«Zusätzlich die eineinhalbfache Fläche der EU»

«Zusätzlich die eineinhalbfache Fläche der EU»

Die Weltbevölkerung wird bis 2050 auf ungefähr zehn Milliarden Menschen anwachsen. Damit die Landwirtschaft mit dem Wachstum mithalten kann, müssten bis dann riesige Flächen für die Nahrungsmittelproduktion umgenutzt werden. Das setzt Umwelt, Biodiversität und Klima zusätzlich unter Druck. Für Urs Niggli ist deshalb klar: Wir müssen bestehende Flächen produktiver nutzen. Dazu gehört auch der Einsatz der Genom-Editierung.

Mittwoch, 27. Oktober 2021

Im Interview mit dem «Tagesspiegel» spricht Urs Niggli, Agrarwissenschaftler und ehemaliger Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau FiBL, über die Herausforderungen für die globale Landwirtschaft.

Ein grosses Problem ist der zunehmende Flächenbedarf: «Selbst wenn die Erträge der globalen Landwirtschaft weiter steigen wie bisher, müssten bis zum Jahr 2050 rund 200 Millionen Hektar Ackerland und 400 Millionen Hektar Grünflächen zusätzlich bewirtschaftet werden, um die bis dahin auf geschätzt knapp zehn Milliarden anwachsende Weltbevölkerung zu ernähren.» Das entspricht der eineinhalbfachen Fläche der Europäischen Union. Die Auswirkungen auf die Biodiversität und das Klima wären enorm. Niggli vertritt deshalb die Ansicht, dass unberührte Moore und Regenwälder nicht in Agrarflächen umgewandelt werden dürfen. Die bestehenden Flächen müssen dagegen produktiver bewirtschaftet werden.

Blindspot-Artikel

Eine umfassend nachhaltige Lebensmittelproduktion und eine gesunde Ernährung sind komplexe Themenfelder. Es braucht die Betrachtung aus verschiedenen Blickwinkeln. Doch unliebsame Fakten kommen in der öffentlichen Diskussion häufig zu kurz. Wir beleuchten, was gerne im Schatten bleibt. So kommen die Zielkonflikte zur Sprache.

Biolandbau mit grösserem Flächenverbrauch
Damit dies gelingt, braucht es verschiedene Ansätze. Einerseits sollte gemäss Niggli auf den Anbau von Futterpflanzen auf Ackerflächen grösstenteils verzichtet werden. Gleichzeitig müssen wir die Verschwendung von Lebensmitteln so weit als möglich reduzieren. Aber: Es braucht auch neue Technologien. Denn Schädlinge und Pflanzenkrankheiten werden die Ernten auch in Zukunft nicht verschonen – und fremde Arten werden sich wegen globaler Handelsströme und dem Klimwandel weiter verbreiten.


Der Züchtung von resistenten Pflanzen kommt dabei eine besondere Rolle zu: «Weizensorten, die mit den modernen Gen-Scheren resistent gegen Mehltau werden und Obstbäume, die mit gentechnisch eingebauten Erbinformationen dem Apfelschorf Paroli bieten, könnten viele Ernte-Einbussen verringern», sagt Niggli. In der konventionellen Landwirtschaft dürfte die Genom-Editierung wohl schon bald eine wichtige Rolle spielen. Der Biolandbau, so Niggli, kann weiterhin wichtige Impulse liefern.


Für Welternährung ungeeignet
Zur Ernährung der Weltbevölkerung ist Bio nicht geeignet. Aus einem einfachen Grund: Die Erträge fallen um 20 bis 25 Prozent geringer aus. Auf guten Böden ist der Unterschied noch grösser. Wenn Flächen gespart werden sollen, ist Bio also nicht die richtige Wahl. Wir ziehen das Fazit: eine im umfassenden Sinne nachhaltige und ressourceneffiziente Landwirtschaft kombiniert klug das Wissen von «Bio» und «konventionell» und nutzt alle verfügbaren sicheren Technologien ohne Scheuklappen.

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