Um Insekten steht es besser als vermutet

Um Insekten steht es besser als vermutet

Eine länderübergreifende Meta-Studie zeigt: Die Abnahme der Insekten ist 6-mal kleiner als vermutet. Während im Wasser lebende Insekten im Schnitt in einem Jahrzehnt um rund 11 Prozent zugenommen hätten, sei bei den über Land lebenden Insekten im Schnitt pro Jahrzehnt eine Abnahme von rund 9 Prozent zu verzeichnen.

Dienstag, 5. Mai 2020

Das Wichtigste in Kürze:

  • Gemäss einer Studie aus der Fachzeitschrift Science ist der Insektenrückgang weniger stark als angenommen.
  • Für die Abnahme bei den Landinsekten sind vielfältige Faktoren verantwortlich.
  • Einen entscheidenden Einfluss hat im Allgemeinen die Versiegelung von Flächen.

Die Resultate der grossflächigen Analyse vorhandener Daten sind besser als erwartet. Die Autoren weisen aber auch darauf hin, dass Region, Klimazone und Zeit der Messungen zu grossen Unterschieden führen können. Die Studie lässt weder bezüglich der Ergebnisse noch der Ursachen vereinfachende Schlussfolgerungen zu.


Trends variieren von Region zu Region

Obwohl die gesammelten Daten einen grossen geographischen und taxonomischen Bereich repräsentieren, weisen die Autoren darauf hin, dass «die Trends lokal sehr unterschiedlich waren, aber auch von Region zu Region, von Klimazone zu Klimazone und von Zeit zu Zeit variierten». Monokausal sind die Gründe für die Abnahme der Insekten über Land mit Sicherheit nicht. Die Experten vermuten, dass die Zerstörung von Lebensräumen durch Verstädterung und Lichtemissionen eine bedeutende Rolle spielen. Die landwirtschaftlich genutzten Räume stellen kaum einen Hauptgrund für die Abnahme der Insektenpopulationen dar, wie gerne anhand des Pestizid-Einsatzes behauptet wird. Durch landwirtschaftlich bebaute Flächen wurde die Abnahme der Insektenpopulationen gemäss den Studienautoren im Gegenteil gemildert. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass «ein angemessener Schutz und die Wiederherstellung von Lebensräumen wirksame Strategien zur Abschwächung von Veränderungen in Insektenvorkommen sein können».


Vielzahl von Faktoren beeinflussen Insekten

In die gleiche Richtung argumentierte kürzlich die NZZ. Unter dem Titel «Stopp dem Insektensterben» wies die Zeitung darauf hin, dass nicht nur die Landwirtschaft für die Abnahme der Insektenpopulationen verantwortlich gemacht werden kann. Insekten sind für die Landwirtschaft Freund und Feind. Sie entfalten als Bestäuber einen grossen Nutzen und können gleichzeitig als Schädlinge ganze Ernten zerstören. Die Bauern sind somit auf viele Insekten angewiesen und müssen andere Insekten gleichzeitig in Schach halten, um ihre Erträge zu sichern. Die neue Studie untermauert die These, dass eine Vielzahl von Faktoren für den Insektenrückgang verantwortlich ist. Gleichzeitig ist die Entwicklung in verschiedenen Regionen der Welt sehr unterschiedlich. Gemäss NZZ werden als Gründe für den Rückgang der Insektenpopulationen genannt:

  • Mangel an Lebensräumen (z.B. durch fehlende Freiflächen und oder Hecken)
  • Flächenversiegelung aller Art (z.B. durch Überbauungen und Strassen)
  • Einbringen von Substanzen in die Umwelt (für Reinigung und Pflanzenschutz)
  • Zunahme der Lichtquellen (z.B. durch Dauerbeleuchtung von Strassen)
  • Verkehrszunahme (Kollisionen mit Insekten)
  • Mangelnder Schutz von Biotopen (weniger Feuchtgebiete)


Pflanzenschutzmittel unterstehen strengen Auflagen

In der öffentlichen Diskussion wird der Rückgang der Insekten gerne auf die Kampfbegriffe «Insektensterben» und «Pestizide» reduziert. Dabei fühlt man sich an die Diskussion rund um das «Waldsterben» in den 80er Jahren erinnert. Tatsächlich haben Insektizide zum Ziel, Insekten auszuschalten, die den Ertrag der Landwirtschaft gefährden. Derzeit richten Heuschreckenschwärme in Ostafrika und Pakistan verheerende Schäden an. Sie fressen ganze Felder kahl und können zu Hungersnöten führen. Insgesamt müssen jedoch weniger als ein Prozent der Insektenarten als Schädlinge betrachtet werden. Von diesen Insekten sind einige auch für die Menschen ein Risiko. Sie übertragen gefährliche Krankheiten wie Malaria oder Denguefieber. Angesichts der Schäden ist es legitim und vernünftig, diese Schadinsekten zu bekämpfen. Wichtig ist dabei, dass die Mittel gezielt eingesetzt werden und Insekten nicht generell gefährden. Dazu unterliegen die Produkte strengen Auflagen sowohl in Bezug auf die Sicherheit der Substanzen als auch in Bezug auf die Anwendung in der Landwirtschaft.


Landwirtschaft kann Insekten unterstützen

Zwar ist für eine produktive Landwirtschaft die Bekämpfung von Schädlingen unabdingbar, doch auch die Landwirtschaft kann einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung und Stärkung der Insektenpopulationen leisten, indem sie:

  • Fruchtfolgen erweitert;
  • mit Blühstreifen die Landschaft besser vernetzt und Lebensräume schafft;
  • Lebensräume am rohen Boden ermöglicht;
  • mit Dünger insbesondere an nährstoffarmen Standorten sorgfältig umgeht;
  • Feuchtgebiete schützt.

Jeder Landwirt – aber auch jeder Gartenbesitzer – kann die Bedingungen für Insekten verbessern. Und wer den Rückgang der Insektenpopulationen breit angehen will, muss seinen Blick auch auf Siedlungsstrukturen und Lichtverschmutzung richten.

Gemäss NZZ dürfte das Thema «Rückgang der Insektenpopulation» politisch Aufwind bekommen. Grüne erklären Biodiversität zu einem Schwerpunkt ihrer Politik und auch bürgerliche Politiker und Politikerinnen sehen Handlungsbedarf. Sie wollen das Thema jedoch in der ganzen Breite angehen. National- und Ständerat haben eine Kommissionsmotion zum Insektensterben gutgeheissen. Sie verlangt vom Bundesrat konkrete Massnahmen.

Kommissionsmotion Insektensterben

Die Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie (UREK) hat im Februar 2020 eine Motion verabschiedet, die nun beide Kammern unterstützen.

1. die unverzügliche Umsetzung der Aktionspläne Biodiversität, Bienengesundheit und Pflanzenschutzmittel sicherzustellen;

2. gestützt auf wissenschaftliche Studien umgehend festzulegen, welche Massnahmen zu treffen sind, um das Insektensterben kurz-, mittel- und langfristig in den Griff zu bekommen.

3. unter Berücksichtigung des Berichts «Das Insektensterben stoppen - eine Auslegeordnung zuhanden der UREK-N» vom 19. August 2019, dem Parlament rasch ein umfassendes Paket mit notwendigen gesetzlichen Anpassungen sowie ambitionierten, überprüfbaren, terminierten Zielen und Massnahmen zu unterbreiten, zum Schutz und zur Förderung der Insekten in der Schweiz.

4. dem Parlament eine Auslegeordnung über die schweizweite Verbreitung von Schadinsekten ohne natürliche Feinde und über mögliche Massnahmen zu unterbreiten.

Die forschende Industrie unterstützt die Stossrichtung der Motion. Die Ursachen des Insektenrückgangs, welcher nicht nur in landwirtschaftlichen Gebieten zu beobachten ist, sind multikausal: Im Zentrum stehen die zersiedelte und ausgeräumte Landschaft, die mangelhafte Qualität der Insektenhabitate und wachsende Lichtemissionen. Eine saubere Analyse dieser Ursachen und darauf abgestützt zielführende Massnahmen in allen Bereichen sind notwendig.

Motion 20.3010: Das Insektensterben bekämpfen

Fehlende Daten zu Insektenpopulationen

In der Schweiz fehlen derzeit Daten, welche Rückschlüsse auf das Insektensterben im letzten Jahrhundert zulassen. Mit einem neuartigen Verfahren soll nun das Erbgut von Museumsexemplaren untersucht werden. Wissenschaftler erhoffen sich dadurch, die Populationsgrösse von verschiedenen Insektenarten für die Vergangenheit bestimmen zu können. Je grösser die genetische Ähnlichkeit der Museumsexemplare einer Art (eingefangen in derselben Region), desto kleiner dürfte die Population gewesen sein. Allerdings erfasst die Methode den Zuwachs an invasiven Arten nicht. Eine andere noch zu untersuchende Frage ist zudem, ob sich der Klimawandel nur negativ auf die Populationsentwicklung auswirkt. Mit Untersuchungen in diesem Bereich beschäftigt sich unter anderem das WSL.

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