Politik scheint resistent gegen Fakten
In der Welt werden mittels moderner Züchtungsverfahren Fortschritte erzielt. In der Schweiz bleibt man weiter vorsichtig. Dies mit Argumenten, die aus wissenschaftlicher Sicht nur schwer nachvollziehbar sind.
Sonntag, 5. Mai 2024
In den USA werden in den nächsten Wochen Petunienpflanzen auf den Markt kommen, die in der Nacht leuchten. Erstaunlicherweise sind diese Pflanzen dort frei erhältlich, obschon sie auch Gene aus einem Pilz enthalten (www.light.bio). Es handelt sich also um Pflanzen, die mit klassischer Gentechnik gezüchtet wurden.
In der Schweiz wäre der Verkauf dieser Petunien verboten, da jede Bepflanzung eines Gartens mit solchen Pflanzen als Freisetzung betrachtet würde. Ein Anbau für kommerzielle Zwecke wäre verboten, für Forschungszwecke bedürfte es zur Anpflanzung einer Bewilligung für jeden Einzelfall (Standort). Ein Anbau aus reiner Freude an solchen Pflanzen ist im Gesetz sowieso nicht vorgesehen. Dieses Beispiel zeigt, wie unterschiedlich Pflanzen, die mit klassischer Gentechnik gezüchtet wurden, auf nationaler Ebene reguliert werden.
Die Schweiz hat im internationalen Vergleich eine Gesetzgebung, die als sehr restriktiv einzustufen ist. In der Schweiz hat das Parlament in der Vergangenheit alle vier Jahre eine weitere Verlängerung des Gentechnik-Moratoriums in der Landwirtschaft beschlossen (bei medizinischen Anwendungen ist Gentechnik heute selbstverständlich).
Die Rechtfertigungen für diese Verlängerungen sind immer wieder anders und wissenschaftlich schon lange nicht mehr nachvollziehbar: Bereits im Jahr 2012 hat ein Nationales Forschungsprogramm zu Nutzen und Risiken von gentechnisch veränderten Pflanzen festgestellt, dass gentechnisch veränderte Pflanzen «keine grössere Gefahr für die Umwelt oder die Lebensmittelsicherheit darstellen als althergebrachte und herkömmlich gezüchtete Kulturpflanzen». Diese Erkenntnis, weltweit bestätigt durch viele weitere, ähnliche Studien, hat in der Gesetzgebung der Schweiz keine Spuren hinterlassen: das Verbot bleibt bestehen und ist politisch motiviert.
Schweiz in der Sackgasse
Neben der «klassischen» Gentechnik, die seit etwa 30 Jahren kommerziell genutzt wird, betrifft das Gentechnikmoratorium bei uns auch Pflanzensorten, die mit den neuen Methoden der Pflanzenzüchtung (Genomeditierung, z.B. Crispr/Cas9) gezüchtet wurden. Diese Pflanzen enthalten in den meisten Fällen keine neu eingeführten Gene und könnten auch auf natürliche Art und Weise entstanden sein: Selbst seltene genetische Veränderungen im Erbgut treten immer wieder spontan in der Natur auf.
Damit sind viele Pflanzen, die mit den neuen Methoden gezüchtet wurden, identisch zu natürlich vorkommenden Pflanzen. Sie lassen sich analytisch nicht unterscheiden und haben die gleiche biologische Eigenschaft.
Es ist absehbar, dass eine unterschiedliche gesetzliche Beurteilung der gleichen Pflanze nur aufgrund der Methode, wie sie hergestellt wurde (Mutationszüchtung als klassische Methode vs. neue Pflanzenzüchtungsmethoden), in der Praxis nicht zu kontrollieren ist. Grosse Unsicherheiten und Schwierigkeiten im Handel werden die Folge sein.
Während in der EU ein neues Gesetz zur wissenschaftsbasierten Bewertung von neuen Pflanzenzüchtungsmethoden zumindest im parlamentarischen Prozess ist, scheinen die verantwortlichen Verwaltungsstellen in der Schweiz die Meinung zu vertreten, dass im Vergleich zum Vorschlag der EU eine strengere Lösung mit einem «Swiss Finish» nötig sei.
Grosse Herausforderung
Damit besteht die Gefahr, dass die wissenschaftlich nicht fundierte Regulation in der Schweiz weitergeführt wird und wir international mehr und mehr in eine Sackgasse geraten. Mit den neuen Methoden erhält die Pflanzenzüchtung sehr hilfreiche neue Werkzeuge, um Sorten zu entwickeln, die an rasch ändernde und sehr herausfordernde Umweltbedingungen angepasst sind: Klimaänderung, Trockenheit, aber auch zeitweilige Nässe, neue Krankheitserreger und der Bedarf an zusätzlichen Nahrungsmitteln sind nur einige der grossen Herausforderungen, denen wir global gegenüberstehen. Es ist unklug, in dieser Situation die neuen Methoden zu verbieten oder restriktiv zu regeln.
Im Jahr 1952 hat Liechtenstein den Anbau von Hybridmais «zum Schutze der einheimischen Maissorten als Brotgetreide» verboten. Dies zeigt, dass neue Methoden der Pflanzenzüchtung schon früher umstritten waren und mit Verboten belegt wurden. Das Beispiel macht aber klar, dass eine solche Verbotskultur in eine Sackgasse führt und keinesfalls das Modell für eine Landwirtschaft der Zukunft ist. Die Erfahrung zeigt, dass Pflanzenzüchtung, auch mit neuen Methoden, eine sichere Technologie ist.
Es ist wichtig und richtig, die Produkte der Pflanzenzüchtung aufgrund ihrer Eigenschaften zu bewerten und allenfalls zu regulieren. Die gesetzliche Regulierung auf Grund der Herstellungsmethode ist unwissenschaftlich, nicht zielführend und schlicht nicht relevant. Oder haben Sie im Restaurant schon einmal nachgefragt, ob die feine Rösti auf dem Elektro- oder dem Gasherd gebraten wurde?
Beat Keller ist Professor für Molekulare Pflanzenbiologie an der Universität Zürich.
Dieser Gastartikel erschien als Erstveröffentlichung im «Schweizer Bauer» am 27. April 2024.
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