Triazol im Genfersee: Behörden geben Entwarnung
Im Spätsommer 2025 sorgte die Nachricht für Aufsehen: Im Trinkwasser aus dem Genfersee wurde der Stoff 1,2,4-Triazol gefunden – eine chemische Verbindung, die aus verschiedensten Verwendungen stammt. Nun geben die Kantone Genf, Waadt und Wallis Entwarnung: Das Wasser kann bedenkenlos getrunken werden.
Mittwoch, 5. November 2025
Nach Bekanntwerden der Befunde kommen die Kantone Genf, Waadt und Wallis zum Schluss: Es besteht keine Gesundheitsgefahr durch das im Genfersee gemessene Triazol. Das berichtet unter anderem «Blick Romandie» unter Berufung auf eine toxikologische Bewertung des Swiss Centre for Applied Human Toxicology (SCAHT).
Die Konzentrationen im Trinkwasser – rund 0,7 Mikrogramm pro Liter – liegen mehr als 400-mal unterhalb des Wertes, ab dem gesundheitliche Auswirkungen nicht mehr ausgeschlossen werden könnten.
Anders gesagt: «Ein Erwachsener müsste täglich mehr als 900 Liter Wasser trinken, um den theoretischen Schwellenwert zu erreichen, ab dem ein gesundheitlicher Effekt nicht mehr ausgeschlossen werden kann», heisst es im Bericht. Das Wasser aus dem Genfersee kann also bedenkenlos getrunken werden. Die Behörden empfehlen lediglich, die Konzentrationen weiterhin regelmässig zu überwachen und technische Verbesserungen bei der Wasseraufbereitung voranzutreiben.
Doch anders als die französische Gesundheitsbehörde ANSES, die für 1,2,4-Triazol human- und ökotoxikologisch begründet 51 Mikrogramm pro Liter als unbedenklich ansieht, beharrt ihr schweizerisches Pendant, das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) auf der Einhaltung des rein vorsorglich begründeten Grenzwerts von 0,1 Mikrogramm pro Liter.
Industrie reagiert rasch – doch die Sofortlösung ist nicht nachhaltig
Die gemessenen Spuren von 1,2,4-Triazol stammen laut Analysen auch vom Chemieareal Monthey, wo auch Syngenta Produktionsanlagen betreibt und den Stoff als Produktionsrohstoff verwendet. Das Unternehmen betont, dass man die Situation sehr ernst nimmt. Als kurzfristige Massnahme sollen belastete Abwässer thermisch behandelt (verbrannt) werden, bis eine dauerhafte Lösung an der Quelle umgesetzt ist. Mehrere technische Verfahren wie z.B. die Aktivkohlefilterung oder Flüssig-Flüssig-Extraktion werden zudem derzeit getestet. Denn 1,2,4-Triazol kann derzeit auch von keiner kommunalen Abwasserreinigungsanlage ausgeschieden werden. Doch es herrscht Intransparenz, ob überhaupt und wenn ja, welche Werte bei diesen und anderen Anlagen rund um den Genfersee gemessen wurden. Und welche diffusen Eintragswege existieren, denn 1,2,4-Triazol kommt in verschiedensten Anwendungen vor und wird mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit auch in der Natur gebildet (siehe Kasten unten). Aber nur, wenn diese Eintragswege untersucht werden, können die gemessenen Werte im Genfersee reduziert werden. Die Massnahmen der Industrie allein werden die Situation nicht verbessern. Und sie müssen mittel- und langfristig im weiteren Sinne nachhaltig sein, d. h. technisch machbar und wirtschaftlich tragbar (wie es auch das Umweltgesetz vorschreibt), ökologisch sinnvoll und sozialverträglich, im Sinne der Erhaltung von Arbeitsplätzen in der Region. Die aufgrund des politischen Drucks ergriffenen Sofort-Massnahmen sind nicht nachhaltig – weder in Bezug auf den Klimaschutz noch finanziellen Gründen.
Zwischen Sicherheitsdenken und Vernunft
Eins ist klar: Die Diskussion um Grenzwerte von chemischen Rückständen im Wasser und in Nahrungsmitteln ist oft von – willentlich oder unwissentlich – hervorgerufenen Ängsten und Emotionen geprägt. Um die Balance zwischen Sicherheitsdenken und praktischer Vernunft zu finden, hilft oft ein anschaulicher Vergleich mit bekannteren Lebenssituationen, wie dieser von Roman Mazzotta, Länderchef von Syngenta Schweiz, gezogen wird: «Eine der gefährlichsten Sachen, die man machen kann, ist Autofahren. Da gibt es Abstandsregeln. Auf der Autobahn gilt ein Abstand zum nächsten Auto von 60 Metern. Das ist der ‹Grenzwert›. Für chemische Stoffe, die weder DNA-schädigend noch karzinogen sind, wird eine hundertfache Sicherheitsmarge auf diesen Grenzwert geschlagen. Übertragen auf den Autoverkehr müsste so ein hundertfacher Abstand von 6 Kilometern zum nächsten Auto eingehalten werden. Auf welcher Autobahn in der Schweiz könnte man mit solchen Abstandsregeln noch fahren? Um das gleiche Augenmass geht es mir, wenn es um Grenzwerte beim Wasser geht.»
Das Vorsorgeprinzip kann vernünftiges Handeln aushebeln und enorme Kostenfolgen haben. Gerade weil die Analytik immer kleinere Rückstände sichtbar macht, ist die wissenschaftliche Einordnung der Mess-Resultate unerlässlich. Nicht jeder Rückstand ist gleich auch ein Problem – und nicht jede behördlich angeordnete «Sanierung» einer Trinkwasserfassung finanziell sinnvoll und toxikologisch angebracht. Das zeigt dieser aktuelle Fall – genauso wie der nach wie vor gerichtlich hängige «Fall Chlorothalonil».
1,2,4-Triazol – ein Stoff aus unterschiedlichsten Verwendungen
Wie mehrere Studien und Untersuchungen zeigen, gelangt die chemische Verbindung 1,2,4-Triazol (124T) durch verschiedenste Verwendungszwecke in die Umwelt:
...es wird als Nitrifikationshemmer in bestimmten organischen und anorganischen Düngemitteln verwendet, um die Menge an Nitrat zu reduzieren, die ins Grundwasser gelangt;
...stammt aus Medikamenten, die gegen Pilzinfektionen verabreicht werden (Human- und Tierarzneimittel);
...wird durch Biozide, z. B. Farben und Holzschutzmittel, freigesetzt;
...wurde in Waldböden und Blättern nachgewiesen. Es ist gilt als fast sicher, dass es einen natürlichen Weg für die Bildung dieses Moleküls gibt;
...tritt als Abbauprodukt auf. Ein sogenannter «Metabolit», der entsteht, wenn Triazol-Fungizide im Boden eingesetzt werden;
...wird seit den 1940er Jahren in einer Vielzahl industrieller Produktionsprozesse verwendet:
– Polytriazol-Polymere: Membranen, Kautschuke, Polymer-Brennstoffzellen, biokompatible Implantate, Beschichtungen
– Elektronik: Halbleiter, Herstellung von elektronischen und optischen IT-Produkten, elektrische Gerät
– Labor: Herstellung von Feinchemikalien, Forschung und Entwicklung, Massenchemikalien (einschliesslich Erdölprodukte)
Sonstiges: Korrosionsschutzmittel, Lösungsmittel, Wasch- und Reinigungsmittel
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