05.11.2024
Produktivität schützt Biodiversität
Liebe Leserinnen und Leser
Die Welt versammelte sich in den vergangenen zwei Wochen in Kolumbien. Die Rede ist von der 16. UN-Biodiversitätskonferenz in Cali. Diskutiert wurden unter anderem die Mobilisierung von Geldern für den Biodiversitätsschutz und ein Monitoringframework, um global vergleichbar den Umsetzungsstand der vor zwei Jahren beschlossenen Massnahmen in den Ländern zu messen.
Biodiversität ist wichtig. Das steht ausser Frage. Fragezeichen gibt es jedoch bei den Zahlen zur Biodiversität, wie die «NZZ am Sonntag» berichtete. Wenn Lösungen zum Erhalt der Biodiversität auf falschen Annahmen basieren, dann führen die Bestrebungen zum Erhalt der Biodiversität jedoch in eine Sackgasse. Oder sie sind schlicht nicht nachhaltig.
Damit das nicht passiert, braucht es ein faktenbasiertes, offenes Visier. Und es braucht eine klare Vorstellung, was eine verlässliche Studie ist, die als Grundlage für Entscheidungen dienen kann. Nur so kann der «Confirmation Bias» ausgeschaltet werden. Denn wir neigen dazu, immer in die gleiche Richtung zu denken.
Das passiert auch der EU mit ihrer «Greenwashing Richtlinie». Ziel der neuen Gesetzgebung ist es, «Greenwashing» zu bekämpfen. Die Konsumentinnen und Konsumenten sollen geschützt werden. Sie sollen nicht zum Kauf von Produkten verleitet werden, die umweltfreundlicher erscheinen, als sie tatsächlich sind. Wenn etwas als ökologisch etikettiert wird, muss es auch ökologisch sein. Das tönt vernünftig. Doch das Ganze hat einen Haken: Die «Greenwashing Richtlinie» nimmt die Biolandwirtschaft aus. Es darf nicht sein, was nicht sein kann. Kritiker sprechen von einer «ultimativen Ironie».
Tatsächlich sind die positiven Umweltauswirkungen des Biosektors stark umstritten. Insbesondere, weil die biologische Landwirtschaft viel mehr Land und natürliche Ressourcen benötigt, um die gleiche Menge an Lebensmitteln zu produzieren wie konventionelle Landwirtschaftssysteme.
Eine extensivere Landwirtschaft in den Industrieländern erhöht zudem den Druck auf die Ökosysteme im globalen Süden, insbesondere in Südamerika. Laut der Zeitschrift Nature und anderen Analysen müsste Europa, falls die Farm-to-Fork-Strategie umgesetzt wird, noch mehr Agrarprodukte importieren.
Das ist ein schlechter «Green Deal». Der ökologische Fussabdruck wird einfach in andere Länder verlagert.
Mit Bezug auf die Landwirtschaft werden «falsche Fährten» oft gebetsmühlenartig wiederholt. Selbst Bundesstellen sind davor nicht gefeit. Wider besseres Wissen betreiben sie Greenwashing mit Bezug auf Bio mit naiver Gewissheit. So schreibt das Bundesamt für Umwelt: «Der biologische Landbau produziert so weit als möglich in geschlossenen Kreisläufen mit umweltverträglichen Methoden. Chemisch-synthetische Dünger und Pflanzenschutzmittel sind verboten. Eine Zunahme des Biolandbaus ist deshalb für die Biodiversität vorteilhaft.» Tatsache ist: Der Biolandbau setzt chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel ein. Nur schon das Kupfer, das bei Bio verspritzt wird, ist synthetisiert. Dazu kommen in Biomitteln verschiedene chemisch-synthetische Zusatzstoffe zum Einsatz. Und der Biolandbau schadet in einer Gesamtbilanz unter Einbezug der geringeren Erträge und erhöhten Importe der globalen Biodiversität. Oder anders gesagt: Mehr Bio bedeutet nicht mehr Biodiversität.
In Anlehnung an Bill Clintons Wahlkampfstrategie könnte man sagen: «Auf die Fläche kommt es an, stupid!» Der Habitatschwund ist der grösste Treiber des Rückgangs der Artenvielfalt.
Das haben selbst die Umweltorganisationen gemerkt. «Der Verlust von Lebensräumen ist die grösste Bedrohung für die Natur.»
Ein erfolgreicher Schutz der Biodiversität muss den Verlust von Lebensräumen angehen. Entscheidend sind die Flächen. Weil extensive Bewirtschaftung mehr Flächen braucht, ist extensive Landwirtschaft die falsche Strategie zur Bekämpfung von Biodiversitätsverlusten.
Der Flächenbedarf stellt die Welt schon mit einer produktiven Landwirtschaft vor eine gewaltige Herausforderung. «Unter der Annahme, dass die landwirtschaftliche Produktivität mit den historischen Raten steigt, würde die Welt bis 2050 weitere 593 Millionen Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche benötigen.» Das ist mehr als dreimal die Fläche der EU. Das Zitat stammt aus der Studie des World Resource Institute, wo die entscheidende Frage gestellt wird: Can we feed the world without destroying the planet? (Können wir die Welt ernähren, ohne den Planeten zu zerstören?)
Tatsächlich zeigt der Bericht, dass es auf die Frage keine einfache Antwort gibt. Der Bericht offeriert fünf Stossrichtungen mit Unterpunkten, damit die Welt 2050 zehn Milliarden Menschen ernähren kann, ohne die Emissionen zu erhöhen, die Abholzung voranzutreiben oder die Armut zu verschärfen. Nachhaltigkeit hat einen Zwillingsbruder, die Ressourceneffizienz. Ressourceneffizienz setzt den Ertrag eines bestimmten Produkts ins Verhältnis zu den eingesetzten Ressourcen wie Kapital, Arbeit, Rohstoffe oder Landflächen.
Eine nachhaltige Landwirtschaft muss ressourceneffizient sein. Sie muss bei gleichbleibendem oder abnehmendem Einsatz von Ressourcen wie Ackerflächen, Arbeitskräften, Direktzahlungen/Finanzen, Energie, Wasser, Pflanzenschutzmittel und Dünger sowie auch der Schonung der natürlichen Ressourcen und des Klimas höhere Ernteerträge erzielen.
Die Herausforderung für die weltweite Landwirtschaft besteht künftig vor allem darin, trotz Erderwärmung, Wasserknappheit und begrenzt zur Verfügung stehenden Flächen sowie fehlender Arbeitskräfte den landwirtschaftlichen Ernteertrag zu steigern, um die wachsende Weltbevölkerung ausreichend und gesund zu ernähren.
Um dies zu schaffen, braucht es intensive Forschung ohne Scheuklappen und eine innovative Industrie, die neue Lösungen für die Landwirtschaft entwickelt, über alle Regulierungshürden bringt und danach auch zu Marktpreisen anbieten kann. Nur so können in Zukunft genügend gesunde Nahrungsmittel für die weltweit wachsende Bevölkerung bereitgestellt und gleichzeitig Klima und Umwelt geschützt werden.
Rein theoretisch weiss auch das BAFU, was Ressourceneffizienz ist. Wenn es aber um den Schutz der Biodiversität geht, dann hängt man ineffizienten Rezepten nach, welche aus der globalen Perspektive unweigerlich zum Scheitern verurteilt sind. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Doch was gebetsmühlenartig wiederholt wird, muss nicht richtig sein.
Der Leiter nachhaltiger Pflanzenschutz beim Bundesamt für Landwirtschaft (BLW), Olivier Félix, bringt die Zusammenhänge gegenüber dem «Migros Magazin» auf den Punkt: «Wenn wir ausreichend inländische Produkte zu einer hohen Qualität gewährleisten wollen, müssen wir die Pflanzen möglichst effizient vor Krankheiten, Schädlingen und Unkraut schützen. Sind auf einem Produkt Insektenlarven vorhanden, kann es sein, dass eine ganze Ernte nicht verkauft werden kann. Das ist nicht nachhaltig, wenn man berücksichtigt, was dafür an Ressourcen – Fläche, Wasser und Dünger – bereits aufgewendet wurde.»
Vieles hängt zusammen, einfache Claims und die Repetition von falschen Clichés lösen die Probleme nicht.
Ihre swiss-food Redaktion