
Philippinen: Bauern ernten ersten Golden Rice
Auf den Philippinen ist kürzlich der weltweit erste Goldene Reis geerntet worden. Der Reis ist mit einem Beta-Carotin-Gen angereichert, welches vom menschlichen Körper in Vitamin A umgewandelt werden kann. Er soll dem weitverbreiteten Vitamin-A-Mangel in Entwicklungsländern ein Ende setzen. Doch die Widerstände gegen den Anbau sind nach wie vor enorm.
Mittwoch, 30. November 2022
30 Jahre dauerte es von der Idee bis zur Realisierung. Nun haben philippinische Reisbauern vor Kurzem rund 70 Tonnen «Golden Rice» geerntet. Wissenschaftsredaktor Nik Walter widmet diesem Durchbruch im «Tages-Anzeiger» einen ausführlichen Beitrag. Beim Goldenen Reis handelt es sich um eine biotechnologisch veränderte Reissorte, die mit Beta-Carotin (Provitamin A) angereichert ist und dadurch seine charakteristische gelbe oder goldene Verfärbung erhält. Der menschliche Körper kann das im Goldenen Reis enthaltene Beta-Carotin in Vitamin A verwandeln. Die Hoffnung ist, dass der grossflächige Anbau des Reises Millionen von Kindern vor Vitamin-A-Mangel bewahren kann.
Vitamin-A-Mangel führt zu Erblindung und Tod
Vitamin-A-Mangel gehört zu den grössten gesundheitlichen Katastrophen unserer Zeit. Ungefähr 250 Millionen Kinder im Vorschulalter leiden daran. Eine direkte Folge von Vitamin-A-Mangel ist der Verlust der Sehkraft. Jedes Jahr erblinden 250'000 bis eine halbe Million Kinder aufgrund Vitamin-A-Mangels. Eine Million Kinder sterben daran. Um das Leid zu lindern, verteilt die UNO seit 1998 Vitamin-A-Kapseln in den betroffenen Regionen. Gemäss «Tages-Anzeiger» können so in guten Jahren 75 Prozent der von Vitamin-A-Mangel betroffenen Kinder erreicht werden. Während der Corona-Pandemie geriet das System jedoch an seine Grenzen. Die Versorgung mit Kapseln konnte vielerorts nicht aufrechterhalten werden. Eine Aufnahme von Vitamin A über die Nahrung wäre viel effektiver.
Das enorme menschliche Leid motivierte den ETH-Professor Ingo Potrykus vor 30 Jahren zur Züchtung einer Reissorte, die den Menschen durch den Verzehr das benötigte Vitamin A zuführen kann. In Zusammenarbeit mit seinem Forscherkollegen Peter Beyer entwickelte er eine Reissorte, die mit einem Beta-Carotin-Gen aus der Osterglocke angereichert war. 1999 präsentierten sie ihren Golden Rice der Weltöffentlichkeit. Das Interesse war enorm. Potrykus schaffte es sogar auf die Titelseite des «Time»-Magazins.
Bald fanden die Forscher jedoch heraus, dass das Beta-Carotin-Gen, dass sie aus der Osterglocke genommen haben, viel zu wenig Provitamin A produzierte, um einen Effekt auf die Gesundheit zu haben. Sie mussten nochmals über die Bücher. In Zusammenarbeit mit Syngenta entwickelten sie eine neue Reisvariante, die mit einem Beta-Carotin-Gen aus Mais angereichert war. Dieses Mal stimmte das Resultat. Die neue Sorte produzierte genügend Provitamin A, um den Tagesbedarf von Schulkindern abzudecken.
Fundamentalistische Widerstände
So genial Potrykus’ und Beyers Idee auch war: Sie brauchten viel Geduld. Von der Entwicklung der ersten Sorte bis zur kommerziellen Nutzung dauerte es Jahrzehnte. Dies hat einerseits mit den enormen regulatorischen Hürden zu tun, die im Bereich der Biotechnologie in vielen Ländern der Welt gelten: «Die Anforderungen für ein regulatorisches Dossier sind so immens, dass mehrere Gruppen von Spezialisten fünf bis zehn Jahre arbeiten müssen, um alle erforderlichen Daten zu sammeln», sagt Potrykus im «Tages-Anzeiger». Andererseits verhinderte die jahrzehntelange Fundamentalopposition von NGOs wie Greenpeace eine raschere Zulassung. So protestierte Greenpeace auch im Sommer 2021 gegen die Zulassung von Golden Rice auf den Philippinen – obwohl damit unzählige Menschenleben gerettet werden können.
Umso mehr freut sich der heute 89-jährige Forscher über die Zulassung des Goldenen Reises auf den Philippinen. Potrykus ist sich sicher: «Der Anbau wird flächenmässig explodieren, jetzt, da er erlaubt ist.» Trotz der Zulassung auf den Philippinen: Vielerorts scheint eine baldige kommerzielle Nutzung des Golden Rice ausgeschlossen. So zum Beispiel in Indien, dem Land, dem Potrykus mit seiner Forschung insbesondere helfen wollte: «In Indien gibt es eine sehr effiziente Gentechopposition», sagt Potrykus, «dort kommen wir nicht weiter.»
Forschung geht weiter
Weitere Grundnahrungsmittel, die dank gentechnischer Modifikation essenzielle Nährstoffe enthalten, könnten folgen. So wurden in den vergangenen Jahren verschiedentlich Reis- und Weizenlinien entwickelt, die mit lebensnotwendigen Elementen angereichert wurden. Wiederum an der ETH ist es Navreet Bhullar und ihrem Doktoranden Simrat Pal Singh gar gelungen, Reispflanzen so zu modifizieren, dass sie gleich mehrere zusätzliche Elemente aufwiesen: Neben mehr Beta-Karotin auch Eisen und Zink. Eisen- und Zinkmangel sind in Entwicklungsländern ernsthafte Probleme und führen beispielsweise zu erhöhter Mütter- und Säuglingssterblichkeit. «Es werden sicher noch fünf Jahre vergehen, ehe der Multinährstoff-Reis zur Eindämmung des ‹versteckten Hungers› eingesetzt werden kann», sagte Bhullar 2017 im Artikel der ETH. Es wäre an der Zeit, nebst dem Golden Rice auch weitere modifizierte Grundnahrungsmittel zuzulassen.
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