Wie lässt sich Biodiversität effizient schützen?

Wie lässt sich Biodiversität effizient schützen?

Biodiversität ist eine wichtige Lebensgrundlage. Und das Thema ist sehr aktuell: Die Pflicht zur Ausscheidung von Biodiversitätsförderflächen in der Schweizer Landwirtschaft hat offensichtlich nicht die angestrebten Ziele erreicht. Die Artenvielfalt bleibt gemäss aktuellen Veröffentlichungen unter Druck. Dies ist Anlass für swiss-food, das Spannungsfeld Biodiversität und Landwirtschaft in den Mittelpunkt des periodischen Talks mit drei ausgewiesenen Experten zu stellen und Hintergründe auszuleuchten.

Dienstag, 2. Juli 2024

Den Fragen zur Biodiversität stellten sich Felix Herzog, Leiter der Forschungsgruppe Agrarlandschaft und Biodiversität bei Agroscope, Martin Haab, Nationalrat, Landwirt und Präsident des Zürcher Bauernverbandes sowie Sebastian Funk, Projektleiter Naturpositive Agrarsysteme (NaPa) bei Syngenta. Sie präsentierten ihre Erkenntnisse unter der Gesprächsleitung von Nicole Borel, Leiterin Kommunikation und Public Affairs von Bayer Schweiz.

Der Talk stand unter dem Titel: «Schutz der Biodiversität – messen, lernen, verbessern». Borel verwies zum Auftakt auf die grundlegende Bedeutung der Biodiversität. Sie gewährleistet stabile Nahrungsketten und Stoffkreisläufe. Der Industrie diene sie als Inspirationsquelle, die Landwirtschaft profitiere von den Bestäubungsleistungen der Insekten. Umso wichtiger ist es auch, mehr über Biodiversität zu wissen, um die Wirksamkeit von getroffenen Massnahmen besser einschätzen zu können.


Biodiversität spiegelt Vielfalt

Für Felix Herzog ist Biodiversität die Vielfalt des Lebens, der Gene, der Pflanzensorten, die verschiedenen Tierarten und -rassen, die Vielfalt der Lebensräume in der Landschaft. Zwischen den Bereichen gibt es eine Vielzahl von Interaktionen, die funktionieren müssen. Dies ist besonders für die Landwirtschaft wichtig. Man gehe grundsätzlich davon aus, dass eine höhere Biodiversität einhergehe mit einer grösseren Resilienz der Lebensräume gegen Störungen.

Referat Felix Herzog (YouTube)

Die Biodiversität im Agrarraum ist gemäss Herzog deshalb wichtig, weil die Landwirtschaft rund einen Drittel der Fläche der Schweiz bewirtschaftet – vom Ackerland bis zu den Alpweiden. Die Bedrohung der Biodiversität zeige sich etwas darin, das rund ein Drittel der Tagfalter zu den gefährdeten Arten gehören würden. Teilweise kommt es auch zu Verschiebungen. So haben die wärmeliebenden Arten in der Schweiz in den letzten Jahren zugenommen und die Präsenz der kälteliebenden Arten ist zurückgegangen.


Fast 20 Prozent Biodiversitätsförderflächen

Wichtigstes Instrument in der Landwirtschaftspolitik im Hinblick auf die Biodiversität sind die Biodiversitätsflächen. Sie wurden 1993 eingeführt und sind seit 1999 mit dem Ökologischen Leistungsnachweis Voraussetzung für den Bezug von Direktzahlungen. Seither muss jeder Landwirt Biodiversitätsflächen bewirtschaften. Heute sind dies rund 19,3 Prozent der gesamten Fläche und der Bund entschädigte dies 2022 mit 443 Mio. Franken. Bei den Förderflächen werden drei Qualitätsstufen unterschieden. Für die Stufe Q1 gibt es Vorgaben für die Bewirtschaftung. Wiesen dürfen beispielsweise erst ab einem bestimmten Zeitpunkt gemäht werden. In Stufe Q2 werden ergebnisorientierte Massnahmen entschädigt und Stufe Q3 bezieht sich auf Entschädigungen für Vernetzungsprojekte, in denen die Bauern und Bäuerinnen mehrerer Betriebe die Anlage von Biodiversitätsförderflächen gemeinsam planen.


Biodiversitätsflächen bringen Nutzen

Agroscope misst die Biodiversität mit einem Monitoring-Programm (ALL-EMA). Es stützt sich auf Messpunkte, die zufällig über die Landwirtschaftsflächen im ganzen Land verteilt sind. Erfasst wird die Vielfalt der Pflanzen und Tierarten. Im Gegensatz zum Talgebiet ist die Biodiversität in den oberen Bergzonen höher. Das sei früher nicht der Fall gewesen, gibt Herzog zu bedenken. Dies deutet darauf hin, dass bezüglich Biodiversität insbesondere im Talgebiet und beim Ackerbau ein Potential bestehe. Der Grund für den Verlust von Biodiversität ortet Herzog bei der Intensivierung der Landwirtschaft. Auf Basis der Forschung von Agroscope lässt sich der Nutzen von Biodiversitätsflächen zeigen. Die Forschung zeigt auch, dass Biodiversitätsmassnahmen häufigeren Arten mehr nützen. Bei vom Aussterben bedrohten Arten brauche es zum Schutz jedoch dedizierte Naturschutzgebiete, die wiederum vernetzt sein müssten, meint Herzog. Insgesamt hilft das Monitoring, informierte Entscheide zu treffen. Zur Frage, ob wir genug Biodiversitätsflächen haben, sagt Herzog: «Wir haben genug Fläche im Berggebiet und im Grasland – Handlungsbedarf besteht im Talgebiet und im Ackerbau». Es stelle sich heute viel eher die Frage der Qualität. Es geht somit darum, die Effizienz dieser Flächen zu erhöhen.


ZiBiF will Biodiversität mit Eigeninitiative fördern

Nun war es an Nationalrat und Landwirt Martin Haab einen Einblick in die Praxis zu geben. Der Zürcher Bauernverband, den er präsidiert, hat gemeinsam mit Bund und Kanton unter dem Titel ZiBiF ein Projekt gestartet, das die zielorientierte Biodiversitätsförderung bezweckt. Das Projekt will mit klaren Zielen und mehr Freiheiten die Bewirtschaftung der Biodiversität fördern. Im Mittelpunkt stehen die Wissensförderung und die Eigenverantwortung der Bauern. Das Projekt geht gemäss Haab von der Erfahrung aus, dass die heutige Biodiversitätsförderung zu schematisch abläuft. Die Bauern haben nur zu wenig Handlungsspielraum. Sie hätten keine Möglichkeit, von den vorgegebenen Massnahmen auf den Flächen abzuweichen, gibt Haab zu bedenken. Und die Starrheit fördere nicht unbedingt die Biodiversität.

Referat Martin Haab (YouTube)

Grundlage des ZiBiF-Projektes ist die Erkenntnis, dass die erfolgreiche Förderung der Biodiversität von vielen Faktoren abhängig ist. Es spielen die Lage, die Fläche, die klimatischen Bedingungen, das Wetter und auch der Lebensraumtyp eine Rolle. Eigeninitiative heisst jedoch im Rahmen von ZiBiF nicht, dass man den Bauern sage, macht einfach mal und wir schauen, was rauskommt. Im Gegenteil: Eine erfolgreiche Biodiversitätsförderung brauche eine auf die Flächen abgestimmte Planung. Wichtig sei auch, dass die Flächen im Hinblick auf die Biodiversitätsförderung evaluiert würden. Nicht jede Fläche ist geeignet, hat genügend Potential. Für Martin Haab ist klar: «Heute gibt es Flächen, die nichts bringen, die keine Qualität haben.» Wichtig sei deshalb die Beratung und auch das Wirkungsmonitoring sowie die wissenschaftliche Begleitung und Dokumentation. Das Projekt läuft bis Ende 2026 und für Haab ist klar: «Zielorientierte Biodiversitätsmassnahmen bringen den Bauern und der Biodiversität mehr als starre Vorgaben.»


NaturPositive Agrarsysteme

In der Folge stellte Sebastian Funk von Syngenta das Projekt NaturPositive Agrarsysteme (NaPA) vor. Beteiligt sind Landwirtschaftsbetriebe aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Ziel des Projektes ist die Messung der Biodiversität, aber auch der Bodengesundheit und Klima-Resilienz. Und auch die Wirtschaftlichkeit ist ein Kriterium. Bei den beteiligten 19 Landwirtschaftsbetrieben wird an jeweils acht unterschiedlichen Standorten pro Betrieb ein ganzjähriges Insektenmonitoring betrieben.

Referat Sebastian Funk (YouTube)

Die Insekten werden mit Fallen gefangen und die Resultate wöchentlich ausgewertet. Beobachtet wird jedoch auch der Boden mit seinen Kleinstlebewesen. Und auch die vorhandenen Vögel werden erfasst. Die Auswertung der Flaschen mit den Proben, die laufend ans Leibniz-Institut in Bonn eingeschickt werden, stellt einen massiven Aufwand dar. Fachkräfte untersuchen die Proben unter dem Mikroskop und erstellen Listen mit den vorhandenen Insekten und Kleinstlebewesen. Pro Jahr werden 7000 Proben ausgewertet.

Am Projekt zeigt sich eine grosse Herausforderung für die Biodiversitätsforschung sagt Funk: «Es fehlen skalierbarere Methoden zur Erfassung der Biodiversität.» Hier braucht es weitere Forschung und die Evaluation unterstützender Technologien, damit die Biodiversitätsforschung automatisiert werden kann. Die Resultate werden laufend ausgewertet und erste Arbeiten zum Projekt sollen im Herbst 2024 publiziert werden.

Von den erfassten Betrieben wirtschaften einige konventionell und andere biologisch. Neben der Forschung hat sich das Projekt auch zum Ziel gesetzt, die Landwirte zu vernetzen und einen Erfahrungsaustausch zu ermöglichen.

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