«Biobauern beweisen, dass eine pestizidfreie Produktion möglich ist.» Diese Aussage gehört zum Standardrepertoire der Befürworter der beiden Agrar-Initiativen vom 13. Juni. Sie wird schon fast gebetsmühlenartig wiederholt. Doch sie ist grundfalsch. Auch Biobauern brauchen Pflanzenschutzmittel, um ihre Kulturen vor Schädlingen und Pflanzenkrankheiten zu schützen und Biozide für eine sichere Verarbeitung, wie ein Blick in die Betriebsmittelliste des FibL bestätigt. Mehr als 40 Prozent der in der Schweiz zugelassenen Pflanzenschutzmittel sind auch für den Biolandbau zugelassen. Zu den fünf meistverkauften Pflanzenschutzmitteln gehörten in der Schweiz 2019 Schwefel sowie Paraffinöl – zwei in der Biolandwirtschaft zugelassene Produkte aus Erdölderivaten und meist synthetisch hergestellt. Ein weiteres, in der Biolandwirtschaft weitverbreitetes Mittel, sind Kupferverbindungen. Auch sie werden synthetisch hergestellt und kommen vor allem gegen Pilzbefall im Obst- und Gemüsebau zum Einsatz. Aber auch Bio-Kartoffeln wären ohne Pestizide nicht anbaubar. Ohne Pestizide oder «Hilfsmittel», wie sie im Biolandbau genannt werden, können auch Biobauern ihre Erzeugnisse nicht vor Ernteausfällen schützen und in der gewünschten Qualität und Menge liefern. Zudem: Von einem Verzicht auf besonders risikoreiche Pflanzenschutzmittel wäre gerade Bio besonders stark betroffen.
Biobauern sprechen Klartext
Dass die biologische Produktion ohne Pflanzenschutzmittel eine Illusion ist, wissen auch die Biobauern. Jetzt beginnen sie, sich auch öffentlich kritisch zu den beiden Agrar-Initiativen zu äussern. So berichtet der «Schweizer Bauer» über einen Knospe-Landwirt aus dem Kanton Bern, der sich über ein Kampagnen-Inserat eines Bioweinhändlers ärgert. Dieses erschien in der Zeitschrift «Bioaktuell» von Bio Suisse und machte Stimmung für die Trinkwasser-Initiative – obwohl die Delegierten noch gar keine Parole gefasst haben. «Das geht gar nicht», schreibt der Biobauer auch in einem Facebook-Post.
In der «BauernZeitung» äussert sich Sepp Sennhauser, Biobauer aus Grossrüti in einem Leserbrief zu den beiden Initiativen. Die Schweiz, so Grossrüti, sei noch weit davon entfernt, sich rein mit Bioprodukten ernähren zu können: «Vor allem bei Spezialkulturen wäre eine reine inländische, pestizidfreie Produktion ein Desaster und würde immense Importe auslösen.» Zudem seien sehr viele Biobetriebe auf den Zukauf von Futtermitteln angewiesen. Diese würden aber durch die Trinkwasser-Initiative verboten. «Da fehlt mir bei den Befürwortern die Ehrlichkeit», schreibt der Biobauer.
Die beiden Initiativen seien nicht durchführbar und deshalb eine Illusion. Ohne Pflanzenschutzmittel könne er beispielsweise seine Kartoffeln nicht mehr vor der Kraut- und Knollenfäule schützen. Die Ernten würden abnehmen: «Im schlimmsten Fall könnten wir gar keine Kartoffeln mehr ernten», sagt Krähenbühl in einem Youtube-Video mit Renaud TV. Die Trinkwasser-Initiative würde auch die für den Biolandbau zugelassenen Pflanzenschutzmittel verbieten: «Dadurch könnten wir nicht mehr arbeiten. Die Grundlagen würden uns entzogen», sagt Krähenbühl. Gleichzeitig würden Importe aus dem Ausland zunehmen und die Produkte der Biobauern stark konkurrenzieren.
Kritisch zu den beiden Initiativen äussert sich auch der Biobauer und Nationalrat Alois Huber in einem Interview mit der «Aargauer Zeitung». Die Agrar-Initiativen würden Biobauern massiv einschränken. Gerade im Gemüse- und Obstbau sei die Produktion ohne Pestizide besonders schwer. «Denn es wären nicht nur chemische Pestizide verboten, sondern auch biologische Pflanzenschutzmittel.» Er meint die Trinkwasser-Initiative hätte sogar falsche Anreize: «Für einen Gemüsebauer könnte es sich lohnen, auf die Zahlungen zu verzichten und wieder mehr Pestizide zu verwenden.» Diese Konsequenz bestätigt auch ein Interview mit Gemüsebauern in der WoZ. Zudem kann er sich eine rentable Bewirtschaftung von Hochstammbäumen ohne Pestizide nicht vorstellen. Hochstämmer sind aber für die Vögelpopulationen und die Agrobiodiversität wichtig. Als viel zu radikal sieht er auch die Bestimmung, dass nur noch Futter verfüttert werden darf, das vom eigenen Hof stammt. Das sei überhaupt nicht praxisnah, findet Alois Huber. Da helfen auch Uminterpretationsversuche der Initianten der Trinkwasser-Initiative nicht weiter.
Klar ist: Auch Biobauern brauchen Pestizide. Klar ist auch: Von den beiden extremen Agrar-Initiativen ist auch die Biolandwirtschaft betroffen. Für die Befürworter der Initiativen wird es dagegen immer schwieriger, die Erzählung des Erfolgsmodells der pestizidfreien (Bio-)Landwirtschaft aufrechtzuerhalten.
Thurgauer Biobauer wehrt sich
Auch Bio-Bauer Henauer engagiert sich gegen beide Agrar-Initiativen. An einem Medienanlass im Thurgau führte er aus: «Biobetriebe könnten ohne die Hilfsstoffe die gewünschte Produktqualität nicht mehr erreichen. Die Trinkwasserinitiative, hätte grosse Produktionsmengen-Defizite zur Folge. Diese würden durch sich einzig auf die gesetzlichen Umweltauflagen beschränkten Grossbetriebe sowie durch Importe gedeckt». Gegen die Pestizidverbotsinitiative engagiert er sich, weil die Preise in der Schweiz massiv steigen würden, was einen Boom beim Einkaufstourismus zur Folge hätte.
Und Regierungsrat Walter Schönholzer, Vorsteher des Volkswirtschaftsdepartements, hielt fest, dass die Initiativen nicht zu Ende gedacht seien. «Sauberes Trinkwasser und keine synthetischen Pestizide, das tönt gut. Bei einer Annahme der Initiativen ergäben sich für die Thurgauer Landwirtschaft aber überwiegend Nachteile.» Schönholzer befürchtet, dass die Wertschöpfung der Thurgauer Gemüse- und Obstproduzenten stark sinken und der Zuckerrüben- und Rapsanbau gänzlich verschwinden könnten. Es brauche auch keinen neuen zusätzlichen Kontrollapparat zur Überprüfung von Produktionsmethoden im Ausland. «Bitte ersparen Sie mir diesen Kontrollapparat und diesen administrativen Irrsinn und stimmen Sie zweimal Nein.»
Bio-Verarbeiter lehnen Agrar-Initiativen ab
Auch die IG BIO lehnt die Trinkwasser-Initiative und die Pestizidverbots-Initiative ab. Die IG vereinigt Schweizer BIO-Lebensmittel-Unternehmer aus Grosshandel, Logistik, Verarbeitung und Detailhandel. Zwar setzt sich die Interessengemeinschaft für eine Reduktion des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln ein, doch die beiden Initiativen seien aufgrund ihrer unklaren Wirkungen dafür der falsche Weg. Kritisiert wird vor allem das umfassende Verbot synthetischer Pestizide bei der Pestizidverbots-Initiative. Denn davon ist auch der Biolandbau betroffen. Zudem wird befürchtet, dass eine rückläufige inländische Produktion zu höheren Preisen und auch zu mehr Bio-Importen aus dem Ausland führt. Die Forderung der Trinkwasser-Initiative, dass nur noch so viele Tiere gehalten werden dürfen, wie mit Hofeigenem Futter enährt werden können, wäre gemäss der IG BIO nur sehr schwer umzusetzen.