Weniger als 50 Prozent: Wie die Schweiz ihre Selbstversorgung verspielt
Die Schweizer Landwirtschaft steht massiv unter Druck. Wetterextreme, Schädlinge und immer strengere Auflagen setzen den Produzenten zu. Die Folge: Der Selbstversorgungsgrad sinkt dramatisch – besonders bei pflanzlichen Lebensmitteln. Um die Ernährungssicherheit in der Schweiz sicherzustellen, braucht es dringend wirksame Pflanzenschutzmittel.
Montag, 21. Juli 2025
Die produzierende Landwirtschaft in der Schweiz steckt in einer schweren Krise. Extreme Wetterereignisse häufen sich und die Bedrohung durch neue Schädlinge nimmt zu. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, benötigen die Landwirte wirksame Pflanzenschutzmittel – und genau diese fehlen. Zusätzlich erschweren immer neue Auflagen des Bundes die Arbeit auf dem Feld erheblich.
Die Situation hat sich derart zugespitzt, dass der Selbstversorgungsgrad der Schweiz auf maximal 50 Prozent gesunken ist. Besonders dramatisch sieht es bei pflanzlichen Lebensmitteln aus: Laut Tages Anzeiger liegt der Anteil hier nur noch bei 37 Prozent.
Schweiz im internationalen Vergleich abgehängt
Im internationalen Vergleich schneidet die Schweiz miserabel ab. Während Deutschland rund 88 Prozent seines Nahrungsmittelbedarfs selbst deckt und Frankreich sogar vollständig eigenversorgt ist, kann die Ernährungssicherheit in der Schweiz ohne Importe nicht sichergestellt werden.
Dabei wäre die Nachfrage nach einheimischen Produkten durchaus vorhanden. Pflanzliche Proteine, Hülsenfrüchte und Getreideprodukte erleben einen regelrechten Boom. Doch die Inlandproduktion hinkt hinterher. Seit über zehn Jahren ist der Anbau pflanzlicher Nahrungsmittel rückläufig, wird David Brugger vom Schweizer Bauernverband im Bericht des «Tages Anzeigers» zitiert.
Die Folge: «Was wir nicht selbst produzieren, wird durch günstigere Ware aus dem Ausland ersetzt», so Brugger. Auch Ökonom Mathias Binswanger bestätigt im Interview mit dem «Tages-Anzeiger»: Die Kosten in der Schweiz seien hoch, die Preise tief.
Die Detailhändler geraten dabei zusätzlich unter Druck: Ihnen wird oft vorgeworfen, zu hohe Margen auf Bioprodukte zu verlangen. Die Folge: Auch sie greifen auf günstigere Importware zurück, selbst bei Biolebensmitteln.
Wie gravierend die Lage für einzelne Produzenten ist, zeigt das Beispiel von René Ritter, Landwirt im Baselbiet. Er hat sich auf den Anbau pflanzlicher Eiweisse spezialisiert, baut Kichererbsen und andere Hülsenfrüchte an. Seine Bilanz ist ernüchternd: In drei Jahren hatte er zwei Totalausfälle. Statt des erwarteten Ertrags von zwei bis drei Tonnen konnte er zuletzt gerade mal eine Schubkarre Kichererbsen ernten, wie er dem «Zürcher Bauern» verrät. Für ihn ist klar: Ohne wirksamen Pflanzenschutz hat die Eiweissproduktion in der Schweiz keine Zukunft.
Bauern fordern Zölle auf Hülsenfrüchte
Um die einheimische Produktion zu schützen, fordern Bauern und Labelorganisationen deshalb Zölle auf importierte Hülsenfrüchte. Angesichts des schwelenden Zollkriegs mit den USA dürfte diese Forderung ins Leere laufen. Umso zentraler der Zugang zu modernen Pflanzenschutzmitteln. Doch auch hier hapert es. Ende 2024 waren laut der «NZZ» rund 660 Anträge für neue Pflanzenschutzmittel beim Bund hängig – ein massives Vollzugsdefizit, das zulasten der Schweizer Bauern und der Versorgungssicherheit geht.
Besonders widersprüchlich: Ausgerechnet pflanzliche Eiweisse wie Linsen, Bohnen und Kichererbsen werden in der überarbeiteten Ernährungspyramide des Bundes vom Herbst 2024 besonders empfohlen. Doch genau deren Anbau wird durch die zunehmenden Einschränkungen im Pflanzenschutz massiv erschwert.
Wer die Ernährungssicherheit in der Schweiz ernst nimmt, darf die produzierende Landwirtschaft nicht länger im Stich lassen. Dazu braucht es dringend besseren Zugang zu wirksamen Pflanzenschutzmitteln und eine Politik, welche die reale Situation der Bauern anerkennt – statt sie weiter zu belasten.
Sources
Ähnliche Artikel
Importe statt Regionalität: Tomatenvirus zerstört einheimische Produktion
Obwohl Tomaten und Peperoni zu den beliebtesten Gemüsesorten in der Schweiz gehören, werden diese zum Grossteil importiert. Schuld daran sind extreme Wetterbedingungen und Krankheiten. Erste Unternehmen haben bereits resistente Tomatensorten entwickelt – doch der Bund bleibt gegenüber neuen Technologien weiterhin skeptisch.
Inländische Produktion als blinder Fleck
Die Ernährungssicherheit der Schweiz steht zunehmend unter Druck: Die katastrophale Weizen- und Kartoffelernte vom letzten Jahr sorgte für eine zunehmende Importabhängigkeit. Doch der Bericht des Bundesamts für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) schweigt weitgehend über die prekären Zustände der einheimischen Landwirtschaft. Die IG BauernUnternehmen hat deshalb den Bund scharf kritisiert.
Klimaschutz darf Ernährungssicherheit nicht gefährden
Die Landwirtschaft steht zunehmend unter Druck, klimaneutral zu wirtschaften. Doch wie kann dies gelingen, ohne die Ernährungssicherheit zu gefährden? Im Agrarpolitik-Podcast betont Hannah von Ballmoos-Hofer, Leiterin des Geschäftsbereichs Energie beim Schweizer Bauernverband, dass Klimaschutz wichtig ist, aber nicht auf Kosten der Ernährungssicherheit gehen darf.
Verkaufsstopps wegen PFAS: Müssen wir uns Sorgen machen?
Nach spektakulären Verkaufsverboten für Fisch und Fleisch wegen PFAS-Belastungen stellen sich Konsumentinnen und Konsumenten die Frage: Wie gefährlich sind die Stoffe wirklich – und was landet noch bedenkenlos im Einkaufschörbli?
Wie deutsche Experten über neue Züchtungsmethoden denken
In kaum einem anderen Land wird die Bio-Landbau-Idylle in der Öffentlichkeit so gepflegt wie in Deutschland. Natürlichkeit und ländliche Ursprünglichkeit sind mentale Sehnsuchtsorte vieler Deutscher. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass der Widerstand gegen neue Züchtungsmethoden gross ist – und dass die Unkenntnis über den eigenen Bio-Landbau fast schon vorsätzlich wirkt.
Warum Konsumenten genomeditierte Lebensmittel auf dem Teller akzeptieren
Die Akzeptanz von genomeditierten Lebensmitteln steigt, wenn der konkrete Nutzen für Verbraucherinnen und Verbraucher nachvollziehbar ist. Eine aktuelle Untersuchung des Center for Food Integrity (CFI) in Zusammenarbeit mit FMI – The Food Industry Association zeigt, dass Konsumentinnen und Konsumenten Technologien wie die Genom-Editierung dann positiv bewerten, wenn sie klare Vorteile für Gesundheit, Umwelt oder Versorgungssicherheit erkennen.
Schöne und köstliche Mutanten auf Ihrem Teller: Die missverstandene Welt der Pflanzenzüchtung
Wenn die meisten von uns das Wort Mutation hören, sind die Assoziationen selten positiv. Wir denken an radioaktive Monster, Comic-Schurken oder genetische Krankheiten wie die Sichelzellenanämie. In der Popkultur stehen «Mutanten» oft für Gefahr. Die wohl bekanntesten sind Marvels X-Men, die bereits vier Kinoadaptionen erlebt haben und bis heute einen festen Platz unter Science-Fiction-Fans einnehmen.