Die beiden Agrarinitiativen «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide» sowie die «Trinkwasser-Initiative» hätten bei einer Annahme gravierende Folgen für den Wirtschafts- und Forschungsstandort Schweiz. Auch Bauern und Konsumenten wären stark betroffen. Ein Blick auf die Initiative «Für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung – Keine Subventionen für den Pestizid- und den prophylaktischen Antibiotika-Einsatz» aus Sicht der forschenden Industrie in der Schweiz.
Pestizide können in Pflanzenschutzmittel und Biozide unterteilt werden. Mit dem Einsatz von Pflanzenschutzmitteln werden Kulturpflanzen vor dem Befall von Schädlingen (Insekten, Pilze, Unkraut) und Pflanzenkrankheiten geschützt. Biozide werden ebenfalls zur Schädlingsbekämpfung eingesetzt. Jedoch nicht beim Anbau von Pflanzen, sondern im Stall und in der Lebensmittelverarbeitung als Desinfektions-, Schutz- und Reinigungsmittel. Eine pestizidfreie Produktion müsste also gänzlich auf Pflanzenschutzmittel, Hygiene- und Vorratsschutz verzichten. Die «Trinkwasser-Initiative» möchte Landwirten Subventionen und Direktzahlungen entziehen, die weiterhin Pflanzenschutz- und Desinfektionsmittel in ihrem Betrieb einsetzen wollen. Das gefährdet die Lebensmittelsicherheit. Und hätte existentielle Folgen für den Bauernstand, dem die Produktion erschwinglicher, lokaler Lebensmittel in hoher Qualität nicht mehr möglich wäre. Das ist nicht im Interesse der Konsumentinnen und Konsumenten.
Öffentliche Forschung in Gefahr
Eine Annahme der Initiative hätte zur Folge, dass wohl keine Gelder mehr in die öffentliche Pestizid-Forschung in der Schweiz fliessen würden. Landwirtschaftliche Forschung, Beratung und Ausbildung wären nur noch erlaubt, wenn sie sich an einer pestizidfreien Produktion orientieren. Es könnten mit öffentlichen Mitteln weder Pflanzenschutzmittel noch Desinfektionsmittel für die Landwirtschaft entwickelt werden. Vom Forschungsverbot betroffen ist auch der Biolandbau. Denn 40 Prozent der in der Schweiz zugelassenen Pestizide sind auch dort zugelassen. Und einige der Bio-Pestizide sind mit öffentlichen Forschungsgeldern entwickelt worden. Auf einen Schlag wäre die öffentliche Forschung für Pflanzenschutzmittel am Ende. Die Grundlagenforschung – etwa durch die ETH – wäre nicht mehr möglich, ebenso wenig die angewandte Forschung bei Fachhochschulen oder Agroscope. Um die zahlreichen Herausforderungen der Zukunft zu meistern, braucht es die Hilfe der Wissenschaft. Gesucht sind neue Lösungen gegen invasive Schädlinge, neue Pflanzenkrankheiten oder die Folgen des Klimawandels. Mit der Einschränkung der Forschung verbaut sich die Gesellschaft grosse Möglichkeiten. Denn die Neu- und Weiterentwicklung von Pflanzenschutzmitteln ist gerade auch für eine nachhaltige Landwirtschaft eine Chance. Züchtung allein kann die Herausforderungen nicht lösen: Schädlinge und Krankheiten passen sich sehr schnell an, Resistenzdurchbrüche sind die Folge.
Landwirtschaft braucht Innovation
Die gegenwärtige Corona-Pandemie führt eindrücklich vor Augen, wie wichtig Forschung und Innovation für die Gesellschaft sind. Nur der Wissenschaft traut man zu, ein Medikament oder einen Impfstoff in absehbarer Zeit zu entwickeln. Ebenso deutlich zeigt sich die grundlegende Bedeutung der Versorgungssicherheit mit Nahrungsmitteln. Auch hier sind wir stark von der wissenschaftlichen Forschung abhängig. So wie die Menschen sind auch Früchte, Gemüse und Getreide immer neuen Bedrohungen ausgesetzt. Sie brauchen Schutz gegen Viren, Pilze und Schädlinge und müssen sich mit veränderten klimatischen Bedingungen arrangieren. Beispielsweise brauchen sie Schutz vor der Marmorierten Baumwanze, die letztes Jahr schätzungsweise einen Viertel der Birnen im Kanton Thurgau befallen hat. Gegen die eingeschleppte Wanze ist derzeit noch kein wirksames Mittel zugelassen. Zudem ist damit zu rechnen, dass Dürreperioden, Hitzewellen und Überschwemmungen zunehmen. Das Risiko für Missernten steigt. Pflanzen müssen gegenüber Umwelteinflüssen robuster werden. Nur so kann die global wachsende Bevölkerung auch in Zukunft mit genügend Nahrungsmitteln versorgt werden. Auch hier ruhen die Hoffnungen auf der Forschung und auf einem effektiveren Pflanzenschutz.
Verzicht auf Biozide gefährdet die Lebensmittelsicherheit
Der Einsatz von Bioziden im Lebensmittelsektor trägt wesentlich dazu bei, Verluste von bereits geernteten landwirtschaftlichen Gütern, Nahrungsmittelgrundstoffen, aber auch Futtermittel, zu reduzieren. Biozide sind zudem nötig, um die Hygiene entlang der Verteilungsketten bis zum Verbraucher sicherzustellen. Sie wirken dem vorzeitigen Verderben, der Kontamination mit unerwünschten Mikroorganismen und Krankheitserregern sowie Schädlingen entgegen. Somit dienen sie der Lebensmittelsicherheit. Ohne Biozide käme es auch zu einem erheblich grösseren Verlust an Lebensmitteln. Nicht zu vergessen sind hier sämtliche Wasserversorgungen der Schweiz: Ohne den Einsatz von Bioziden kann die Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser in der Schweiz nicht realisiert werden. Angesichts der Bedeutung der Biozide für die Lebensmittelsicherheit wäre es fahrlässig, die öffentliche Forschung hier mit einer Verfassungsbestimmung auszuhebeln. Denn ein Verzicht auf Biozide gefährdet die Lebensmittelsicherheit.
Pestizid-Forschung als Chance
Dank ihrem ausgezeichneten Forschungs- und Wissensplatz, ist die Schweiz regelmässig Innovationsweltmeisterin. Auch die Nahrungsmittelproduktion- und Verarbeitung ist auf Spitzenforschung angewiesen. Ein faktisches Forschungsverbot an öffentlichen Institutionen bremst die Innovation. Ideologische Denkverbote sind innovationsfeindlich und schliessen Lösungen im Voraus aus. In den vergangenen Jahrzehnten sind Pflanzenschutzmittel dank wissenschaftlicher Forschung immer präziser und wirkungsvoller geworden. Landwirte benötigen heute rund 95 Prozent weniger Pflanzenschutzmittel als im Jahr 1950. Das zeigt den Nutzen der Pflanzenschutzforschung für Gesellschaft und Landwirtschaft sehr eindrücklich. Wer die Forschung verunmöglichen will, schiesst sich ein Eigentor.
Das will die «Trinkwasser-Initiative»
Die Volksinitiative «Für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung – Keine Subventionen für den Pestizid- und prophylaktischen Antibiotika-Einsatz» wird etwas verharmlosend auch als «Trinkwasser-Initiative» bezeichnet. Sie möchte die Direktzahlungen und Subventionen an Bauernbetriebe an drei neue Bedingungen knüpfen. Betriebe sollen nur noch Subventionen und Direktzahlungen erhalten, wenn sie: (1) Auf den Einsatz von Pestiziden verzichten; (2) auf den prophylaktischen Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung verzichten; (3) auf den Zukauf von Futtermitteln verzichten. Landwirte sollen nur noch so viele Nutztiere halten, wie sie mit der Futterproduktion vom eigenen Betrieb ernähren können. Ein wichtiger zusätzlicher Punkt: Landwirtschaftliche Forschung, Bildung und Ausbildung soll nur noch gefördert werden, wenn sie auf eine pestizidfreie Produktion ausgerichtet sind. Der Bundesrat lehnt die Initiative ab. Durch einen generellen Verzicht auf den Einsatz von Pestiziden und den Zukauf von Tierfutter, würde die Produktivität auf vielen direktzahlungsberechtigten Betrieben sinken. Das fehlende Einkommen müsste wiederum mit höheren Staatsbeiträgen ausgeglichen werden – ein Teufelskreis. Statt den Landwirten Produktionsmittel zu entziehen, sollen die Rahmenbedingungen eine unternehmerische Landwirtschaft ermöglichen, die umfassend nachhaltig ist – sozial, ökonomisch und in Bezug auf die Umwelt.