«Auf einmal schliessen sich Grenzen»
Die beiden Agrar-Initiativen haben uns dazu gezwungen, auch über die Versorgungssicherheit der Schweiz mit Nahrungsmitteln nachzudenken. Wollen wir immer weniger Lebensmittel im Inland produzieren und dafür die Importe aus dem Ausland ankurbeln? Gerade in Zeiten von Corona ist diese Frage relevant, hat die Pandemie doch aufgezeigt, dass in Krisensituationen jeder Staat sich selbst am nächsten ist. In der «Aargauer Zeitung» spricht Ueli Haudenschild, Mitglied der Geschäftsleitung beim Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung, über die künftigen Herausforderungen für die Versorgungssicherheit.
Dienstag, 14. September 2021
Derzeit kann sich die Schweiz zu rund 60 Prozent selbst mit Nahrungsmitteln versorgen. Zum Vergleich: Während der Anbauschlacht im Zweiten Weltkrieg betrug der Selbstversorgungsgrad 59 Prozent. Trotz Bevölkerungswachstum ist der Selbstversorgungsgrad nicht gesunken. Dies ist vor allem der Effzienzsteigerungen in der Landwirtschaft geschuldet: «Wir haben das einer immer effizienteren Landwirtschaft, besseren Maschinen, Pestiziden und Dünger zu verdanken. Der Selbstversorgungsgrad wäre noch höher, wenn nicht 30 Prozent der Lebensmittel Food Waste zum Opfer fallen würden», sagt Haudenschild.
Starke Abhängigkeit von Ausland
Dennoch: Die Schweiz bleibt zu einem hohen Grad vom Ausland abhängig. Besonders Dünger und Saatgut müssen praktisch zu hundert Prozent aus dem Ausland importiert werden. Nur beim Getreide gebe es noch eine inländische Saatgutproduktion, so Haudenschild. Saatgut für Raps oder Zuckerrüben müsse dagegen vollständig importiert werden. Auch Treibstoff und rund die Hälfte der Futtermittel kommt aus dem Ausland. Letztlich ist die Bereitstellung von Lebensmitteln und die Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit ein komplexes System, das keine Ausfälle erlaubt: «Die Verarbeitung, die Verpackung, der Transport, Geldmittel ... Kein Glied darf ausfallen», so Haudenschild.
In länger andauernden Krisen müsste die Schweiz ihren Ackerbau und die Ernährung drastisch umstellen, um sich selbst versorgen zu können. So könnte mit einer ausschliesslich pflanzenbasierten Ernährung genügend Kalorien im Inland hergestellt werden. Saatgut, Dünger und Treibstoff müssten dennoch genügend vorhanden sein. Letztlich gibt es aber in einem internationalen Umfeld keine hundertprozentige Absicherung. Gerade im Krisenfall, so Haudenschild, schauen Staaten für sich selbst. «Gerade die Pandemie hat gezeigt, dass Grenzen sich auf einmal schliessen und Güter nicht passieren können.» Die Schweiz habe als Binnenland zudem den Nachteil, dass sie über weniger sichere Importstrassen verfüge: «2018, als der Rhein nicht mehr genug Wasser für die Schifffahrt hatte, mussten wir Pflichtlager freigeben bei Dünger, Speiseöl und Futtermittel. Gebraucht wurde schliesslich nur Dünger, aber der Vorfall machte deutlich, wie verletzlich der Rhein als Importweg ist.»
Inländische Produktion bleibt wichtig
Die Schweiz bleibt bei der Produktion von Nahrungsmitteln stark vom Ausland abhängig. Die Ausführungen von Ueli Haudenschild zeigen aber auch: Sich nur auf Importe zu verlassen wäre der falsche Weg. Jedes Land sollte gemässseinen Stärken und Standortvorteilen produzieren. Dabei muss auch berücksichtigt werden, welche Leistungen für die eigene Bevölkerung besonders relevant sind. Die inländische Produktion von Lebensmitteln bleibt auch in einem zunehmend global vernetzten Umfeld eminent wichtig. Die Glieder in der Nahrungsmittelproduktion, die man selbst kontrollieren kann, sollten nicht leichtfertig aus der Hand gegeben werden.
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