Wissenschaft schlägt Alarm: Bundesratsentwurf bremst Innovation aus

Wissenschaft schlägt Alarm: Bundesratsentwurf bremst Innovation aus

Die neuen genomischen Züchtungsmethoden gelten weltweit als Hoffnungsträger für eine klimaresiliente Landwirtschaft – präzise, effizient und sicher. Während Länder wie die USA, Japan oder bald auch die EU auf Deregulierung setzen, bleibt der Regulierungs-Vorschlag des Bundesrats zaghaft. Jetzt schlagen Forschende und Industrie Alarm: Die vorgeschlagenen Regeln seien so streng, dass Innovation und Anwendung de facto blockiert würden.

Dienstag, 3. Juni 2025

Die Schweiz rühmt sich ihrer grundsätzlich liberalen Gesetzgebung – mit Blick auf Arbeitsmarkt oder Steuerpolitik gilt sie im internationalen Vergleich oft als besonders freiheitlich. Doch in bestimmten Innovationsfeldern droht sie ins Hintertreffen zu geraten. Jüngstes Beispiel: die Regulierung neuer genomischer Züchtungsmethoden. Während weltweit und gerade auch in der EU Zulassungen voranschreiten, bleibt die Schweiz auf der Bremse – mit potenziell gravierenden Folgen für Forschung, Landwirtschaft und Wettbewerbsfähigkeit.

Die neuen Züchtungsmethoden bieten grosse Chancen. So ermöglichen sie es beispielsweise, dass Pflanzen und Organismen zielgerichtet und schnell an schwieriger werdende Umweltbedingungen angepasst werden können. Gerade für die hiesige Landwirtschaft würden diese Ansätze grosse Vorteile bringen, da sie z.B. Hitzeresistenzen erhöhen oder Resistenzen gegen Schädlinge verbessern können.

Doch leider ist die Schweiz bezüglich dieser Innovation mit angezogener Handbremse unterwegs. Die neuen Ansätze fallen aktuell unter das seit 2005 geltende Gentech-Moratorium. Der Bundesrat will das ändern. Sein Vorschlag: Das Moratorium für klassische Gentechnik soll bis 2030 verlängert werden. Gleichzeitig will er aber Pflanzen aus neuen Züchtungsmethoden unter Auflagen zulassen. Damit hofft er, eine Lösung für die festgefahrene Gentechnik-Debatte zu finden. Was auf den ersten Blick gut tönt, scheint bei näherer Betrachtung wenig zielführend, wie ein Artikel in der NZZ aufzeigt.

Darin bringen Professoren und die forschende Industrie in der Schweiz ihre Enttäuschung über die Vorlage des Bundesrats zum Ausdruck. So zum Beispiel auch Beat Keller, Professor für Molekularbiologie an der Universität Zürich: «Nach der Lektüre muss ich feststellen: Das neue Gesetz stellt für uns Forschende ein ebenso grosses Hindernis dar wie die bisherigen Bestimmungen zur klassischen Gentechnologie.» Es scheint, als habe die Verwaltung eine Vorlage entworfen, die zwar Offenheit suggeriert, in der Praxis jedoch kaum Spielraum für Fortschritt lässt. Angesichts des Umstands, dass in der EU aktuell tatsächliche Liberalisierungen verhandelt werden, ist man hierzulande aufgeschreckt. Man werde mit der aktuell vorgeschlagenen Regulierung "international den Anschluss verlieren”, ist Professor Keller überzeugt.

Gleich sieht es auch Jan Lucht, Biotechnologie-Experte beim Verband Scienceindustries: Würde das Gesetz in der vorgeschlagenen Form umgesetzt, käme dies «de facto einem Verbot der neuen Züchtungstechnologien in der Schweiz gleich». Den Schweizer Bauern würden Wettbewerbsnachteile gegenüber ihren Konkurrenten im benachbarten Ausland erwachsen.

Ganz anders tönt es vonseiten der Gentechnik-Gegner: Die aktuelle Vorlage ginge viel zu weit, der Bundesrat versuche der Bevölkerung Gentechnik “unterzujubeln”. Nicht fehlen darf natürlich auch der Verweis aufs Risiko: Ein noch so präziser Schnitt könne vielfältige Auswirkungen auf der Ebene des Stoffwechsels, des Organismus oder des Ökosystems haben, «die kaum vorhersagbar sind», sagt Zsofia Hock, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Schweizer Allianz Gentechfrei.

Abgesehen davon, dass es einen grossen wissenschaftlichen Konsens gibt, dass die neuen Ansätze sicher sind, und wir schon lange Gentechnik auf dem Teller haben, da Hunderte Nahrungsmittel mittels klassischer Mutagenese gezüchtet wurden: Es muss uns zu denken geben, dass der Bundesrat offenbar eine Vorlage vorantreibt, die in der Realität einem Rückschritt gleichkommt. Dabei wäre es gerade jetzt wichtig, dass die Regierung mutig vorangeht. Denn: Wenn die Schweiz weiterhin auf eine faktische Blockade der neuen Züchtungstechnologien setzt, gefährdet sie nicht nur ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch die Ernährungssicherheit der Zukunft. Es ist höchste Zeit für eine mutige, wissenschaftsbasierte Gesetzgebung.

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