
Auf dem Weg zur optimalen Tomate
Ob als Saft im Flugzeug, püriert auf der Pizza oder in Scheiben auf dem Butterbrot, Tomaten sind in aller Munde. Wie die Tomatenvielfalt zustande kommt und wie die Tomate der Zukunft schmeckt, zeigt ein Beitrag aus dem deutschen «Lebensmittelmagazin».
Dienstag, 21. März 2023
Jeden Dienstag und Freitag steht Christian Ott mit seinem Gemüsestand auf dem Türkenmarkt am Maybachufer in Berlin-Kreuzberg. Jetzt im August haben Tomaten Hochsaison. Auf mehreren Metern leuchten seine gelben Tomaten, grüne Zebratomaten, schwere, fleischige Ochsenherzen, süsse kleine Cherry-Eier-Tomaten, langgezogene Flaschentomaten, aber auch dunkle Kumano und natürlich auch klassische Strauchtomaten. Sie stammen aus Otts eigenem Anbau. Seine Tomatenpflanzen stehen unter einer gläsernen Lüftungsanlage überdacht auf Mutterboden. So kommt die Ernte bis in den späten Herbst rein, solange wie Frost und Pilzerkrankungen den Pflanzen fernbleiben.
Gutes Lycopin und unliebsames Solanin
Über 27 Kilogramm Tomaten verzehrt jede:r Bundesdeutsche pro Jahr, zwei Drittel davon allerdings in verarbeiteter Form als Tomatenmark, Tomatensauce oder Ketchup. Das hat sogar seine gesundheitlichen Vorteile, denn der Körper nimmt sekundäre Pflanzenstoffe wie Lycopin aus gegarten Tomaten wesentlich besser auf als aus rohen. Auf der anderen Seite bereitet das Pflanzengift Solanin Kopfschmerzen. Ob das Wegschneiden vom grünen Tomatenstengel tatsächlich relevant zur Vermeidung von Solanin ist, bleibt Spekulation. Die Anzeichen einer Solaninvergiftung, die nach 4 bis 19 Stunden nach Verzehr auftreten können, äussern sich in Kopf- und Magenschmerzen. Besonders unreife Tomaten haben einen erhöhten Solaningehalt. Übrigens ist das Gift hitzebeständig, lässt sich also nicht wegkochen. Zu sagen, das treffe auf alle grünen Tomaten zu, ist allerdings falsch: Evergreen, Green Zebra oder Green Grape sind tatsächlich Tomatensorten, die auch im reifen Zustand, also mit nur ganz schwachem Solaningehalt, grün bleiben.
Nicht erst seit Kolumbus
Die Tomate kam kurz nach der Ankunft von Kolumbus in Amerika über die Transportwege der Spanier nach Europa. Tatsächlich aber ist die Tomate, wie andere Nachtschattengewächse wie Paprika, Auberginen, Kartoffeln oder aber auch Physalis, schon wesentlich länger Kulturpflanze. In Patagonien konnten Wissenschaftler 52 Millionen Jahre alte fossile Funde der Papierhülle von Physalis am Laguna del Hunca in Argentinien finden. Da die Physalis evolutionär jünger ist als die Tomate, kann man davon ausgehen, dass die Tomate noch älter ist.
Tomatenanbau unter optimalen Bedingungen
Nico van Vliet ist bei Bayer im Bereich Crop Science zuständig für den engen Kontakt zwischen Landwirten und Handel. «Die direkte Kommunikation in einem solchen Pool sorgt dafür, im Bedarfsfall direkt reagieren zu können, um nicht erst auf die Rückmeldung des Handelns über die Landwirte zu warten», erklärt der Trade-Partnership-Manager. Bayer ist der weltweit grösste Anbieter von Gemüsesaatgut. Das Tomaten-Saatgut, das aus ihrem Haus kommt, zeichnet sich durch Widerstandsfähigkeit gegen Pflanzenkrankheiten wie Pilzbefall aus. Zusammen mit dem Saatgut werden jedem Landwirt Informationen rund um den Anbau, wie Bewässerung und Düngung für optimale Ernteergebnisse, direkt zur Verfügung gestellt. «Sollte so trotzdem eine Pflanzenkrankheit auftauchen, kann diese mit biologischen, selten auch chemischen Mitteln, nach ökologischen Standards stationär behandelt werden, anstelle von grossflächigem Einsatz von Pflanzenschutzmitteln», meint van Vliet.
Dies gelte sowohl für den Anbau bei überdachtem Ackerboden wie auch auf Steinwolle. «Generell empfehlen wir Steinwolle in Hightech-Gewächshäusern. Aber auch beim Ackerboden geben wir den Landwirten zunächst eine Probe des jeweiligen Saatguts zum Testen», so van Vliet. Dies sei aber auch eine Frage des Ressourceneinsatzes: «Für ein Kilogramm Tomaten benötigen wir im Durchschnitt auf Steinwolle 10 Liter Wasser, die im Kreislaufsystem wiederverwendet werden. Auf dem Ackerboden werden für ein Kilogramm Tomaten ungefähr 80 Liter Wasser benötigt, die allerdings grösstenteils ins Erdreich versickern», gibt Nico van Vliet zu bedenken. Gerade in puncto Nachhaltigkeit ist Steinwolle für den Manager zukunftsweisend.
Tomatentrends
Die Grundlage seiner Arbeit sind die Analyse des Marktes und das Erkennen von Trends. Ein Beispiel hierfür: Im Zuge der Plastikreduktion werden beim Kauf von Tomaten ganz neue Ansprüche erhoben. Früher wurden Tomaten in einer hygienischen, schützenden Plastikverpackung angeboten. Heute sei es hingegen häufiger der Fall, dass Tomaten höchstens in einer Papiertüte verpackt in den Einkaufsbeutel kommen und bei der Ankunft zu Hause bereits vier oder fünf Tomaten matschig sind und direkt entsorgt werden.
Müllvermeidung! Züchtungen mit grösserer Stabilität und Haltbarkeit sind aktuell gefragt.
Bei der Tomatenfarbe unterscheiden sich die Vorlieben
Ein anderes Beispiel für Trend ist die Farbe. «Nordwesteuropäer mögen dunkelrote Tomaten», sagt van Vliet. Im Supermarkt bietet sich im seltensten Falle die Möglichkeit, sich vor Ort von der geschmacklichen Qualität der Tomaten zu überzeugen, stattdessen bleibt nur: den «Geschmack sehen!». Andere Farben wie Orange, Gelb oder gar Grün werden mit Unreife und schlechtem Geschmack assoziiert. In Südwesteuropa ist das ganz anders: In Spanien herrscht ein stärkeres Bewusstsein darüber, dass die Farbe sortenabhängig ist und keine Aussage über den Geschmack macht.
Natürlich sei Geschmack relevant für die Zucht, allerdings gebe es da Unterschiede. Mit dem sogenannten Brixwert lässt sich die Konzentration von Zucker in einer Flüssigkeit ausdrücken und damit die Süsse des Geschmacks. «Eine kleine Snacktomate muss einen Brixwert von 9 haben, um für uns gut zu sein. Die Cocktailtomate für den Salat von ungefähr 30 bis 40 Gramm braucht lediglich einen Brixwert von 7, weil sie anderweitig verwendet wird. Bei grösseren Tomaten wie einer Rispentomate von 80 bis 100 Gramm ist der Brix von 4 vollkommen ausreichend, weil sie im Essen zusammen mit Gewürzen wie Salz und Pfeffer noch zusätzlich Geschmack erhält.»
Zukunftstomaten
Dass Tomaten für alle auch weiterhin erschwinglich bleiben, ist angesichts vom Konsumanstieg und gleichzeitigen Herausforderungen des Klimawandels die Motivation und das Ziel für den Trade-Partnership-Manager. Angesprochen auf den Trend des Anbaus alter Tomatensorten erwidert Nico van Vliet: «Wir glauben nicht an alte Sorten, aber an alte authentische Sortenausprägungen.» Er verweist auf die fehlende Widerstandsfähigkeit alter Sorten gegenüber Pflanzenkrankheiten, schlechtere Nutzung des Nährstoffangebots aus den Böden. «Nehmen sie als Vergleich den VW Beetle: Klassisches Design mit neuer Technik!»

Tomaten: Bessere Haltbarkeit, richtige Aufbewahrung
Auch im Zuge der Plastik- und Müllreduktionsstrategien ist die längere Haltbarkeit bereits beim Transport im Fokus. Im gleichen Zusammenhang steht die Frage, ob Tomaten in den Kühlschrank dürfen oder nicht. «Für die Privathaushalte konnten wir inzwischen schon erfolgreich kommunizieren, dass Tomaten nicht in den Kühlschrank sollen, da sie dort an Frische und Geschmack verlieren. Problematisch ist das bei der Gastronomie, die per Gesetz schon dazu verpflichtet ist, Lebensmittel gekühlt zu lagern.»
Andere Zukunftsstrategien, wie beispielsweise urbanes Vertical Farming sieht Nico van Vliet mit Blick auf Tomaten eher kritisch: «Das ist gut für Kräuter oder Blattgemüse wie Spinat oder Porree. Aber im Fall von Tomaten sind das Optimum Gewächshäuser im Radius von 10 Kilometer um Grossstädte wie Berlin oder München. Tomatenpflanzen in Hightech-Gewächshäusern werden 13 Meter lang und sind langfristig sehr ergiebig. In diesen alternativen Anbaumethoden werden sie höchstens 50 Zentimeter gross und müssen nach zwei bis drei Monaten entsorgt werden – das ist nicht sehr nachhaltig. Das Thema Nachhaltigkeit ist bei uns in der Züchtung sehr wichtig, denn wir wollen weiterhin neue Sorten mit besserer Haltbarkeit und tollem Geschmack den Kunden zur Verfügung stellen.»
Dieser Beitrag erschien als Erstveröffentlichung im «Lebensmittelmagazin» vom 15. August 2019 unter dem Titel «Lieblingsgemüse der Deutschen: Auf dem Weg zur optimalen Tomate.»
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