Der Mensch schätzt Risiken oft falsch ein

Der Mensch schätzt Risiken oft falsch ein

Weshalb sich Menschen manchmal vor harmlosen Dingen fürchten und gleichzeitig grosse Risiken ignorieren, erklärt der Spezialist für Konsumverhalten, Professor Michael Siegrist, in einem Interview mit dem Schweizer Forschungsmagazin «Horizonte».

Mittwoch, 22. Januar 2020

Das Wichtigste in Kürze:

  • Konsumenten schätzen Dinge, die von Menschen hergestellt wurden, häufig als riskanter ein als natürliche Produkte.
  • So werden Chemikalien wie Pflanzenschutzmittel auch in geringsten Mengen unbegründet als gefährlich betrachtet.
  • Dass etwas gleichzeitig "verunreinigt" aber harmlos sein kann, können sich viele Menschen nicht vorstellen.

Synthetische Chemikalien werden per se als schlecht wahrgenommen, Stoffe natürlichen Ursprungs dafür als positiv. Laien lassen in der Regel die Dosis eines toxischen Stoffes völlig ausser Acht und stufen so zum Beispiel auch kleinste Mengen von Pestiziden unbegründet als gefährlich ein. Hingegen setzen sie sich freiwillig viel grösseren Risiken aus, insbesondere im medizinischen Bereich, aber auch einfach zum Vergnügen.


Fokus auf das Negative überwiegt oft

Forscher untersuchen seit längerem das Konsumverhalten der Menschen und zeigen auf, welche Mechanismen zu irrationalen Befürchtungen und Handlungen führen. Michael Siegrist ist Professor für Konsumentenverhalten an der ETH Zürich und gleichzeitig Präsident des World Food System Center der ETH. Er erläutert in einem Interview mit dem vom Schweizerischen Nationalfonds und den Akademien der Wissenschaften Schweiz herausgegebenen Magazin «Horizonte» dieses Verhalten unter anderem anhand der aktuellen Pestiziddiskussion. Pestizide geniessen in der Bevölkerung einen schlechten Ruf. Dieser begründet sich unter anderem darin, dass Konsumenten alles, was vom Menschen hergestellt wird, als riskanter einstufen als natürliche Stoffe. Zudem neigt der Mensch gemäss Siegrist dazu, sich mehr auf das Negative zu fokussieren als auf all das Positive, das die Chemie für uns tut. Als Beispiel nennt er die Entwicklung der Lebensmittelsicherheit. Vor 150 Jahren starben Leute, weil sie verdorbene Nahrung essen mussten. Diese Gefahr ist heute weitgehend gebannt. Er bezeichnet es als ironisch, dass diese positive Entwicklung nicht die Begeisterung für Forschung und Technik steigert. Denn ihr gutes Image verdankt die Natur letztlich genau solchen technologischen Innovationen und wissenschaftlichen Erkenntnissen.


Eins-oder-Null-Mentalität führt zu Fehleinschätzungen

Der Laie neigt zudem dazu, die Dosis von giftigen Stoffen völlig ausser Acht zu lassen. Da herrsche eine starke Eins-oder-Null-Mentalität, so Siegrist. Die Idee, dass etwas verunreinigt und gleichzeitig harmlos sein könne, gehe Laien gegen den Strich. Insbesondere bei synthetisch hergestellten Stoffen wie Pestiziden, ist dieses Verhalten stark ausgeprägt. So erklärt er auch die Reaktionen der Bevölkerung auf den Bericht vom September 2019 über Rückstände von Pestiziden im Trinkwasser. Zwar waren die Verunreinigungen so gering, dass der Konsum unbedenklich ist, aber trotzdem hat dies zu sehr vielen empörten Reaktionen von besorgten Bürgern geführt. Interessant ist, dass gleichzeitig bei vielen anderen Gelegenheiten Risiken einfach ausgeblendet werden. So nehmen viele gesunde Menschen Vitamin-C-Präparate zu sich, welche mit Hilfe gentechnisch veränderter Bakterien hergestellt werden. Patienten blenden ihre Ängste vor Strahlung, Gentechnik oder Chemie bei medizinischen Anwendungen oft aus. Dass Rauchen ein tödliches Risiko darstellt, ist bekannt. Trotzdem raucht immer noch über ein Viertel der Schweizer Bevölkerung. Dasselbe gilt für die Risiken im Strassenverkehr und viele andere Lebensbereiche. Siegrist erklärt dies unter anderem mit dem direkten Nutzen, welchen sich die Betroffenen durch ihr Verhalten erhoffen. Genau dieser ist beim Einsatz von Pestiziden nicht offensichtlich. Der Bauer braucht Pestizide, um genügend sichere Nahrungsmittel für die Gesellschaft zu produzieren, doch dieser Nutzen ist zu weit weg vom Thema Trinkwasser.

Ähnliche Artikel

Mit Crispr gegen Klimawandel
Medien Forschung

Mit Crispr gegen Klimawandel

Im «Tages-Anzeiger» spricht die Nobelpreisträgerin Jennifer Doudna über die Chan-cen und Risiken der Genschere. Mit dem Werkzeug lassen sich Erbkrankheiten gezielt behandeln, dürretolerante Pflanzen züchten und der Treibhausgasausstoss von Kü-hen senken.

Angstschweiss als Hilferuf
Medien Forschung

Angstschweiss als Hilferuf

Pflanzen leben gefährlich. Sie sind von Fressfeinden umgeben. Doch ganz ausgeliefert sind sie nicht. Dies zeigt jahrzehntelange Forschung. So sondern Pflanzen bei einer Attacke beispielsweise Duftstoffe ab. Die Erkenntnis könnte zu neuen Strategien beim Pflanzenschutz führen. Ob dies jedoch jemals zu einem breit angewendeten Produkt führt, ist noch unsicher.

Genauer hinschauen lohnt sich
Medien Forschung

Genauer hinschauen lohnt sich

Pestizide seien schuld an einer Häufung von Hirntumoren bei Kindern im Zürcher Weinland und dem Berner Seeland, sagte eine Studie von vor drei Jahren.

Globale Ereignisse erfordern Anpassungen
Forschung

Globale Ereignisse erfordern Anpassungen

Die Schweizerinnen und Schweizer wollen möglichst viel einheimische Nahrungsmittel auf dem Teller. Ein Wunsch, der immer schwerer zu erfüllen ist. So haben die Bauern immer grössere Mühe, ihre Ernten zu schützen. Kein Wunder ist der Eigenversorgungsgrad im Sinkflug.

Weitere Beiträge aus Forschung