Meinungen
Saori Dubourg

«Allein mit ökologischen Methoden werden wir es nicht schaffen»

Wie passen Klimaschutz und Gewinnorientierung im Chemie- und Agrarunternehmen BASF zusammen? Das Vorstandsmitglied Saori Dubourg spricht in «Die Zeit» über Kleinbauern in Entwicklungsländern, Gentechnik und Pestizide.

Montag, 31. Januar 2022

«DIE ZEIT»: Frau Dubourg, Sie haben einmal gesagt, Ihnen komme es auf Ehrlichkeit an. Welche Wahrheit schmerzt, wenn man in einem Chemieunternehmen für die Nachhaltigkeit zuständig ist?

Saori Dubourg: Dass die Transformation zur Nachhaltigkeit eine grössere Herausforderung ist, als viele Menschen denken. Wir wollen bis 2050 klimaneutral werden. Wir müssen unsere Energieversorgung auf erneuerbare Quellen umstellen und Portfolios neu ausrichten. So wie alle in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft müssen auch wir uns anstrengen.

ZEIT: BASF verdient Geld mit Pestiziden, die der Natur schaden. Die EU-Kommission fordert, den Pestizideinsatz bis 2030 um die Hälfte zu reduzieren. Was bedeutet das für Ihr Unternehmen?

Dubourg: Ich sehe die Herausforderung breiter: 40 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche gingen in den letzten Jahren durch Dürrekatastrophen und Überschwemmungen verloren, und bis 2050 werden wir weltweit rund drei Milliarden Menschen zusätzlich zu ernähren haben. Das bedeutet, dass der Landwirt in der Lage sein muss, Lebensmittel produktiv zu erzeugen und gleichzeitig Umwelt und Klima zu schützen. Dafür brauchen wir zukünftig biologische Pflanzenschutzmittel, aber auch chemische, die eine noch geringere Auswirkung auf die Umwelt haben. Und wir brauchen darüber hinaus noch sehr viel mehr Innovation.

ZEIT: Was meinen Sie damit konkret?

Dubourg: Wir müssen neue Lösungsansätze bei Saatgut, Züchtung, Pflanzenschutz und Digitalisierung intelligent miteinander verknüpfen. Wir können mithilfe wetterbezogener Datensysteme immer präziser sagen, wo einzelne Felder zu trocken sind, wo der Regen zu schnell abläuft und was das für die Böden bedeutet. So können Pflanzenschutzmittel dort eingesetzt werden, wo sie gebraucht werden.

ZEIT: Womit verdient BASF dann künftig Geld?

Dubourg: Mit der Verknüpfung der verschiedenen Systemansätze und dem Know-how darüber. Der Landwirt bekommt von uns ein ganzes Paket aus digitalen Daten, Pflanzenschutzmitteln, verbessertem Saatgut und Beratung, das wir gezielt für sein Feld zusammenstellen.

ZEIT: Viele Bauern befürchten, dass sie diese Rundumversorgung noch stärker von den grossen globalen Agrarkonzernen – BASF, Bayer, Syngenta und Corteva – abhängig macht. Zu Recht?

Dubourg: Fortschritt entsteht heute dadurch, dass Landwirte und Unternehmen wie BASF Daten gemeinsam nutzen. Daten über das Klima, das Wetter, den Boden, die Produkte, und dann gemeinsam neue Lösungen entwickeln. In eine solche Kooperation bringt zum Beispiel Bosch Sensorik, Robotik und Kameratechnik ein, während BASF über digitale Plattformen die Datenalgorithmen beisteuert. Die neuen Pflanzenschutz-Spritzen können dann genau messen und entscheiden, wie viel von einem Mittel ausgebracht werden soll oder ob das überhaupt notwendig ist. Bei so einem Miteinander muss die Frage nach dem Eigentum der Daten natürlich klar geregelt sein.

ZEIT: Also: Wem gehört was?

Dubourg: BASF liefert jene Daten, die erkennen, ob es sich um eine Nutzpflanze, Wildkräuter oder Unkräuter handelt, sowie die Algorithmen, die über die Behandlung entscheiden. Vom Landwirt kommen Daten aus der öffentlichen Ackerschlagkartei. Persönliche und betriebsspezifische Daten bleiben in seinem Besitz.

ZEIT: Eine der unangenehmen Wahrheiten über BASF lautet: Während Sie in Europa mit Hightech versuchen, den Pestizideinsatz zu senken, verkaufen Sie vielen Kleinbauern in Entwicklungsländern Mittel weiter, die bei uns als giftig verboten sind. Wie passt das zu Ihrem Nachhaltigkeitsanspruch?

Dubourg: Bauern brauchen unter tropischen Bedingungen andere Pflanzenschutzmittel als in Europa, entsprechend passen wir unser Angebot an. Alle unsere Produkte haben auch eine Zulassung in mindestens einem Land der OECD.

ZEIT: Gift bleibt dennoch Gift. In ärmeren Ländern können Kleinbauern die Gebrauchsanweisung von Pestiziden oft nicht lesen oder haben keine Schutzkleidung. Müssten Sie dort wegen solcher Risiken nicht vom Verkauf absehen?

Dubourg: Wir schulen die Bauern intensiv, aber unsere Sorgfaltspflicht reicht nicht so weit, das Verhalten jedes Einzelnen zu kontrollieren. Ausserdem gibt es auch in ärmeren Ländern und vor allem in grossen Agrarländern wie Brasilien hochmoderne Betriebe. Da ist der Kleinbauer ein Klischee. Richtig ist: Wir investieren viel Zeit und Geld in Schulungen und Trainings.

ZEIT: Kleinbauern ernähren weltweit immer noch die meisten Menschen. Wäre denen mit ökologischen Methoden nicht eher geholfen als mit teurer Chemie und Digitalisierung?

Dubourg: Allein mit ökologischen Methoden werden wir es nicht schaffen, alle Menschen zu ernähren – noch weniger, wenn sich die Essensgewohnheiten ändern. In Indien sagte mir einmal ein Taxifahrer stolz: Mein Sohn gehört jetzt zum Mittelstand, endlich kann er einmal pro Woche Hühnchen essen. Wenn mehr Fleisch auf den Tisch kommt, steigt automatisch der Druck auf die Landnutzung. Und der Ökolandbau braucht erheblich mehr Fläche als der konventionelle, um auf die gleichen Erträge zu kommen.

ZEIT: Das stimmt aber nur in nördlichen Zonen und liegt auch daran, dass der Ökoanbau viel weniger erforscht wurde. Würde mehr Geld in die Entwicklung beispielsweise von Agroforstsystemen fliessen, bei denen Nahrungspflanzen, Sträucher und Bäume übers ganze Jahr Produkte erzeugen, könnten auch die Bioerträge steigen.

Dubourg: Ich sehe die Zukunft in der Kombination aus ökologischen Lösungen und konventioneller Landwirtschaft. Deshalb unterstützen wir auch einige ökologische Projekte.

ZEIT: Bei einem anderen Innovationsfeld bahnt sich in Europa gerade Streit an: Die EU- Kommission, Unternehmen wie Ihres und grosse Wissenschaftsorganisationen wollen die Zulassung von Verfahren zur Genom-Editierung wie der Genschere Crispr/Cas9 erleichtern und das Gentechnikrecht entsprechend ändern. Biobauern, viele Konsumenten und auch der Lebensmittelhandel sind dagegen. Warum wollen Sie diese neue Technik unbedingt durchsetzen?

Dubourg: Weil wir Pflanzen mit Genom-Editierung besser gegen Wasserknappheit, Hitze, Trockenheit und Überschwemmungen wappnen können. Die Unternehmen haben in ihrer Forschungspipeline längst Pflanzen, die gegen Unkräuter robuster sind, und da kommt noch mehr.

ZEIT: Allerdings kann man einige der neuen Techniken im Genom hinterher nicht mehr nachweisen. Wie sollen Ökobauern dann belegen, dass sie ohne Gentechnik arbeiten?

Dubourg: Da müssen wir für die notwendige Transparenz sorgen.

ZEIT: Ein anderes grosses Thema ist Klimaneutralität. Bis 2050 will BASF ein CO2-neutrales Unternehmen werden. Wie soll das gehen?

Dubourg: Wir haben uns entlang unserer gesamten Wertschöpfungskette angeschaut, wo wir CO2 einsparen können. Beispielsweise gibt es Enzyme, die man dem Tierfutter beimischen kann, sodass Rinder weniger Methan ausstossen.

ZEIT: ... das Klimagas, das über einen Zeitraum von 20 Jahren betrachtet etwa 81-mal so stark wirkt wie CO2 und eines der grossen Klimaprobleme der Landwirtschaft ist ...

Dubourg: Es gibt mittlerweile entlang der Wertschöpfungskette viele weitere Möglichkeiten, CO2 einzusparen. Um einen Überblick zu bekommen, haben wir eine riesige Datenbank aufgebaut. Sie zeigt genau, welche Emissionen es bei welchem Produkt gibt. 1990 hatten wir bei BASF rund 40 Millionen Tonnen CO2-Emissionen. Heute haben wir die Zahl fast halbiert und liegen bei 22 Millionen Tonnen. 2050 wollen wir tatsächlich bei Null landen.

ZEIT: Wie soll das gehen? Sie haben selbst einmal gesagt, es könne kein CO2-freies Chemiewerk geben.

Dubourg: Wir müssen unsere Anlagen auf erneuerbare Energien umstellen. Dafür müssen wir in dieses Feld investieren und zugleich versuchen, unsere Produkte emissionsfrei herzustellen. Unser Ziel ist eine echte Null. Alleine aber schaffen wir das nicht. Erneuerbare Energiesysteme und ihr Netz baut nicht die BASF. Die Politik muss hier aktiv werden, und wir brauchen auch eine grössere Kompromissbereitschaft der Bevölkerung. Es gibt noch immer zu viel Widerstand gegen neue Stromtrassen und neue Windparks – während zugleich mehr Klimaschutz gefordert wird!

ZEIT: Brauchen wir einen höheren CO2-Preis?

Dubourg: Wir brauchen einen CO2-Preis, wichtig ist aber vor allem, dass er nicht nur in Europa eingeführt wird, sondern weltweit. Immerhin haben sich auch die USA und China öffentlich dazu bekannt.

ZEIT: Wer treibt Sie mehr in Richtung Klimaschutz: Fridays for Future oder die Investoren und Finanzmärkte?

Dubourg: Zunächst sind für mich beide Bewegungen Ausdruck einer gesellschaftlichen Veränderung. Beim Kapitalmarkt ist angekommen, dass die Umwelt einen Wert hat. Fridays for Future ist für mich nicht irgendeine NGO, sondern eine Bewegung unserer eigenen Kinder. Sie formulieren den Anspruch, dass wir ihnen eine Welt hinterlassen, die nicht schlechter ist als vorher.

Erstveröffentlichung

Dieses Interview erschien als Erstveröffentlichung auf «Zeit Online» am 4. Januar 2022 sowie in der Printausgabe «Die Zeit» am 5. Januar 2022. Das Gespräch führten Christiane Grefe und Petra Pinzier.

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