
Mehr Bio bedeutet nicht mehr Biodiversität
Es ist eine weit verbreitete Ansicht, dass die Förderung der Biolandwirtschaft positive Auswirkungen auf die Artenvielfalt hat. Doch sie ist falsch. Zwar leben auf Bioflächen mehr Arten. Allerdings ist der Flächenverbrauch deutlich grösser als in der konventionellen Landwirtschaft. Biodiversitätsflächen werden zurückgedrängt. Damit verschwinden sämtliche Vorteile für die Biodiversität.
Mittwoch, 15. September 2021
Wie der «Landfreund» berichtet, liegt der Schlüssel zu mehr Biodiversität gemäss einem Forscherteam der Universität Göttingen in einem landschaftlichen Mosaik an natürlichen Lebensräumen sowie kleinen und vielfältigen Anbauflächen. Ob Bio oder konventionell, spiele dabei keine Rolle: «Mit Öko-Zertifizierung bewirtschaftete Flächen haben zwar ein Drittel mehr Arten, erreichen aber nicht das Ertragsniveau konventionellen Anbaus, so dass für den gleichen Ertrag mehr Fläche benötigt wird», sagt Erstautor Prof. Dr. Teja Tscharntke von der Universität Göttingen.
Bio braucht mehr Fläche
Zur Produktion der gleichen Ernte, benötigt Bio viel mehr Fläche als die konventionelle Landwirtschaft. Die positiven Effekte lösen sich wieder auf. Und: Auch in der Biolandwirtschaft werden Pestizide eingesetzt, die negative Auswirkungen auf Lebewesen haben. Kupfer wird im Biolandbau grossflächig zur Bekämpfung von Pilzkrankheiten eingesetzt. Im Boden reichert es sich an und wirkt auf viele Bodenorganismen toxisch – beispielsweise auf Würmer. «Öko-Landbau erfolgt nicht immer in idyllischen Familienbetrieben. Öko-Monokulturen sind oft ähnlich gross wie bei konventionellen Betrieben, und Gemüse wird oft unter Glas angebaut, auf Kosten der Artenvielfalt», sagt Tscharntke im «Landfreund». Im mediterranen Raum würden ganze Landschaften für den Gemüseanbau mit Plastikplanen abgedeckt und damit zerstört – mit einem stark ansteigenden Anteil an Öko-Zertifizierung.
Blindspot-Artikel
Kleinere Felder und Abwechslung
Einen viel grösseren Einfluss auf die Biodiversität hat die Anbau-Vielfalt. Kleine Felder mit langen Rändern und naturnahen Lebensräumen wirkten sich gemäss Studienautor stärker auf die Biodiversität aus als die Öko-Zertifizierung. Solche Anbauflächen seien sowohl in der konventionellen als auch der Biolandwirtschaft gleichermassen realisierbar. Eine Landschaft mit Feldern von der Grösse von einem statt sechs Hektar, könne sechsmal mehr Pflanzen- und Insektenarten beheimaten. Gleichzeitig lasse sich mit Abwechslung beim Anbau die Artenzahl verdoppeln. Auch die biologische Schädlingskontrolle sowie die Bestäubungsleistung von Insekten könne so verbessert werden.
Gut zu wissen
Die Schweizer Landwirtschaftspolitik unternimmt bezüglich Biodiversität im internationalen Vergleich überdurchschnittlich viel. Kaum in einem anderen Land sind die gesetzlichen Vorschriften strenger als bei uns. Unsere landwirtschaftliche Nutzfläche von rund 1 Mio. Hektaren umfasst über 190’000 Hektaren Biodiversitätsförderflächen. Das sind 19 Prozent der Gesamtfläche und stellt international einen Spitzenwert dar. Ein guter Indikator für den Zustand der Biodiversität sind Brutvögel. Gemäss Taschenstatistik Umwelt 2020 (S. 33) ist der Trend der regelmässig in der Schweiz brütenden Vogelarten über die letzten knapp dreissig Jahre ausgeglichen.
Vernetzung von Lebensräumen
Biodiversität lebt von der Vernetzung der Lebensräume. In jeder Balkonkiste können Wildblumen angepflanzt werden, jeder Gartenbesitzer kann einen Beitrag leisten, indem er Lebensräume für Insekten und Kleintiere schafft, zum Beispiel durch das Anpflanzen von Sträuchern und Hecken und das Liegenlassen von Laub und Asthaufen und das späte und gestaffelte Mähen von Blumenwiesen. Idealerweise erfolgen die Massnahmen standortangepasst: Vegetation und Insekten können bereits in kurzer Distanz ganz anders sein. Hilfe für standortgerechte Wildpflanzen bieten die Informationsplattformen floretia.ch oder www.futureplanter.ch
Sources
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