Wieso Quallen bald auf unseren Tellern landen könnten

Wieso Quallen bald auf unseren Tellern landen könnten

Werden Quallen der neue Stern am Superfood-Himmel? Fachleute empfehlen ihren Verzehr und schwärmen von den glibberigen Meerestieren als neue Proteinquelle. Doch die Zulassung solcher Produkte steht noch aus.

Mittwoch, 7. August 2024

Sie sind durchsichtig, glibberig und eigentlich immer unerwünscht: Quallen. Die meisten Badegäste fürchten sich vor den Nesseltieren und möchten am liebsten einen grossen Bogen um sie machen. Kaum vorstellbar also, dass die giftigen Meeresbewohner auf unseren Tellern landen sollen. Genau das wird aber von Fachleuten empfohlen, wie die «NZZ» berichtet.

Hochglanzmagazine schreiben vom «neuen Superfood aus dem Meer» und immer mehr Menschen scheinen sich mit der kulinarischen Idee von Quallen anfreunden zu können. Auch swiss-food hat das Thema bereits aufgenommen. Fachleute sind überzeugt: Der Hype für Quallen- und Algenfood ist berechtigt – insbesondere im Hinblick auf ökologische Faktoren. Mit der wachsenden Weltbevölkerung stelle sich je länger je mehr die Frage der Ernährungssicherheit. Da Proteinquellen wie Fleisch nicht beliebig skalierbar sind und in den Meeren die Bestände vieler Fische zurückgehen, schaut man sich nach anderen Optionen um. «Weiter unten in der Nahrungskette aber gibt es gerade in den Ozeanen Ressourcen, die wir in Europa bisher gar nicht als mögliche Nahrungsquelle wahrgenommen haben», sagt Holger Kühnhold vom Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) in Bremen zur «NZZ». Gemeint sind eben beispielsweise Quallen.


Quallen mit Pommes frites oder Mango

In Asien ist man uns bereits einen Schritt voraus. Dort werden bereits über 30 Quallenarten genutzt und landen am Ende in Suppen oder Salaten. Wie Umfragewerte zeigen, scheinen die Menschen in Europa dem Verzehr von Quallen gegenüber noch etwas skeptischer zu sein. Die Meeresbewohner lösen gemäss diesen bei vielen Europäern Ekelgefühle aus. Ein Projekt namens «Go Jelly» soll jedoch Abhilfe schaffen. Dabei kooperieren diverse Forschungseinrichtungen aus Europa und eine aus China und suchen nach Lösungen, um Quallen-Food attraktiver zu machen. Die EU hat dafür gar sechs Millionen Euro Fördergelder gesprochen – und das, obwohl Quallen in der Schweiz und Deutschland als Lebensmittel noch nicht einmal zugelassen sind. Es stellt sich grundsätzlich die Frage: Wie kann man ein so negativ behaftetes Tier wie die Qualle den Menschen in unseren Breitengraden schmackhaft machen? «Ein origineller Ansatz sind zum Beispiel Quallen-Chips», meint Kühnhold.

Und: Sind Quallen überhaupt gesund für den Verzehr und schmackhaft? Obwohl sie zu 97 Prozent aus Wasser bestehen, haben sie Kühnhold zufolge «ein sehr interessantes Nährwertprofil». So enthalten sie nicht nur essenzielle Aminosäuren und langkettige Omega-3-Fettsäuren, sondern auch entzündungshemmende Substanzen. Besonders geschwärmt wird von der Gabelalge (Codium fragile). Die Qualle kommt in vielen Meeren vor und soll besonders gut mit Kaffee, Pommes frites, Tequila, Entenbrust, Spargel oder auch Mango kombinierbar sein. Zu diesem Schluss kommt die belgische IT-Firma Foodpairing NV aus Gent, die sich auf die Analyse von Aromen spezialisiert hat.


Fehlende Zulassungen blockieren Innovation

Doch nicht nur die Kombinierbarkeit mit anderen Lebensmitteln, auch die Züchtung von Quallen wird bereits diskutiert. So wird aktuell daran geforscht, dass man die Quallen künftig nicht mehr nur aus dem Meer fischt, sondern direkt an Land züchtet. «Eine nachhaltige Produktion findet am besten dort statt, wo auch konsumiert wird», sagt die Berliner Wirtschaftswissenschafterin Myriam Preiss in der «NZZ». Gemeinsam mit anderen Forschern hat sie diverse mobile Systeme für die Züchtung von Quallen und Algen entwickelt. Die Ökonomin ist generell vom Potenzial von Quallen als Superfood überzeugt. «Vor 20 Jahren fanden auch sehr viele Mitteleuropäer Sushi gewöhnungsbedürftig. Warten wir einmal ab, wie wir in zwanzig Jahren über Quallen-Food denken werden», so Preiss.

Vielversprechende neue Nahrungsmittelquellen und -technologien gibt es zuhauf. Bevor diese aber um das Interesse der Konsumenten buhlen können, gilt es eine noch grössere Hürde zu überwinden: Fast alle grundlegend neuen Technologien im Ernährungsbereich stehen hierzulande vor regulatorischen und zulassungsbezogenen Herausforderungen. Quallen sind in der Schweiz noch nicht für den Verzehr zugelassen. Politik und Behörden lassen sich Zeit. Die Zulassungshürden betreffen auch andere Nahrungsquellen wie biotechnologisch hergestelltes Fleisch oder alternative Milchproteine. swiss-food berichtete etwa über das israelische Start-up «Remilk». Im Bereich der Gentechnik und der neuen Züchtungstechnologien besteht sogar ein gesetzliches Moratorium. Selbst die öffentliche Forschung hatte darunter zu leiden. Forschung und Entwicklung neuer Nahrungsmittel-Technologien ist hierzulande daher nicht attraktiv.

Als Folge findet die eigentliche Innovation im Bereich nachhaltiger Technologien für die Ernährung in anderen Ländern statt. Es ist entscheidend, dass weniger überreguliert wird, um die Einführung und Entwicklung nachhaltiger und vielversprechender Nahrungsmittel aus alternativen Quellen oder dem Labor auch in unserem Land zu fördern. Denn so bald wie im Titel angekündigt dürften die Quallen zumindest bei uns nicht auf dem Teller landen – von Gesetzes wegen.

Ei der Zukunft

Quallen sind schon seit einiger Zeit im Visier von Forschern, wenn es um Superfood geht. Als das sogenannte «Ei der Zukunft» wurden diese bereits 2023 angepriesen. Die Nesseltiere seien reich an Proteinen und eignen sich deshalb perfekt als Eierersatz. Doch nicht nur Quallen sind im Fokus der Forschenden. Auch pflanzenbasierte Produkte wie Sojaproteine sind hoch im Kurs. swiss-food hat bereits ausführlich über das «Ei der Zukunft» berichtet.

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