Wenn Umfragen Angst erzeugen
Umfragen zu Technologien wie Gentechnik lenken den Fokus oft auf Risiken und verbreiten Panik, anstatt eine ausgewogene Diskussion über Vor- und Nachteile zu fördern. Markantes Beispiel ist der Umweltindikator des Bundesamts für Statistik. Sozialwissenschaftlerin Angela Bearth kritisiert die Umfrage scharf.
Dienstag, 26. November 2024
Die öffentliche Debatte um neue Technologien wie Gentechnik oder 5G-Mobilfunk wird häufig emotional geführt. Aktuelle Umfragen begünstigen das, indem sie Ängste schüren, anstatt eine sachliche Abwägung von Risiken und Nutzen zu ermöglichen. Ein Beispiel dafür ist der Umweltindikator, eine Gefahren-Umfrage des Bundesamts für Statistik (BfS). Mit vereinfachten Fragestellungen werden verzerrte Wahrnehmungen generiert. In einem Beitrag auf der Plattform progressive Agrarwende.ch des Vereins Öko-Progressives Netzwerk nimmt sich Sozialwissenschaftlerin Angela Bearth dem Thema an.
Schweizerinnen und Schweizer wurden in der BfS-Umfrage gefragt, wie sie zu Gentechnik, Kernkraft und Mobilfunkantennen stehen. Auffällig ist, dass über 50 Prozent der Befragten Mobilfunkantennen als «eher gefährlich» einstufen. Und das obwohl zweifellos mehr als die Hälfte der Bevölkerung täglich intensiv Mobilfunkgeräte nutzt. Noch negativer fällt die Einschätzung bei der «Gentechnik zur Herstellung von Lebensmitteln» und dem «Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln» aus. Die Ergebnisse vermitteln jedoch ein stark negativ verzerrtes Bild des tatsächlichen Risikoverhaltens der Bevölkerung.
Möglicher Nutzen wird ignoriert
Schuld daran ist die Art der Fragestellung. Das sei auch bei der BfS-Umfrage das Problem gewesen. Bearth nennt als Beispiel die Frage: «Wie gefährlich finden Sie Gentechnologie?» Mit Fragen wie dieser fokussieren viele Studien bereits auf die Risikowahrnehmung, statt einen Sachverhalt neutral abzufragen. Aus der Sicht von Bearth wird damit bereits impliziert, dass es sich um ein Risiko handelt. Das Ergebnis: Die Befragten werden zu einseitigen Antworten verleitet.
Die Sozialwissenschaftlerin kritisiert diese Vorgehensweise und betont, dass solche Fragen die Komplexität des Themas nicht angemessen spiegeln. Abwägungen von möglichen Risiken und persönlichen oder gesellschaftlichen Nutzen würden so regelrecht ausgeklammert. Stattdessen werden mit gewissen Assoziationen bei den Befragten negative Gefühle hervorgerufen, was den sachlichen Dialog erheblich erschwert.
Anti-Gentech-Initianten zitieren irreführende Studie
Die einseitige Befragung des Bundesamts für Statistik (BfS) wird von bestimmten Gruppierungen bereits eifrig herangezogen. So beispielsweise von den Initianten der Volksinitiative für gentechnikfreie Lebensmittel, die von BioSuisse und nahestehenden Kreisen lanciert wurde. Diese nutzen die fragwürdigen Umfrageergebnisse unter anderem als vermeintlichen Beleg dafür, dass die Bevölkerung neue Züchtungsmethoden ablehnt. Ihrer Argumentation zufolge stufen 70 Prozent der Befragten Gentechnik als «sehr» oder «eher gefährlich» ein. Ein Ausschnitt aus einer Präsentation der Schweizer Allianz Gentechfrei, die an der diesjährigen Migros-Konsumententagung gezeigt wurde, verdeutlicht diese irreführende Argumentation. Die Schweizer Allianz Gentechfrei ist eine der Unterstützerorganisationen der Initiative. Gemäss der Logik der Initianten und dem als Beleg angeführten Umweltindikator wäre somit auch der motorisierte Verkehr zu verbieten.
Für Bearth steht es ausser Frage, dass Umfragen komplexe Sachverhalte vereinfachen müssen. Trotzdem müsse man in einer demokratischen Gesellschaft den Konsumentinnen und Konsumenten die Chance geben, mögliche Vorteile ebenfalls zu sehen. «Umfragen zu neuen Technologien sollten der Komplexität der initial gestellten Fragen nach der Regulierung von Gentechnologie gerecht werden», stellt Bearth in ihrem Beitrag klar.
Bei solchen Studien geht häufig vergessen, dass jedes Risiko auch einen Zwilling hat: den Nutzen. Innovative Technologien werden entwickelt und eingesetzt, um einen bestimmten Zweck zu erfüllen – einen konkreten Nutzen zu bringen. Fokussieren Umfragen jedoch ausschliesslich auf Ängste, wird der Nutzen verdrängt. Wie Bearth weiter erläutert, ist aus der Psychologie bekannt, dass Menschen dazu neigen, für die Meinungsbildung auf einfache Faustregeln zurückzugreifen, wenn sie vor unsicheren Entscheidungen stehen. Wissen die Befragten wenig über ein Thema, lassen sie sich von Assoziationen leiten. Bearth erklärt das Phänomen folgendermassen: «Auf die Frage, ob sie eine normale oder eine gentechnisch veränderte Kartoffel bevorzugen würden, entscheiden sich die meisten für die ‹normale› Kartoffel, weil der Begriff Gentechnik ein vages Unbehagen auslöst oder sie sich eine ‹Frankenstein-Kartoffel› vorstellen.»
Umfragen müssen Komplexität des Themas gerecht werden
Der Sozialwissenschaftlerin zufolge sollten sich gute Umfragen daher an zwei Prinzipien orientieren. Der erste Grundsatz besteht darin, dass die Art und Weise, wie die Frage gestellt ist, die Antwort nicht beeinflusst. Statt nach der Einschätzung der Risiken von Gentechnik zu fragen, sollten neutralere Fragestellungen wie «Was ist Ihre Meinung zur Verwendung von Gentechnik in der Landwirtschaft?» genutzt werden.
Beim zweiten Grundsatz geht es darum, dass die Befragten verstehen müssen, wozu sie Fragen beantworten. Werden ihnen Hintergrundinformationen bereitgestellt, kann verhindert werden, dass Antworten ausschliesslich auf vagen Assoziationen beruhen. Ist den Umfrageteilnehmern nämlich der konkrete Nutzen bekannt, sind sie eher bereit, ein gewisses Mass an Unsicherheit oder Risiko in Kauf zu nehmen. Angela Bearth schreibt dazu: «Aus der Forschung wissen wir, dass Menschen bereit sind, ein kleines Mass an Unsicherheit oder Risiko zu akzeptieren, wenn sie einen relevanten Nutzen sehen.»
Eine aktuelle Umfrage des Forschungsinstituts gfs.Bern zur Genom-Editierung bestätigt diese Einschätzung. Während sich nur 18 Prozent der Befragten auf Anhieb für Genom-Editierung aussprachen, stieg die Akzeptanz auf über 80 Prozent, wenn die Technologie dazu beiträgt, resistente Kartoffel- oder Apfelsorten zu züchten oder den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in der Landwirtschaft zu reduzieren. Die plötzlich viel höhere Zustimmung ist ein klarer Beweis dafür, dass ein konkreter Nutzen zu einer differenzierteren Meinungsbildung führt.
Abschliessend lässt sich sagen, dass rein auf Angst fokussierte Umfragen nicht den tatsächlichen Willen der Konsumentinnen und Konsumenten spiegeln. Um das zu erreichen, muss stets eine Abwägung von konkretem Nutzen und Risiken mehrerer Technologien stattfinden. Umfragen sollten diesen Prozess unterstützen, anstatt ihn zu behindern. Durch eine ausgewogene Fragestellung kann der sachliche Dialog gefördert und eine emotionalisierte Debatte vermieden werden.
Sources
Umfrage Bundesamt für Statistik: «Umweltindikator: Einschätzung von Gefahren». Verfügbar unter: https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/raum-umwelt/umweltindikatoren/alle-indikatoren/auswirkungen-auf-die-gesellschaft/einschaetzung-gefahren.html
Bearth, A. (2021). «Konsumierende wollen keine Gentechnik» taugt als Mantra nicht. Akademien der Wissenschaften Schweiz. Verfügbar unter: https://scnat.ch/de
Progressive Agrarwende. Akzeptanz Gentechnik. Verfügbar unter: https://progressive-agrarwende.org/akzeptanz-gentechnik/
ETH Zürich News (2021). How do we feel about genetic engineering? Verfügbar unter: https://ethz.ch/de/news
«Schweizer Bauer». Gentechnik braucht einen Dialog. Verfügbar unter: https://www.schweizerbauer.ch/pflanzen/forschung/gentechnik
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