
Irrwege beim Klimaschutz
Unter dem Titel «Die grosse Umverteilung» hat Beat Gygi in der Weltwoche in einem Gespräch mit Professor Philipp Aerni die Fallstricke der Klimakonferenz COP29 in Baku von 2024 sehr plastisch herausgearbeitet. Die Transferzahlungen an Länder des Südens sollen gemäss COP29 erhöht werden, doch Wirtschaft und Effizienz spielen eine untergeordnete Rolle. Der NGO-dominierten UNO-Konferenz gelingt es nicht, die Nachhaltigkeit umfassend zu denken. Statt auf Innovation zu setzen, bleibt vieles in Interessenpolitik stecken. Das ist in Europa auch insbesondere bei der Landwirtschaftspolitik der Fall.
Freitag, 3. Januar 2025
Die zweiwöchige Uno-Klimakonferenz COP29 in Baku gegen Ende 2024 hat sich vor allem um einen Geldtopf gedreht. Die Transfermittel an die Länder des Südens sollen verdreifacht werden. Professor Philipp Aerni ordnet im Gespräch mit der Weltwoche ein. Philipp Aerni ist Direktor des «Centers for Corporate Responsibility and Sustainability» an der Hochschule für Wirtschaft Fribourg. Seit Jahren setzt er sich kritisch mit Landwirtschafts- und Entwicklungspolitik auseinander. Sein Fazit: Europa behindert oft eine umfassende Nachhaltigkeit. Gerade in der Landwirtschaft sieht er gravierende Fehlanreize und eine Tendenz zum Abschotten.
Aerni kritisiert, dass europäische Staaten ihre Agrarproduktion hochsubventionieren. Das führe zu Verzerrungen auf den Weltmärkten. Gleichzeitig würden Länder in Afrika und Asien benachteiligt, weil deren Produkte kaum konkurrenzfähig seien. Subventionen und Importzölle verteuerten Waren oder liessen sie erst gar nicht in europäische Märkte. Damit entstehe ein Teufelskreis: Entwicklungsregionen könnten nicht vom internationalen Handel profitieren, investierten weniger in den Ausbau ihrer Landwirtschaft und blieben abhängig von externer Hilfe.
Zentral ist Aernis Argument, dass der Begriff «Nachhaltigkeit» zu eng gefasst werde. In Europa setze man stark auf ökologische Aspekte, vor allem Umweltschutz. So würden hohe Standards und Bio-Labels gefördert, was zwar lokal gut klinge, aber globale Effekte ausser Acht lasse. Denn wer nur auf regionale Ökologie schaue, vergesse soziale und wirtschaftliche Dimensionen. Aerni sieht hier eine einseitige Politik, die nicht ganzheitlich genug denkt. Gerade die EU setze restriktive Regeln für Pflanzenschutz, Gentechnik und Anbaumethoden fest, oft ohne die tatsächlichen Auswirkungen auf Klima, Erträge und globale Ernährungssicherheit zu berücksichtigen.
Ein Beispiel sind laut Aerni die Debatten um Biolandbau und Gentechnik. Viele Länder in Afrika könnten mithilfe moderner Technologien ihre Erträge steigern und ihre Landwirtschaft effizienter machen. Doch die Skepsis in Europa halte Innovationen zurück. Agrarchemische Fortschritte oder gentechnische Verbesserungen würden oft pauschal abgelehnt. Für Aerni ist das ein Luxusproblem der reichen Welt.
In Entwicklungsregionen gehe es um Ernährungssicherung und Armutsbekämpfung. Neue Sorten könnten Dürren besser überstehen, höhere Erträge liefern und weniger Pflanzenschutz benötigen. Eine unproduktive, extensive Landwirtschaft in Europa führt zu einem höheren Fläschenbedarf in anderen Ländern. Aerni plädiert deshalb für eine Öffnung gegenüber Innovationen – unter klaren Sicherheitsstandards, aber ohne pauschale Verbote.
Ganz konkret kritisiert der Ökonom die EU-Agrarpolitik. Sie stützt wenige, teils ineffiziente Betriebe. Gleichzeitig zementiert sie bestehende Strukturen und erschwert den Marktzugang für aussereuropäische Akteure. Die Folge: Kleinbauern in Entwicklungsländern bleiben abhängig von Entwicklungshilfe, während in Europa Überschüsse produziert werden, die den Markt überschwemmen. In der Folge verlieren lokale Produzenten an Wettbewerbsfähigkeit. Laut Aerni widerspricht das der Idee von globaler Gerechtigkeit und langfristigem Umweltschutz. Er verweist auf Studien, die zeigen, dass freiheitlichere Märkte und ein gezielter Technologietransfer zu weniger Armut und mehr Ernährungssicherheit führen könnten.
Eine klug regulierte Landwirtschaft, die Technologie offen nutzt, könnte effizienter wirtschaften. So würden Flächenressourcen geschont, CO₂-Emissionen gesenkt und gleichzeitig ein Beitrag zur Ernährungssicherheit geleistet. Wesentlich sei, dass Europa seine Agrarpolitik stärker an globalen Kriterien ausrichte. Heute dagegen dominiere oft eine Symbolpolitik. Diese sei zwar populär, untergrabe aber die Ziele einer echten Nachhaltigkeit.
Aernis Appell an die Politik lautet: Mehr Offenheit, mehr Dialog, mehr wissenschaftliche Evidenz. Ernährungssicherheit, Klimaschutz und Armutsbekämpfung hängen eng zusammen. Reiche Länder dürften nicht nur bei sich selbst messen, sondern müssten ihren Einfluss auf die Weltmärkte in den Blick nehmen. Nachhaltige Entwicklung kann nur gelingen, wenn Europa bereit ist, seine Protektionismus-Barrieren abzubauen und Innovationen zuzulassen. Er sieht darin eine Chance, den globalen Süden in ein gerechteres Agrarsystem einzubinden. Gleichzeitig, so betont er, profitiere auch der europäische Verbraucher von mehr Wettbewerb, sinkenden Preisen und einer innovativen Land- und Lebensmittelwirtschaft.
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