12.06.2024
Ein voller Bauch studiert nicht gern
Liebe Leserinnen und Leser
Dass Verdauungsarbeit streng ist, wussten schon die alten Römer. Sie reimten: «Plenus venter non studet libenter.» Tatsächlich sind wir nach dem Essen erst einmal träge. Wenn der Magen arbeitet, ist das Hirn weniger durchblutet.
Den Sättigungseffekt gibt es auch im übertragenen Sinne. Sind die Grundbedürfnisse befriedigt, machen wir es uns lieber bequem. Bedenken nehmen überhand. Und die Anwendung neuer Technologien wird im Extremfall blockiert. Menschen in weniger entwickelten Ländern sind sowohl hungriger im eigentlichen wie im übertragenen Sinne. Sie wollen vorwärtskommen. In der Anwendung neuer Technologien sehen sie vor allem die Chancen.
Das zeigt sich auch bei der Zulassung von innovativen Pflanzenzüchtungen. In China wurde im Mai 2024 ein genomeditierter Weizen zum Anbau zugelassen. Der Weizen ist krankheitsresistenter und verspricht höhere Erträge. Insgesamt ist China führend in der Entwicklung genomeditierter Nutzpflanzen: 509 der Ende Mai 2024 weltweit bekannten 900 Züchtungsprojekte dazu stammten aus dem Reich der Mitte, berichtet der Point-Newsletter von scienceindustries. «Unter den wichtigen Züchtungszielen befinden sich gesteigerte Erträge, Krankheitsresistenz, Stresstoleranz und eine verbesserte Nahrungs- und Futtermittelqualität.»
Gemäss der Entwicklungsexpertin Yuen Yuen Ang hat China in den letzten 40 Jahren 800 Millionen Menschen aus der Armut befreit. China benötigt enorme Mengen an Nahrungsmitteln, um die Bevölkerung von 1,4 Milliarden Menschen zu ernähren. Das Land produziert weltweit am meisten Weizen. Zugleich ist es das Land mit dem höchsten Weizenimport. Und die Nachfrage nach qualitativ hochstehenden Produkten wächst weiter. Deshalb steht die Landwirtschaft in China weit oben auf der Agenda. Einen wichtigen Beitrag sollen neue Technologien wie Genom-Editierung leisten.
Im satten Europa und der Schweiz hingegen tut man sich mit neuen Technologien schwer – man sieht vor allem Risiken. Die Risiken der Nichtanwendung werden ausgeblendet. So braucht eine weniger produktive Landwirtschaft mehr Land, mehr Wasser, mehr Ressourcen.
Ein gutes Beispiel ist die Forschung zu grüner Gentechnik: Als sich abzeichnete, dass aus dem Moratorium ein Dauerzustand wird, wandten sich die forschenden Firmen ab. Die Kosten für Versuchsbewilligungen und Bewachung in der sogenannten «protected site» in Reckenholz waren schlicht zu hoch für Forschung in einem äusserst kompetitiven Umfeld. Solch hohe Kosten und Auflagen kann sich nur staatliche Forschung leisten. Aber auch die staatliche Forschung hat gelitten: Kooperative Forschungsprojekte mit der forschenden Industrie wanderten ebenfalls ab – und es wurde schwieriger, guten Nachwuchs für die Universitäten zu finden.
Doch in Europa dämmert es langsam:
Das AGRIFISH-Komitee der EU will in der neuen Legislatur innovationsfreundliche Regulierung für Züchtung, Biotechnologie und Pflanzenschutz. Das Komitee zieht folgendes Fazit: «To this end, the Commission and the Council are called upon in the future to consider how to make the existing regulatory regime within areas such as new genomic techniques, feed additives, and biological plant protection products simpler and more innovation-friendly, without compromising safety.»
Die Rahmenbedingungen für Innovation sind matchentscheidend. Denn es sind stets private Unternehmen, die schliesslich Produkte auf den Markt bringen, die die Welt verändern. Die Nähe zum Markt ist eine Nähe zu den Bedürfnissen. Zu den wichtigen Rahmenbedingungen für Innovation gehören Patente. Patente sind die Voraussetzung, um Investitionskosten für offengelegte Erfindungen zurückzuerhalten. Mit ihnen finanzieren die Unternehmen nicht nur die erfolgreichen Entwicklungen, sondern auch die Flops, die es unweigerlich auch gibt. Deshalb ist ein Angriff auf das Patentrecht auch ein Angriff auf die Innovation. Davon betroffen sind nicht nur Konzerne, sondern vor allem auch innovative KMU und Start-ups. Sie alle sind auf Patente angewiesen, um ihre Erkenntnisse zu schützen. In der Schweiz sind Lohn- und Produktionskosten hoch. Nur der Patentschutz stellt sicher, dass offengelegte Erfindungen nicht einfach kopiert und im Ausland billiger produziert werden.
Was die Patente im Landwirtschaftsbereich betrifft, so stimmen viele der Vorwürfe an die Adresse der Industrie nicht. In der Schweiz ist es nicht möglich, in der Natur vorkommende Pflanzeneigenschaften zu patentieren. Wer alte Sorten mit traditionellen Methoden züchtet, ist nie durch Patente betroffen – nur wer die neuesten Technologien in der Züchtung nutzen will, muss sich wie in jedem technischen Bereich auskennen. Nur weltweit neue technische Erfindungen erhalten ein Patent für eine beschränkte Laufzeit. Eidgenössische Patentprüfer – wie einst Einstein einer war – haben die Aufgabe, jeden Einzelfall auf die Kriterien der Patentierbarkeit und Neuigkeit der Erfindung zu prüfen. Klar ist aber: Investitionen in Forschung und Entwicklung etwa im Bereich der Genetik werden nur getätigt, wenn sie geschützt werden können. Für junge Unternehmen sind Patente auch deshalb besonders wichtig, weil sie diese den Investoren als Sicherheiten vorweisen können und sich so den Zugang zu Finanzierungsquellen erschliessen. Wichtig sind Patente auch für neue Produktionstechniken im Labor. Wir haben über die tierfreundlichen Innovationen bei Foie Gras und Planted berichtet. Und das Wissenschaftsmagazin «Einstein» von SRF geht der nachhaltigen Produktion von Nahrungsmitteln im Labor auf den Grund.
Wenn der Staat selbst innovieren will oder Innovation lenken will, wird es kritisch. Die Vorlage für «mehr Transparenz bei Patenten im Bereich der Pflanzenzüchtung», die der Bundesrat im Mai 2024 in die Vernehmlassung schickte, sieht die Einrichtung eines Clearinghouse-Systems vor, bei dem eine interessierte Partei («Züchter») eine Mitteilung senden und fragen kann, ob eine beliebige Pflanzensorte durch ein Patent geschützt ist. Wenn der Patentinhaber nicht innerhalb von 90 Tagen antwortet, verliert er sein Recht, sein Patent gegen die betreffende Partei durchzusetzen.
Das ist weltweit ein völlig isolierter Lösungsansatz. Ein typischer Alleingang.
Er bevorzugt den Nutzniesser einer Innovation gegenüber dem Innovator. Der Innovator trägt zusätzlich zum finanziellen Risiko der Forschung auch noch das Risiko, den Schutz seiner Erfindung zu verlieren, wenn Anfragen im Clearinghouse-System nicht rechtzeitig oder nicht korrekt beantwortet werden – etwa, weil genetische Abklärungen notwendig sind, falls es sich um biologisches Material anderer Unternehmen handelt, auf das man ja erst einmal Zugriff erhalten muss. Eine solche «Beweislastumkehr» im Patentrecht ist völlig deplatziert. Es gibt wirkungsvollere und einfachere Lösungen, um Transparenz herzustellen. Beispielsweise ein verbindliches öffentliches Register, in welchem Sorteninhaber alle Patente eintragen, die eine Wirkung auf ihre in der Schweiz vermarkteten Pflanzensorten haben.
Einen Beitrag zur Innovation leisten auch Forschungskooperationen oder Plattformen, die den Austausch ermöglichen. Transparenz ist wichtig und sie ist auch im Sinne der Industrie. Im Bereich des Patentschutzes von Feldfrüchten macht etwa die digitale Lizenzierungsplattform ACLP
Patente leicht auffindbar und Erfindungen auch für kleine Züchter zugänglich.
Mit wenigen Klicks kann ein Unternehmen über die Plattform nach «fairen» (FRAND) Bedingungen eine Lizenz anfragen und die Technologie dann für die eigenen Züchtungen anwenden. Dieser vereinfachte Zugang zu Lizenzen, erlaubt es, Innovation zu «boosten» und auf den Technologien anderer aufzubauen. Darauf ist unsere Gesellschaft angewiesen. swiss-food hat im Zusammenhang mit der Züchtung von Tomaten durch Bayer auch auf die Bedeutung von offenen Innovationsplattformen hingewiesen. Solche Lösungen sind nahe beim Markt. Neuartige Pflanzeneigenschaften tragen wesentlich zur steten Innovation der Pflanzensorten bei. Der erhöhte Vitamin-D-Gehalt der Bayer-Tomaten ist ein gutes Beispiel: Vitamin-D-Mangel ist weit verbreitet und kann zu gesundheitlichen Problemen wie Rachitis oder Osteoporose führen.
Wie die Studie «Sorgengesellschaft Schweiz? Perspektiven der Bevölkerung auf Wirtschaftspolitik und Verantwortung» zeigt, erwarten die Menschen in der Schweiz, dass die Firmen innovieren. Vor allem, wenn es um die grossen Probleme wie Klimawandel geht: Sie sollen innovativ sein, damit die Menschen ihren Lebensstil weiterführen können.
Wirtschaftsfeindlichkeit sieht anders aus, wird die Autorin in der «NZZ» zitiert. Das darf auch bezogen auf die Technologieoffenheit und die diesbezüglichen Rahmenbedingungen optimistisch stimmen. Die Bequemlichkeit bietet viele Chancen für eine forschende Industrie.
Ihre swiss-food Redaktion