In der «NZZ am Sonntag» behauptet der Kantonschemiker von Schaffhausen und beider Appenzell, Kurt Seiler, dass ein Metabolit (Abbauprodukt) des Pflanzenschutzmittels Chlorothalonil den Höchstwert für Trinkwasser in landwirtschaftlich intensiv genutzten Regionen des Schweizer Mittellandes oft gleich mehrfach überschreite. Das tönt dramatisch. Nur: Beim betroffenen Abbauprodukt («R471 811») handelt es sich um einen sogenannt «nicht-relevanten Metaboliten». Das bedeutet, er ist biologisch inaktiv und stellt daher für Mensch und Umwelt keine Gefährdung da. Das wurde auch in einer vom BLV am 3. Dezember 2019 veröffentlichten Relevanzprüfung bestätigt. Für relevante Metaboliten gilt eine Obergrenze von 0,1 Mikrogramm pro Liter. Für «nicht-relevante Metaboliten» gilt dagegen eine maximale Konzentration von 10 Mikrogramm pro Liter. Diese Information unterschlägt der Kantonschemiker.
Spitzkehre der Behörden
Die von Kantonschemiker Seiler angesprochenen Grenzwertüberschreitungen haben nur stattgefunden, weil die Behörden in einer nicht nachvollziehbaren Spitzkehre plötzlich alle Metaboliten als relevant einstuften – entgegen den eigenen Befunden des BLV. Gegen diesen Entscheid hat sich Syngenta beim Bundesverwaltungsgericht zur Wehr gesetzt. Es geht dabei nicht nur um Chlorothalonil, sondern um verlässliche Rahmenbedingungen. Entscheide über die Zulassung von Wirkstoffen müssen auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse gefällt werden. Unternehmen brauchen Planungssicherheit und müssen wissen, auf welche Wirkstoffe sie zurückgreifen dürfen. Das gilt für die Verkaufsplanung genauso wie für die Produktion. Zu den nicht-relevanten Metaboliten schreibt Seiler in der «NZZ am Sonntag»: «Vor allem eine Frage steht im Zentrum: Warum dauerte es mehr als 40 Jahre, bis die Verunreinigungen entdeckt wurden? Umso mehr, als der Höchstwert im Trinkwasser bereits seit über 20 Jahren besteht und nie verschärft wurde? Die verblüffende Antwort: Sie wurden nicht gefunden, weil man sie nicht suchen konnte!» Kantonschemiker Seiler braucht das Argument, dass man die nicht relevanten Metaboliten nicht finden konnte, um gegen den Zulassungsprozess von Pflanzenschutzmitteln zu wettern.
Nicht alle Abbauprodukte relevant
Verblüffend nur, dass Seiler kürzlich in einem Buch der Bio-Stiftung Schweiz zu den beiden Pestizidinitiativen eine ganz andere Meinung vertritt. Da hat er nämlich die nicht relevanten Metaboliten schon seit vielen Jahren gefunden. Offensichtlich mischt der Kantonschemiker die Argumente ziemlich nach Belieben. Im Kampagnenbuch mit dem polemischen Titel «Das Gift und Wir» schreibt der Kantonschemiker, der offensichtlich keine Berührungsängste zu Pestizid-Populisten hat: «Der lebensmittelrechtliche Höchstwert gilt nicht nur für die Pestizide, also die Wirkstoffe selbst, sondern auch für bestimmte Abbauprodukte, aber nicht für alle. Und genau hier liegt die Crux: Seit vielen Jahren finden wir erhöhte Konzentrationen von Abbauprodukten, für die kein Höchstwert gilt. Das heisst, wir Kantone haben bei diesen Stoffen keine Rechtsgrundlage für eine Intervention.» Unerwähnt bleibt auch da, dass es Abbauprodukte gibt, die nicht relevant – und damit für Mensch und Umwelt ungefährlich -sind und es deshalb auch keine Rechtsgrundlage für eine Intervention braucht. Von einem Kantonschemiker würde man mehr Präzision erwarten.
Resistenzen drohen
Solange Abbauprodukte von Pestiziden nicht relevant sind und keinen negativen Einfluss auf Organismen haben, ist deren schiere Präsenz kein Problem. Die relevanzbedingte unterschiedliche Behandlung dieser sogenannten Metaboliten macht wissenschaftlich Sinn. Zudem gibt es gute Gründe, an bewährten Pflanzenschutzmitteln festzuhalten. In den vergangenen zwei Jahren hat in der Schweiz kein einziges substanzielles neues Mittel eine Zulassung erhalten. Gleichzeitig verschwinden immer mehr Wirkstoffe vom Markt. Stehen nicht mehr genügend verschiedene Pflanzenschutzmittel zur Verfügung, gefährdet dies das nicht nur in der Medizin wichtige Resistenzmanagement. Schädlinge entwickeln vermehrt resistente Eigenschaften, was eine Gefahr für den Anbau in der Schweiz darstellt.
Auch mit anderen Abbauprodukten von Chlorothalonil wird gerne Politik gemacht.