Zulassung neuer Pflanzenschutzmittel: Bund zaudert, Parlament macht Druck

Zulassung neuer Pflanzenschutzmittel: Bund zaudert, Parlament macht Druck

In der Schweiz harzt es bei der Zulassung neuer Pflanzenschutzmittel. Und es herrscht eine störende Asymmetrie. Der Bund entzieht Pflanzenschutzmitteln, welche die EU vom Markt nimmt, sofort die Bewilligung. Gleichzeitig beharren die Behörden bei der Zulassung neuer Wirkstoffe bis jetzt auf einem eigenständigen, schweizerischen Zulassungsprozess. Die Folgen sind eine riesige Bürokratie und ein massiver Zulassungsstau. Dadurch wird die regionale Produktion erschwert und es kommt zu Ernteausfällen. Nun ist Bewegung ins Dossier gekommen. Im Rahmen einer Vernehmlassung schlägt der Bund eine Angleichung der Zulassung an die EU vor. Allerdings sind die Vorschläge unbefriedigend. Das Parlament pocht auf eine überzeugendere Lösung.

Dienstag, 6. Februar 2024

Zum Schutz der Kulturen fehlen der Schweizer Landwirtschaft immer mehr Pflanzenschutzmittel. Die Folgen sind gravierend. Zur Bekämpfung von Schädlingen und Pflanzenkrankheiten fehlen die Mittel. Es kommt zu «Food Waste» auf den Äckern, den die Fachleute als «Food Loss» bezeichnen. Zudem drohen Resistenzen, wenn die Bauern nicht mehr auf eine genügend breite Palette von Mitteln zugreifen können. Wie der «Tages-Anzeiger» berichtet, war die letzte Zwetschgensaison schlecht. Der Pflaumenwickler nistete sich in den Zwetschgen ein. Gleichzeitig nimmt die Zahl an Pflanzenschutzmitteln ab. «Letztes Jahr standen ihnen 316 Wirkstoffe zur Verfügung, 2005 waren es noch 435, gut ein Drittel mehr. Gestiegen ist dafür die Zahl der Notfallzulassungen, mit denen der Bund Bauern aus der Patsche helfen will: von 5 im Jahr 2016 auf 27 letztes Jahr – Rekord.» Der Schweizer Bauernverband warnt im Artikel vor einer schrumpfenden Wirkung der Wirkstoffpalette. Sie habe «dramatische Folgen» für den Pflanzenschutz.

Ende 2022 warteten rund 700 Pflanzenschutzmittel auf eine Zulassung. swiss-food.ch hat auf Basis eines Artikels in «La Liberté» darüber berichtet. Das schleppende Zulassungsverfahren und der Pendenzenberg verhindern einen effizienten Pflanzenschutz mit modernen Mitteln. So hatten Schaffhauser Winzer im nasskalten Sommer 2021 gegenüber ihren deutschen Kollegen ennet der Grenze das Nachsehen. Ihnen fehlten moderne Fungizide. Nun will der Bund das Problem angehen. Es läuft derzeit das Vernehmlassungsverfahren zur Revision der Pflanzenschutzmittelverordnung (PSMV), mit dem der Bundesrat das schweizerische Zulassungsverfahren an dasjenige der EU annähern will. Die Vorlage hält einer genaueren Betrachtung allerdings nicht stand. So bemängelt etwa die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerats (WAK-S) die mangelnde Konsequenz. Die Kommission ist der Ansicht «… es brauche mehr Druck und noch weitere Schritte, um die schwierige Situation im Pflanzenschutzbereich zu verbessern.» Deshalb hat die Kommission eine parlamentarische Initiative (22.441) und eine Motion (21.4164) überwiesen. Beide Vorstösse verlangen, dass die Schweizer Behörden bei der Zulassung von Wirkstoffen der EU respektive für die daraus formulierten Pflanzenschutzmittel die Zulassungsentscheide von Mitgliedsländern übernehmen, damit dort zugelassene Pflanzenschutzmittel auch dem Schweizer Markt ohne Verzögerung zur Verfügung stehen. Dies ist nur folgerichtig, denn bei den Wirkstoffrückzügen folgt die Schweiz ebenfalls automatisch der EU. Die Annahme der pa.Iv. (22.441) «Modernen Pflanzenschutz in der Schweiz ermöglichen» führt dazu, dass die WAK-N nun innert zwei Jahren eine entsprechende Vorlage ausarbeiten muss. Sie gibt dem Parlament das Heft in die Hand. Und es kommt zu einem Neuanfang auf Gesetzesstufe.

Der sich in Vernehmlassung befindende bundesrätliche Vorschlag für eine totalrevidierte Pflanzenschutzmittelverordnung (PSMV) bleibt leider unbefriedigend. Mit einer horrenden Gebührenerhöhung macht er zudem die zaghaften Fortschritte wieder zunichte. Dieser Ansicht vertritt Jürg Burkhard von der Firma Sintagro, die Pflanzenschutzmittel aus dem Ausland in die Schweiz importiert und hier zur Zulassung anmeldet, in der «BauernZeitung». «Für ein neues Pflanzenschutzmittel mit neuem Wirkstoff wird die Zulassung 40-mal teurer und kostet statt bisher 2500 neu 100’000 Franken. Ist der Wirkstoff in der EU schon genehmigt, kostet es künftig 30-mal mehr.» Damit lohnt sich die Zulassung in der Schweiz nicht mehr. Der Schweizerische Bauerverband teilt gemäss dem Artikel die Befürchtungen des Importeurs. «Die Wirkstoff- und Produktevielfalt würde noch stärker zurückgehen», sagt der Fachverantwortliche David Brugger gegenüber der «BauernZeitung». Und für Jürg Burkhard ist die Harmonisierung der Vorschriften mit der EU und die gleichzeitige Gebührenexplosion unverständlich: «Ausserdem verstehe ich nicht, warum trotz einer Vereinfachung die Kosten für die Verwaltung nicht sinken.» Er gibt der «BauernZeitung» zu bedenken, dass schliesslich die erneute Prüfung von in der EU zugelassenen Produkten künftig wegfallen würde.

Aus Sicht der Industrie gewährleistet nur ein harmonisiertes und effizientes Zulassungsverfahren moderne und innovative Schutzkonzepte für die Schweizer Landwirte. Es braucht einen Befreiungsschlag aus der gegenwärtigen unehrlichen Praxis von Notfallzulassungen durch Bund, Kantone und Produzentenorganisationen. Handeln ist dringlich, um den Schutz der Kulturen auf robuster gesetzlicher Grundlage zu sichern.

Mit der vorliegenden Vorlage zaudert der Bundesrat. Zusammenfassend stehen folgende Kritikpunkte im Vordergrund:

  • Keine automatische Übernahme der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln.
    Die Vernehmlassungsvorlage übernimmt zwar die von den Vorstössen geforderten EU-Zulassungsentscheide für Pflanzenschutzwirkstoffe. Unter bestimmten Voraussetzungen wird auch eine erleichterte Zulassung von Pflanzenschutzprodukten ermöglicht, sofern bereits ein identisches Pflanzenschutzmittel in einem EU-Mitgliedstaat mit vergleichbaren agronomischen, klimatischen und umweltrelevanten Bedingungen wie in der Schweiz zugelassen ist. Doch können die Schweizer Behörden Verschärfungen gegenüber der EU-Gesetzgebung bestimmen, sind aber nicht verpflichtet, die Entscheide der EU zu übernehmen und auf Bedürfnisse der Landwirtschaft einzugehen.
  • Keine verbindlichen Fristen analog zu den EU-Staaten.
    Die Vernehmlassungsvorlage sieht vor, dass analog zur EU die Zulassungen von Pflanzenschutzmitteln neu befristet sind. Die in der EU geltenden Bearbeitungsfristen im Zulassungsprozess werden jedoch nicht übernommen. Die Hersteller benötigen ein Minimum an Planungssicherheit, um den Schweizer Markt überhaupt beliefern zu können.
  • Die Vorlage entlastet die Behörden nicht, führt indes zu Mehrkosten ohne Gegenwert.
    Eine vollständige automatische Übernahme der EU-Zulassungsentscheide für Wirkstoffe und Produkte im Sinne der Pa. Iv. 22.441 und der Motion 21.4164 würde administrativ zur Entlastung der Behörden führen. Dies wäre in Anbetracht der knappen Bundesfinanzen ein wirksames Mittel, finanzielle und personelle Ressourcen einzusparen, ohne das Sicherheitsniveau zu gefährden.
  • Massive Erhöhung der Zulassungsgebühren gefährdet inländische Produktion.
    Zusammen mit der revidierten PSMV sollen die Gebühren für die Zulassung eines Pflanzenschutzmittels erhöht werden. Das von den Behörden zur Begründung angeführte Verursacherprinzip wird einseitig auf die Antragssteller überwälzt. Doch ohne sich rechnende Business Cases werden die Firmen weniger Zulassungsanträge für neue moderne Mittel und für die Wiederzulassung nach Ablauf der Bewilligung stellen, da es sich für den kleinen Schweizer Markt schlicht nicht mehr lohnt. Das führt zu Ertragsausfällen in der Landwirtschaft und gefährdet die inländische Produktion. Denn es müssen auch alle enttäuscht werden, die auf Parallelimporte hoffen: Importiert werden darf nur, was in der Schweiz über eine Zulassung verfügt.

Für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln in der Schweiz ist das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) zuständig. Diese Regelung gilt seit 2022. Insgesamt mischen jedoch vier Bundesämter bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln mit. Die Neuorganisation hat jedoch nicht dazu geführt, dass der Pendenzenberg abgetragen werden konnte. Die mit der Pflanzenschutzmittel-Verordnung beantragte massive Erhöhung der Zulassungsgebühren führt das Verursacherprinzip ad absurdum. Mit den Gebühren sollen die höheren Personalkosten kompensiert werden, die massgeblich durch das Beantragen der Parteistellung der Umweltschutzorganisationen verursacht wurden. Das hat auch der Bundesrat in der Beantwortung von Anfragen aus dem Parlament bestätigt.

Pflanzenschutzmittel müssen wirksam sein

Die Zulassung eines Pflanzenschutzmittels erfolgt in der Schweiz in aufwendigen Verfahren, die den Schutz der Anwender und Konsumenten, der Umwelt und der Nutzpflanzen zum Ziel haben. Der Kern jeder Pflanzenschutzmittelzulassung bildet die Prüfung der Wirksamkeit und der Pflanzenverträglichkeit einer Substanz. Um diese Eigenschaften beurteilen zu können, müssen umfangreiche Studien amtlicher oder amtlich anerkannter Forschungsinstitutionen vorgelegt werden. Diese werden von Expertinnen und Experten verschiedener Bundesämter nach internationalen Standards bewertet. Nur wenn sämtliche Anforderungen erfüllt sind, wird die Zulassung erteilt. Die Fakten zum Zulassungsprozess.

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