«Es gibt auch ein Leben vor dem Tod» – Weinpapst Philipp Schwander zum Zeitgeist und zum Aktivismus der Gesundheitsämter

«Es gibt auch ein Leben vor dem Tod» – Weinpapst Philipp Schwander zum Zeitgeist und zum Aktivismus der Gesundheitsämter

Der Schweizer Master of Wine kritisiert in einem Interview, dass Wein zunehmend pauschal verteufelt werde – entgegen wissenschaftlicher Evidenz und ohne einen Diskurs über Dosis und Risiken.

Montag, 3. November 2025

Der Schweizer Master of Wine Philipp Schwander findet deutliche Worte zur aktuellen Alkohol-Debatte. Im Interview mit CH Media kritisiert der bekannteste Weinhändler des Landes die zunehmende Verteufelung von Wein und Alkohol generell. «Die Diskussion ist völlig entgleist. Wein besitzt wissenschaftlich belegt positive Effekte», so Schwander. Statt differenziert zu argumentieren, würden internationale Organisationen, Behörden und Medien pauschal vor jedem Glas warnen.

So stützte sich etwa die WHO auf eine Lancet-Studie von 2018, die behauptete, bereits das erste Glas Alkohol sei gesundheitsschädlich. «Kaum jemand weiss, dass es 2022 im Lancet eine Nachfolgestudie gab, die diese Falschaussage korrigiert hat», betont Schwander. Doch diese Korrektur werde in der öffentlichen Debatte schlicht ignoriert.

Auch andere renommierte Untersuchungen – etwa die NASEM-Studie im Auftrag des US-Kongresses oder Studien der American Heart Association – kämen zu dem Schluss, dass moderater Weinkonsum positive gesundheitliche Effekte habe. Hier wäre der Vollständigkeit halber anzumerken, dass die Sonntagszeitung der NASEM-Studie durchaus Beachtung schenkte und titelte «Alkohol ist nicht nur schlecht: Ein oder zwei Drinks pro Tag sind okay.»

Eine fast missionarische Ablehnung gegenüber Alkohol stellt auch Patrik Müller, Chefredaktor CH Media, fest: «Geniessen war schon einfacher. Es steht heute unter moralischer Kontrolle. Wer im Restaurant über Mittag ein Glas Wein bestellt, gerät unter Verdacht. Alkoholiker?» Und er fragt sich: «Wer legt eigentlich diese Verhaltensnormen fest? Warum lässt man nicht jedem das, was er am liebsten mag?»

Der Grund dafür liege, so Schwander, im Zeitgeist: Gesundheit, Selbstoptimierung und Langlebigkeit seien die neuen Leitbilder, gerade bei der jungen Generation. «Alkohol passt da nicht mehr in den Lebensentwurf. Aber es gibt auch ein Leben vor dem Tod!» Wein sei Teil der europäischen Kultur, seine Verteufelung letztlich auch ein Angriff auf Identität und Lebensfreude.

Gleichzeitig fordert Schwander eine liberale und evidenzbasierte Haltung – auch gegenüber Abstinenz. «Es ist genauso falsch, wenn sich Leute für ihren Nicht-Konsum entschuldigen müssen. Jeder soll selbst entscheiden dürfen.» Dass der Weinkonsum in der Schweiz seit 2003 von 47 auf 24 Liter pro Kopf gefallen sei, findet er nicht problematisch – sofern dies Ergebnis freien Verhaltens und nicht politischen Drucks sei.

Provokant schlägt Schwander gar vor, in Bern ein «Bundesamt für Genuss» zu schaffen – als Gegengewicht zu den Gesundheitsbehörden, die seiner Meinung nach ein neues Betätigungsfeld suchten, nachdem das Rauchen bereits umfassend reguliert sei.


Wein, Qualität und Verantwortung

Auch im Gesprächsformat «Green Sofa» von Syngenta zeigte sich Schwander als Pragmatiker mit klarem Qualitätsanspruch. Der studierte Master of Wine, der unter dem Label Sélection Schwander persönlich ausgewählte Weine vertreibt, sprach dort über Rebbau, Pflanzenschutz und Nachhaltigkeit.

Er erklärt die Unterschiede zwischen konventionellem, biologischem und biodynamischem Weinbau: Während im Bioweinbau etwa Kupfer und Schwefel gegen Pilzkrankheiten eingesetzt werden, erlaubt der konventionelle Anbau alle geprüften Pflanzenschutzmittel. «Kupfer bildet keine Resistenzen, reichert sich aber im Boden an – jede Methode hat Vor- und Nachteile», so Schwander.

Zur Frage, ob Weinbau ohne Pflanzenschutz überhaupt möglich sei, bleibt er realistisch: «Theoretisch ja – bei idealem Klima. Doch wenn Reben krank werden, sollte man eingreifen können. Es ist wie beim Menschen: Man kann ohne Medikamente leben, aber wenn man schwer krank wird, braucht man Hilfe.»

Diese Haltung zieht sich wie ein roter Faden durch Schwanders Denken: Differenzierung statt Dogma, Wissenschaft statt Ideologie, Freiheit statt Bevormundung – ob bei Pflanzenschutz, Medikamenten oder beim Weingenuss.

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