarden natürliche Mutationen auftreten. Die in der Bevölkerung weit verbreitete Vorstellung einer natürlichen, stabilen und unveränderbaren Genstruktur, die erst durch das Aufkommen gentechnischer Verfahren ins Wanken geraten ist, ist wissenschaftlich nicht haltbar.» Wissenschaftlich nicht haltbar ist somit die Haltung, welche die Ethikkommission (EKAH) und offenbar auch der Tages-Anzeiger-Journalist vertreten. Die neue Züchtungsmethode CRISPR/Cas – die «Genschere» – ist ein viel kleinerer Eingriff in das Erbgut als die Mutationszüchtung. Die Pflanzen, die aus ihr hervorgehen, sind nicht von herkömmlich gezüchteten Arten zu unterscheiden. Und wenn kein Unterschied besteht, macht auch die vom gleichen Journalisten in einem früheren Kommentar verlangte Deklarationspflicht keinen Sinn.
Den Neuen Züchtungstechnologien (NZT) kommt eine zentrale Rolle zu. Sie können in Zukunft einen wichtigen Beitrag für eine nachhaltige und produktive Landwirtschaft leisten. Doch jede Weiterentwicklung – auch ohne Erbmaterial jenseits der Artgrenze (transgene DNA) – ist heute durch das Gentech-Moratorium (mit)blockiert. Mehr zu den Unterschieden der verschiedenen Züchtungsmethoden und ihrer Regulierung finden Sie in diesem Wissensartikel.
Sources
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