
«Nachhaltigkeit bedeutet mehr»
Putins Angriffskrieg hat die Welt in eine entsetzliche Lage gebracht. Wir sehen heute Menschen in der Ukraine sterben und müssen befürchten, dass schon bald eine weltweite Nahrungsmittelkrise Menschen etwa in Afrika tötet. Wo die Situation nicht lebensbedrohlich ist, ist sie gleichwohl bitter: Steigende Preise zwingen Menschen vielerorts in die Armut. Das bedroht zuerst den sozialen Frieden und destabilisiert dann weitere Teile der Welt.
Dienstag, 5. April 2022
Der Krieg in der Ukraine wird deshalb verändern, was Hersteller, Händler und Konsumenten unter Nachhaltigkeit verstehen. Die Lage, in die Putin die Welt gebracht hat, führt vor Augen, dass die westliche Gesellschaft unmittelbare Gefahren immer stärker verdrängt hat. Wer sich mit der Energiepolitik in eine existenzielle Abhängigkeit von einem seit Langem skrupellos agierenden Autokraten brachte, tat nur in den Augen einer kurzsichtigen Öffentlichkeit etwas für die Nachhaltigkeit. So ist es auch in Ernährungsfragen: Wer noch in der Zeit von Putins Krieg etwa Flächenstilllegungen in der Landwirtschaft fordert, lebt offenkundig in einer ausgesprochen kleinen Blase. Die Ukraine und Russland fallen als Weizenversorger eines bedeutenden Teils der Welt weitgehend aus. Eine effiziente Landwirtschaft in fruchtbaren Ländern wie Deutschland ist jetzt überlebensnotwendig für Menschen in Regionen, in denen weit weniger wächst.
Der Gedanke, der Menschheit dauerhaft gute Lebensumstände zu sichern, ist wichtig. Das, was viele Unternehmen und Verbraucher bislang unter Nachhaltigkeit verstehen, ist dazu aber kaum geeignet. Nachhaltigkeit ist gerade in der Konsumgüterbranche oft nur ein Modewort für Umweltschutz. Der Krieg in der Ukraine führt vor Augen, dass eine lebenswerte Welt nur erhält, wer Nachhaltigkeit auch als soziales Ziel begreift. Dafür braucht es Ehrlichkeit. Wir müssen zugeben, dass einseitig und nur für Besserverdienende erdachte Lösungen zuweilen auf Kosten anderer das Gewissen beruhigen. Wir müssen ausgewogene Ansätze finden – auch weil nur wirtschaftlich erfolgreiche Unternehmen gute Arbeitsplätze erhalten, Steuern zahlen und Innovationen für eine lebenswerte Zukunft entwickeln. Das alles braucht es, um die Verteidigungsfähigkeit und die Strahlkraft der westlichen Welt – also die Freiheit und den Frieden – zu bewahren. Ohne Frieden und Wohlstand sind im Übrigen auch die Umwelt und das Klima verloren. Nur wenige Autokraten haben sich bislang als Umweltschützer hervorgetan. Russische Panzerfabriken sind nicht für Bemühungen um das Klima bekannt.
Konsumenten spüren jetzt, dass oft nicht nachhaltig ist, was nachhaltig scheint. In einer Zeit, in der weltweit die Preise steigen und vielerorts Arbeitsplätze unsicher werden, nimmt das Interesse an der sozialen Dimension von Nachhaltigkeit zu: Es geht verstärkt wieder darum, bezahlbare Waren zur Verfügung zu stellen und Menschen ein auskömmliches Einkommen zu sichern. Konsumgüterunternehmen bietet das die Chance, Nachhaltigkeit weniger als werbewirksames Buzzword zu begreifen – und verantwortungsbewusstes Handeln tiefer zu verankern.
In den Preisverhandlungen, die angesichts der beispiellosen Kostensteigerungen gerade vielfach von vorne beginnen, lässt sich eine solche neue Weitsicht unter Beweis stellen. Es gilt dort, die Interessen der Unternehmen, der Konsumenten, aber auch die der Angestellten in der deutschen Konsumgüterindustrie zu wahren.
Konsumenten spüren jetzt, dass oft nicht nachhaltig ist, was nachhaltig scheint.
Hendrik Varnholt ist Ressortleiter Industrie bei der «Lebensmittel Zeitung». Dieser Beitrag erschien als Erstveröffentlichung in der «Lebensmittel Zeitung» vom 18. März 2022.
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