Fehlende Vielfalt wird zum existenziellen Problem

Fehlende Vielfalt wird zum existenziellen Problem

Die schwindende genetische Diversität auf den Feldern ist zunehmend ein Problem. Dieses wird leider laufend grösser. Auch weil die Politik in der Schweiz und der EU mit der Ideologiebrille auf das Problem schielt, statt auf die Wissenschaft zu hören.

Monday, September 15, 2025

Eigentlich weiss man es seit jeher: Innovation entfaltet ihren echten Wert erst dann, wenn sie aus den Forschungslaboren in die praktische Anwendung gelangt. Hochschulen und die Labore der forschenden Industrie sind Wissenszentren, doch ohne einen Transfer in die Praxis bleiben viele bahnbrechende Erkenntnisse ungenutzt. Dies gilt vor allem auch für die Pflanzenforschung: Nur wenn Forschungsergebnisse auf die Felder gelangen, werden sie einen Beitrag zur Sicherung der globalen Ernährung leisten können. Wie ein Artikel in der NZZ am Sonntag einmal mehr zeigt, sind die Pflanzenwissenschaftler an Schweizer Hochschulen gezwungen, ihre Spitzenforschung als eine Art Schattenboxen zu betreiben. Denn dass ihre Innovationen dereinst auch einen Impact haben werden, muss leider bezweifelt werden.

Dabei drängt die Zeit: Auf unseren Feldern herrscht genetische Armut. Und ohne neue Züchtungsmethoden werden wir auch keine Vielfalt beim Saatgut haben. Doch anstatt moderne Technologien, wie zum Beispiel die Epigenetik oder die gezielte Mutagenese zu nutzen, um die Resilienz unserer Kulturpflanzen zu stärken, verharren viele Entscheidungsträger in einer Blockadehaltung. Es ist höchste Zeit, dass diese Kreise ihre Ideologiebrille abzunehmen und auf die Wissenschaft hören. Denn der aktuelle Zustand ist an Widersprüchlichkeit kaum zu überbieten: So wird die sogenannte „ungezielte Mutationszüchtung“ (random mutagenesis) gemäss Europäischem Gerichtshof zwar als Gentechnik eingestuft, ist aber weit verbreitet – sogar in der Bio-Züchtung. Doch die viel gezieltere Methode, z.B,. Ansätze wie CRISPR, fällt unter die strengen Gentechnikgesetze und soll verboten bleiben.

Gesetze ohne faktische Grundlagen

Zu Recht kritisiert Nicolaus von Wirén, Direktor des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung, im besagten Artikel: „Unsere Gesetze bremsen ohne faktische Grundlage den Fortschritt aus.“ Die ebenfalls zitierte Pflanzengenetikerin, Claudia Köhler, teilt diese Einschätzung: „CRISPR ist eine Weiterentwicklung der klassischen Züchtung. Wer sie verbietet, ignoriert wissenschaftliche Erkenntnisse und blockiert Lösungen für die Landwirtschaft.“ Dabei zeigt sich, dass viele Züchtungsmethoden – auch jene, die in Europa erlaubt sind – tief in das Erbgut von Nutzpflanzen eingreifen. Dazu gehören beispielsweise auch Mutagenese-Züchtungen, die mittels chemischer oder radioaktiver Bestrahlung geschehen.

Diese politische Blockade bei innovativen Züchtungsmethoden wird oft mit den Wünschen und Ansichten in der Bevölkerung begründet. Zwar lehnten in einer repräsentativen Umfrage von des Forschungsinstuts gfs im Jahr 2024 rund 77 Prozent der Befragten gentechnisch veränderte Pflanzen ab. Doch die gleiche Studie zeigt: Wenn die Menschen die konkreten Nutzen neuer Züchtungsmethoden erkennen, steigt die Akzeptanz signifikant. Gerade auch im Vergleich zu den herkömmlichen Mutations-Züchtungsmethoden, die wie erwähnt teilweise auf radioaktive Strahlung oder Chemie setzen (sog. Mutagenese), schneiden diese sehr gut ab. Dies wird in der öffentlichen Debatte oft ausgeblendet.

Auch Blockade bei der Epigenetik

Neben der CRISPR-Technologie gibt es noch eine weitere vielversprechende Entwicklung: die Epigenetik*. Sie erforscht Mechanismen, mit denen Pflanzen ihr Erbgut flexibel an Umweltveränderungen anpassen – ohne dabei die DNA selbst zu verändern. Epigenetische Veränderungen sind reversibel, was sie von klassischen gentechnischen Eingriffen unterscheidet. Trotz dieses Potenzials werden epigenetische Verfahren wie beispielsweise jene des Schweizer Startups TEGenesis aus regulatorischen Gründen blockiert. Das Unternehmen wartet seit Jahren auf eine Genehmigung, doch das Bundesamt für Umwelt (BAFU) stuft ihre Methode – die lediglich einen chemischen Impuls zur Aktivierung eines pflanzlichen Lernprozesses setzt – als Gentechnik ein.

Die Innovationsfeindlichkeit im Bereich der Pflanzenzucht zeigt sich auch in der Diskussion um Patente. Gegner kritisieren diese oft mit dem Argument, sie würden zu einer Monopolisierung des Saatguts führen. Doch das ist ein Missverständnis. Patente schützen nicht das Saatgut selbst, sondern die spezifischen Eigenschaften, die durch Forschung entwickelt wurden. Wie auch Michael Hengartner, Präsident des ETH-Rats, unlängst betonte, sind Patente essenziell für den Innovationsstandort Schweiz. Sie ermöglichen Transparenz, da die Rezepturen offengelegt werden, und schaffen damit die Grundlage, dass weitere Forscher auf den Erkenntnissen aufbauen und weitere Fortschritte erzielen können. Zudem gibt es funktionierende Instrumente wie Lizenzierungsplattformen, die es auch kleineren Züchtern ermöglichen, patentierte Innovationen zu nutzen.

Die Schweizer Gesetzgebung im Bereich der Pflanzenzucht braucht dringend ein wissenschaftlich fundiertes Update. Denn: Die Landwirtschaft der Zukunft braucht Lösungen, keine Verbote.

Mutagenese

Bei der gezielten Mutagenese wird die DNA an einer bestimmten Stelle verändert, um eine Mutation zu erzeugen. Methoden wie CRISPR-Cas9 ermöglichen eine präzise Bearbeitung einzelner Gene. Diese Technologien erlauben es, spezifische Gene zu aktivieren, deaktivieren oder zu verändern und so die gewünschten Veränderungen bei den Pflanzen hervorzurufen. Diese Ansätze sind in der EU und der Schweiz verboten. Bei der ungezielten Mutagenese werden zufällig Mutationen im gesamten Genom eines Organismus erzeugt. Dies kann durch chemische Mutagene, radioaktive Strahlung oder andere Methoden geschehen. Die Mutationen treten in verschiedenen Genen auf, ohne dass ein spezifisches Ziel verfolgt wird. Dieser Ansatz wird häufig verwendet, um eine breite Palette von Mutanten zu erzeugen, aus denen dann durch Selektion die gewünschten Eigenschaften herausgefiltert werden können. Ein Grossteil unserer Nutzpflanzen - darunter auch zahlreiche Bio-Pflanzen, wurden auf diese Weise modifiziert.

Epigenik

Epigenetik untersucht, wie Umweltfaktoren die Genaktivität beeinflussen, ohne die DNA-Sequenz zu verändern. In der Landwirtschaft kann dieses Wissen genutzt werden, um Pflanzen widerstandsfähiger gegen Stressfaktoren wie Trockenheit oder Krankheiten zu machen. Im Gegensatz zur klassischen Gentechnik, die direkt in die DNA eingreift, zielt die epigenetische Modifikation darauf ab, Gene durch chemische Markierungen an- oder abzuschalten. Diese Veränderungen sind oft reversibel und können manchmal an nachfolgende Generationen weitergegeben werden.

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